Seit Wochen nun hält die Diskussion um das Nahleauslasswerk an. Die Landestalsperrenverwaltung hat Anfang Januar mit den Neubauarbeiten für das 1973 projektierte Bauwerk begonnen, mit dem gesteuert Hochwasser in die Burgaue abgelassen werden kann. Das Bauwerk steht aber zugleich auch für eine 40 Jahre alte Hochwasser-Technologie.

Die aber seit 2004 in Sachsen wieder durchregiert. Mehrere Landtagsanfragen der Grünen haben dafür die Bestätigung bekommen. Zur Erinnerung: Nach der dramatischen “Jahrhundertflut” von 2002 wagte Sachsens Regierung tatsächlich kurz die Überlegung, den Hochwasserschutz in Sachsen auf zwei Säulen zu stellen. Neben die Ertüchtigung der alten technischen Schutzbauwerke sollte als tragende zweite Säule ein nachhaltiger Hochwasserschutz treten. Über 7.000 Hektar einstiger Überschwemmungsfläche sollte den Flüssen zurückgegeben werden, Deiche sollten deutlich zurückverlegt, Flüssen wieder Raum “zum Atmen” und Fließen gegeben werden.

Der Grund für diese späte Einsicht war die heftige Gewalt, mit der sich 2002 vielerorts die Flüsse und auch Bäche ihren Weg gebahnt hatten – eine Gewalt, die erst dadurch entstand, dass sie in vielen Abschnitten seit Jahrzehnten eingeschnürt und damit höher aufgestaut sind. Statt sich schon in ihren natürlichen Auen auszubreiten, schießen sie ohne Entspannung zu Tal – dass sie dabei ganze Straßen, Bahnstrecken, Brücken und Häuser mitgerissen haben, ergab dann kurzzeitig den Aha-Effekt bei den Verantwortlichen in Dresden, der dann ziemlich schnell wieder der alten Panik wich.

Panik, die nur glaubt, hinter hohen Deichen und Mauern sicher zu sein. Das Ergebnis war dann 2003/2004 die radikale Zusammenstreichung der Pläne für wiederzugewinnende Retentionsflächen. Auf rund 1.300 Hektar, von denen aber im Juni 2013 erst 141 Hektar hergestellt worden waren. Auch die Priorität dieser Überschwemmungsflächen wurde deutlich nach hinten gesetzt – wohl auch auf Druck der Landwirte und Waldbesitzer, die in der Sächsischen Staatsregierung einen großen Fürsprecher haben.

Das Ergebnis ist eine Hochwasserschutzpolitik mit den Visionen des Jahres 1973 und den materiellen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Das bindet natürlich auch die Gelder: 1,6 Milliarden Euro wurden seit 2003 in Sachsens Hochwasserschutz gesteckt, fast alles in die Erneuerung, Sanierung oder den Neubau technischer Anlagen.Deswegen verwundert es auch nicht, wenn die Stadt Leipzig 2004 ihre eigenen alternativen Vorschläge für einen nachhaltigen Hochwasserschutz rings um die Stadt der Raison geopfert hat und stillschweigend die technischen Baupläne der Landestalsperrenverwaltung als allein gültige akzeptiert hat.

Was nicht nur ein Licht auf die – nachgeordnete – Rolle der Kommunen im sächsischen Hochwasserschutz lenkt, sondern auch auf die Tatsache, dass es für einen nachhaltigen Hochwasserschutz etwas anderes braucht als eine Landes-Talsperrenverwaltung. Denn Flüsse kennen weder Stadt- noch Landesgrenzen. Anfang Juni 2013 wurde deutlich sichtbar, dass die sächsischen Lösungen das Problem einfach nur verlagern – flussabwärts nach Sachsen-Anhalt, wo die Deiche brachen und diesmal auch Magdeburg unter Wasser stand.

Aber auch ein halbes Jahr nach der Flut ist aus den vollmundigen Versprechungen der Staatsregierung, den Hochwasserschutz nun endlich länderübergreifend anzugehen, nichts geworden. Im Gegenteil: Es ist genauso wie 2003. Die Hektik beim Bau neuer technischer Bauwerke ist unübersehbar. Das Nahleauslasswerk gehört dazu. Es macht – auch wenn Leipzigs Verwaltung es manchmal anders erzählt – im Hochwasserschutz für Leutzsch, Böhlitz-Ehrenberg und Wahren keinen Sinn. Im Gegenteil: Bei Hochwassern der Kaliber HQ 100 (wie im Januar 2011) oder HQ 150 (wie im Juni 2013) wird es am Höhepunkt der Flut erst recht geöffnet und lässt 7 Millionen Kubikmeter in die Burgaue stürzen. Die dann zwar Schlobachs Hof, Domholzschenke und Rollhockeyplatz unter Wasser setzen, sonst aber kein Siedlungsgebiet bedrohen.

Denn Leipzigs alte Stadtteile sind alle auf hochwassergeschützten Flächen errichtet (wenn man von den Neugründungen Carl Heines im Auengebiet absieht). Wer von der Weißen Elster und der Neuen Luppe aus nach Wahren und Möckern hinaufsteigt, der sieht, was ein klassisches Hochufer ist. Gefährdet sind hier bei Hochwasser nur all die Bauten, die die Leipziger unvernünftigerweise mitten in die Aue gesetzt haben – die Kleingärten vorneweg.

