Nur vorsichtig formuliert der Bericht "Schlussfolgerungen der Staatsregierung aus dem ?Bericht der Kommission zur Untersuchung der Flutkatastrophe 2013? (Kirchbach-Kommission)", der am Donnerstag, 30. Januar, im Sächsischen Landtag diskutiert wurde, Kritik am Hochwasserkonzept der Regierung. So vorsichtig, dass Umweltminister Frank Kupfer (CDU) den Bericht wie ein Lob für die Regierung lesen kann. Aber tatsächlich versteckt sich hinter dem Bericht 11 Jahre Verschieberitis.

Nicht beim Bauen. Da hat der Freistaat rangeklotzt wie kein zweiter und 1,6 Milliarden Euro verbaut. Das meiste davon aber Bundes- und EU-Mittel. Aber nicht nur hier steckt der Wurm. Insbesondere die Grünen kritisierten, dass das Geld fast komplett in reinen technischen Hochwasserschutz geflossen ist. Die notwendigen Überschwemmungsflächen an den Flüssen, die dringend notwendig sind, den Druck aus den kanalisierten Flusssystemen zu nehmen, wurden erst reduziert und dann immer weiter aufgeschoben, so dass sie im Juni 2013 nicht wirklich zur Verfügung standen.

Aber warum das so ist, das hat die Abgeordnete der Linkspartei, Dr. Jana Pinka, in ihrer Landtagsrede einmal unter die Lupe genommen. Schuld daran ist der erste “Kirchbach-Bericht” von 2002. Sie kritisierte drei wichtige Schwachpunkte im 2013er Bericht. So fehlt diesmal – anders als 2002 – eine Analyse zur meteorologischen Ausgangssituation, die diesmal das “Jahrhunderthochwasser” verursachte. Zeichen dafür, dass völlig verschiedene meteorologische Ausgangsereignisse dazu führen können, dass in Sachsen Hochwasser vom Kaliber HQ 150 entstehen. Beide Hochwasser – 2002 und 2013 – waren HQ 150, also solche, die in dieser Dimension “normalerweise” nur aller 150 Jahre auftauchen. Wenn sich aber das meteorologische Gefüge so verändert hat, dass solche Hochwasser aller 10 bis 15 Jahre auftreten können, dann muss das sächsische Schutzsystem darauf ausgerichtet sein.

Dann genügt es nicht mehr, 99 Prozent der Kräfte, Gelder und Ressourcen in immer stabilere und höhere Deiche zu stecken. Dann gehört zwingend ein System von natürlichen Überschwemmungsflächen dazu, die einfach schon da sind, bevor die Wassermassen über die verbauten und verdichteten Böden des Landes in die Flüsse rauschen. Diese Überschwemmungsflächen aber fehlen.

Was an einem weiteren Punkt liegt, der seit 2002 nicht gelöst wurde. Oder eben falsch gelöst wurde, wie Jana Pinka feststellt, nachdem sie auch das Jubellied über das tolle Pegelsystem als Märchen entlarvt hat.

“Drittes Beispiel, bei dem ich annehme, dass die Kommission doch nicht ganz so unabhängig gearbeitet hat. Ich zitiere: ‘Das Vorgehen des Freistaates, die Verantwortung für alle Hochwasserschutzanlagen von überregionaler Bedeutung auf die Landestalsperrenverwaltung zu übertragen, hat sich bewährt. Alle anderen Anlagen in kommunaler Zuständigkeit zu belassen, hierfür kommunale Zweckverbände zu bilden und kommunale Hochwasserschutzmaßnahmen zu fördern, erscheint zweckmäßig'”, zitierte sie aus dem Kirchbach-Bericht 2013. Im Bericht zu 2002 hieß es noch: “Die Kommission schlägt vor […] die Verantwortung für Deiche, Talsperren, Rückhaltebecken und Gewässerpflege in einer Hand zu bündeln”.
“Das ist etwas vollkommen anderes!”, stellte Pinka fest. Die Staatsregierung hat den Hochwasserschutz eben nicht in einer Hand gebündelt. Im Grunde hat sie gar nichts getan, als das ganze Geld, das für den Hochwasserschutz zur Verfügung stand, der Talsperrenverwaltung in die Hand gegeben und damit einen staatlichen Dienstleister zum Entscheider gemacht über die Verwendung.

“Von dieser notwendigen Bündelung der Verantwortung für Deiche, Talsperren, Rückhaltebecken und Gewässerpflege ist keine Rede mehr, was natürlich der Regierung unheimlich schmeichelt, denn hier hatte und hat sie nichts unternommen”, sagte Pinka in ihrer Landtagsrede. “Genau hier liegen jedoch die Probleme: der Bericht zeigt anhand einer Karte deutlich, dass Hochwasserschutzkonzepte und Risikomanagementpläne für die Gewässer I. Ordnung in der Obhut der Landestalsperrenverwaltung vorliegen, aber bei den sogenannten Gewässern II. Ordnung, die von den Gemeinden verwaltet werden, bis heute kein zusammenhängend belastbares Planungsmaterial existiert. Auf absehbare Zeit wird sich daran nichts ändern – dazu hatten wir auf unsere Initiative hin im Landtag schon mehrfach Diskussionen und Sachverständigenanhörungen.”

Gerade einmal für knapp 3,5 % der Fließkilometer der Gewässer II. Ordnung (über 500 m Länge) wurden Hochwasserschutzkonzepte erstellt oder ist ein solches in Arbeit. Leipzigs Umweltbürgermeister hat seins erst am Freitag, 31. Januar, offiziell vorgestellt. Auch ihm hat das Juni-Hochwasser von 2013 erst richtig Druck gemacht, nachdem die Stadt Leipzig seit 2002 keine Beschlusslage zum Thema hinbekommen hat. 47 Hochwasserschutzkonzepten an Gewässern I. Ordnung stehen 37 Hochwasserschutzkonzepte an Gewässern II. Ordnung gegenüber.

“Damit ist eine flussgebietsübergreifend ausgerichtete Abstimmung und Zusammenarbeit der Träger der Unterhaltungslast bislang weder möglich noch in Sicht”, stellt Pinka fest. “Auch die beschworene Bildung von Gewässerunterhaltungsverbänden ist unter anderem durch mangelhafte Förderung praktisch nicht absehbar. Darüber sprach ich erst hier im Landtag anhand des Beispiels Münzbach, der in Brand-Erbisdorf entspringt, durch Berthelsdorf und Freiberg fließt und dann in die Freiberger Mulde mündet. Bisher geführte Gespräche mit den Oberliegern von Freiberg endeten ohne Ergebnis. Und das sind keine Einzelfälle, sondern strukturelle Fehler des sächsischen Systems.”

Und was im Juni 2013 besonders deutlich wurde: Sachsen hat keine abgestimmten Konzepte mit den Nachbarländern, obwohl die Hochwasser aus Thüringen und Tschechien durch den Freistaat rauschen und die sächsischen Hochwasser in Sachsen-Anhalt die Dämme brechen lassen. Ein Beispiel hatten ja die Leipziger direkt vor Augen.

Jana Pinka: “Noch deutlicher wird die Lage beispielsweise an der Weißen Elster: Das Einzugsgebiet durchquert Thüringen und Sachsen-Anhalt, im gesamten Oberlauf liegen keine Hochwasserschutzkonzepte oder Risikomanagementpläne vor. Es gibt keine Übersicht über oder Berücksichtigung von thüringischen oder anhaltischen Daten und Konzepten.”

Heißt im Klartext: Es fehlen auch die Überschwemmungsflächen im Oberlauf der Weißen Elster. Der Wasserdruck baut sich in Leipzig auf, weil am Oberlauf keine Kommunikation zwischen Sachsen und Thüringen stattfindet. Das kann man ruhig Arbeitsverweigerung nennen. Aber genau das spielt der Talsperrenverwaltung in die Hände, die jedes Hochwasser dann wie einen Katastrophenfall durchspielt und den Leipziger den Eindruck aufdrängt, Leipzigs Hochwassersicherheit müsse unbedingt in Leipzig mit immer stabileren Deichen gesichert werden. Dass am Oberlauf der Weißen Elster geschlampert wird, rückt dabei völlig aus dem Blick.

“Die Kommission springt also in ihren Schlussfolgerungen aus meiner Sicht zu kurz oder lässt sich Sand in die Augen streuen”, ist denn auch das Fazit von Jana Pinka. “Trotzdem werden wir ihren Antrag nicht ablehnen und gespannt warten, was sie, wenn ihnen der Bericht dann als Drucksache vorliegt, parlamentarisch damit anfangen – irgendwie müssen sie die Zeit bis zur Wahl ja rumkriegen.”

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