Um aber Hochwasserlagen zu entspannen und gar nicht erst dramatische Pegelstände entstehen zu lassen, brauchen die Flüsse in ihrem ganzen Verlauf – vom Quellgebiet angefangen – Überschwemmungsflächen. Wer in Leipzig Hochwasserschutz betreiben will, ist da in der Burgaue viel zu spät dran. Die hilft nur den Städten flussabwärts – 2011 und 2013 ganz klar Halle, das glücklich war, dass Leipzig den Hochwasserscheitel an der Burgaue um 2 Meter kappen konnte. Nur so funktioniert das Auslasswerk. Und genau so soll es auch wieder neu gebaut werden für 3,5 Millionen Euro.

Der Rest aber, das Eigentliche, fehlt. Und weder in Dresden noch Erfurt zeigt man sich bemüht, hier endlich Vernunft walten zu lassen.Das kritisiert jetzt auch Andreas Liste, Vorsitzender des Arbeitskreises Hallesche Auenwälder, noch einmal: “Immer wieder ist deutlich und unübersehbar zu erkennen, dass die Verantwortlichkeiten für Flüsse und Flusslandschaften nicht zeitgemäß geregelt sind. Das zeigt sich beim Umgang mit dem Hochwasser, Maßnahmen der Renaturierung und nicht zuletzt bei der Gesamtbetreuung. Während die größeren Flüsse, im schiffbaren Bereich in der Verantwortung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes liegen, zerstückeln sich die Verantwortlichkeiten bei den anderen sogenannten Gewässern I. Ordnung nach Länderhoheiten.”

Zu diesen Gewässern I. Ordnung gehören in Leipzig die Weiße Elster, die Neue Luppe, die Nahle, die Pleiße und die Parthe. Hier hat sozusagen die Landestalsperrenverwaltung das Hoheitsrecht.

“Alle gewässerökologischen Ansätze, wie Wiederbelebung von Altarmen und Deichrückverlegungsmaßnahmen unterliegen häufig der politischen Vernunft oder Weitsicht bzw. Unvernunft einzelner Länder. Länderübergreifende Aktivitäten bleiben meist in der Anfangsphase stecken oder kommen gar nicht in die Erwägungsphase”, kritisiert Liste. Nach Auffassung des AHA sind hier umfassende strukturelle und inhaltliche Veränderungen erforderlich. Während beispielsweise an der Weißen Elster mit den Freistaaten Thüringen und Sachsen sowie dem Land Sachsen-Anhalt drei Landesbehörden verantwortlich zeichnen, sind es z. B. an der Schwarzen Elster “nur” zwei Länder – Brandenburg und Sachsen-Anhalt – oder an der Unstrut Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Der AHA vertritt daher die Position, dass die Verantwortlichkeiten für die sogenannten Gewässer I. Ordnung gekoppelt mit “kleineren” Bundeswasserstraßen” wie z. B. Saale, Havel, Werra/Fulda/Weser nach Flusseinzugsgebieten zu ordnen sind. Als Grundlage könnten zum Beispiel die 7 bzw. 5 Wasserwirtschaftsdirektionen in der DDR gelten, welche es von 1958 bis 1975 bzw. von 1975/1976 bis 1990 gab und die sich nach Flusseinzugsgebieten strukturierten.

So ließe sich nach Meinung des AHA ein nach Flusseinzugsgebieten orientiertes Fließgewässerkonzept entwickeln, welches die Flüsse und ihre Auen aus hydrologischer und ökologischer Sicht betrachten, den Umgang mit dem Hochwasser nach diesen Gesichtspunkten regelt und steuert sowie darauf aufbauend Hochwasserschutzkonzepte für notwendige Siedlungsbereiche erarbeitet. Mit der notwendigen Einbeziehung von Kommunen und Verbänden – was bislang in Sachsen nur sehr rudimentär geschieht.

Und was ebenfalls nicht geschieht: Die einzelnen Regierungen gehen nicht ernsthaft die Ursachen für die zunehmend heftigeren Folgen der Hochwasser an – fortschreitende Flächenversiegelung, großflächige Abholzungen von Wäldern in den Gebirgsregionen sowie eine arten- und strukturarme Landwirtschaft.

“Gerade die gegenwärtige Landwirtschaft, welche einhergeht mit ausgeräumten Agrarlandschaften sowie Beeinträchtigungen und Verfestigungen von Bodenstrukturen, gilt es einer umfassenden ökologischen Änderung zu unterziehen”, fordert Liste – und tritt damit natürlich einer Klientel auf die Füße, die ihre Großagrar-Strukturen auch in den Lobbys der Politik mit Händen, Füßen und Halsstarrigkeit verteidigt.

Und so lange diese Halsstarrigkeit Gehör findet, wird sich wohl auch nichts ändern, wird weiter viel Geld in Anlagen investiert, die oft nichts anderes “schützen” als Wald, Wiesen und Rübenäcker. Dafür die flussab gelegenen Städte und Dörfer aber immer stärker der Gefahr kanalisierter Fluten aussetzt.

www.aha-halle.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar