Am Mittwoch, 24. September, ging es im Bundestag mal wieder um die Ostdeutschen. Der alljährliche Bericht zum Stand der deutschen Einheit war fällig. Den gab diesmal Iris Gleicke (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder. Einmal mehr machte der Bericht deutlich, dass die deutsche Einheit vor allem auf einem basiert: einer funktionierenden Wirtschaft auch im Osten. Und da klemmt es nun seit ein paar Jahren mit dem Aufholprozess.

Die Wirtschaftslage kam zwar in jedem Bericht bislang vor. Aber das sonstige Hosianna ist Ernüchterung gewichen. Ein Moment, jetzt die Solidarpakete innerhalb der Bundesrepublik aufzukündigen, ist das wirklich nicht. Denn bei Lohn- und Rentenentwicklung wird so langsam deutlich, dass eine Niedriglohn-Landschaft nicht ausreicht, um im Osten selbsttragende Strukturen zu schaffen.

Wolfgang Tiefensee, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD und Bundestagsabgeordneter aus Leipzig, merkte aber am Mittwoch positiv an, dass die Zeit vor 1989 jetzt nicht mehr einfach ausgeblendet wird: Zum 25-jährigen Jubiläum der Friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR werde lang Versäumtes endlich nachgeholt. Der vorgelegte Bericht zum Stand der Deutschen Einheit beschränke sich nicht mehr auf Zahlenkolonnen und Aussagen zum Bruttoinlandsprodukt-Wachstum. Erstmals werde der große Mut der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger gewürdigt, die mit ihrem Widerstand gegen das SED-Regime als Teil einer osteuropäischen Friedens- und Freiheitsbewegung nicht nur die Mauer zum Einsturz brachten, sondern letztlich die Vereinigung Europas herbeiführten.

“Der heute im Kabinett beschlossene Bericht zum Stand der Deutschen Einheit zeigt ein realistisches Bild der DDR-Wirklichkeit auf. Dazu gehört das Sich-Einrichten in den Strukturen ebenso wie die Rebellion in Kreisen der Kirchen, der Musikgruppen oder der Kulturszene. Das völlige Versagen der SED-Führung in der Wirtschaftspolitik bei gleichzeitig großspurigen Wachstumsversprechen beschleunigte den Entfremdungsprozess von Regime und Volk”, benennt er einen der wichtigen Auslöser für die Herbstproteste. “Anders als im Vorjahresbericht wird die aktuelle wirtschaftliche Lage nicht schöngeredet. Der Aufholprozess der ostdeutschen Länder geht zwar weiter, aber deutlich schwächer als zuvor. Trotz positiver Nachrichten, wie der wachsenden Tourismusbranche oder Gesundheitswirtschaft, fehlt es flächendeckend an großen kapitalstarken Industrieunternehmen. Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall gibt es kein großes Dax-Unternehmen mit Hauptsitz in Ostdeutschland.”

Ein anderes Thema hat die Bevölkerungsstruktur deutlich verändert. “Auch die erfolgte massive Abwanderung wirkt tief in die Gesellschaft hinein. Die Folgen lassen sich vor allem in der niedrigen Arbeitsproduktivität und den hinterherhinkenden Löhnen erkennen. Obwohl die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland auf dem niedrigsten Stand seit 1991 liegt, ist sie immer noch deutlich höher als im Westen. Deshalb ist die Einführung des Mindestlohnes ein wichtiger Schritt zu mehr Fairness auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt”, stellt Tiefensee fest. “Nach wie vor bestehen erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West bei der Wirtschaftskraft und -struktur sowie bei den Löhnen und Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Diese rechtfertigen nicht nur die weitere Unterstützung Ostdeutschlands im Rahmen des Solidarpakt II, sondern sie benötigen eine Anschlussregelung, die das Erreichte nicht aufs Spiel setzt und die finanzielle Handlungsfähigkeit der ostdeutschen Länder erhält.”Noch etwas deutlicher wird der sächsische Bundestagsabgeordnete der Grünen, Stephan Kühn, Berichterstatter seiner Fraktion für den Aufbau Ost: “Wir haben auch im 25. Jahr nach der Friedlichen Revolution unverändert besondere Herausforderungen in Ostdeutschland, ein Routinebericht ist deshalb zu wenig! Das bloße Beschreiben des Status Quo hilft nicht weiter. Der Bericht liefert keine neuen Erkenntnisse und setzt keine neuen Impulse.”

Und dann kommt er zum Eingemachten. Eigentlich ein Thema, das mittlerweile die ganze Bundesrepublik beschäftigt. Denn Geld ausgegeben wurde überall in Milliarden- und Billionen-Größenordnungen. Doch zumeist wurde es in Beton gegossen, teilweise in völlig sinnlose Prestige-Objekte. Aber da, wo es dringend gebraucht wird, das Land international wettbewerbsfähig zu halten, da fehlt es.

Stephan Kühn: “Eine selbsttragende Wirtschaftsstruktur in Ostdeutschland wird sich nur entwickeln können, wenn die Solidarpaktmittel konsequenter als bisher in Investitionen in Köpfe statt in Beton gelenkt werden. Es muss gelingen, durch Unternehmensausgründungen oder -ansiedlungen im Radius von Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen gut ausgebildete Fachkräfte in der Region zu halten und den ‘Brain-Train” zu stoppen. Die Aufgabe lautet, Erfindergeist und mutiges Unternehmertum, aber auch der Einsatz für gelebte Demokratie und eine aktive Bürgergesellschaft unterstützen. Dazu sucht man im Bericht vergebens nach konkreten Vorschlägen.”

Eine durchaus interessante Neuschöpfung des Wortes “Braindrain”, das den Abfluss gut ausgebildeter Fachkräfte benennt. Ein Effekt, den Deutschland übrigens seit den 1930er Jahren erlebt. Zielland für bestens ausgebildete Wissenschaftler waren fast immer die USA. Und das hat auch nach 1990 nicht wirklich aufgehört. Denn trotz aller Exzellenzinitiativen haben sich die Arbeits- und Forschungsbedingungen an deutschen Hochschulen nicht verbessert. Noch immer packen begabte Nachwuchswissenschaftler frustriert ihre Koffer, weil sie im deutschen Hochschulsystem mit lächerlichen Praktika und Projekt-Stellen abgespeist werden. Der “Braindrain” Richtung Übersee ist ein Zug, mit dem die Bundesrepublik die Forschungseinrichtungen andernorts mit exzellentem Nachwuchs füttert. Auch eine Art Freihandel.

“Richtig ist, dass die Förderung nach Bedarfen, nicht mehr nach Himmelsrichtungen erfolgen muss”, benennt Kühne die zwingend notwendige neue Weichenstellung. “Die Förderprogramme der ostdeutschen Bundesländer nach und nach in ein gesamtdeutsches System für strukturschwache Regionen überführen – ist richtig. Die Neugestaltung der Daseinsvorsorge mit Blick auf das Ziel ‘gleichwertiger Lebensverhältnisse’ lässt sich aber nicht durch Pilotprojekte und Modellvorhaben lösen! – Der zentrale Impuls der Friedlichen Revolution 1989 ist für uns der Aspekt der Selbstermächtigung zum politischen Handeln. Wir brauchen neue Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung von Politik, BürgerInnen, Verwaltung und Unternehmen. Gefordert sind neue Rahmenbedingungen, die lokales Engagement befördern und nicht behindern. Dafür liefert der Bericht aber keine Ideen.”

Und eine ganz wichtige Frage stellte bei der Gelegenheit auch noch die Leipziger SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe. Sie erkundigte sich, wie sich die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro auf die Renten auswirken werde. Iris Gleicke erklärte darauf, dass der Osten vergleichsweise stärker vom Mindestlohn profitieren werde – und zwar nicht nur die Erwerbstätigen, sondern auch die Rentner. “Das getrennte Rentenrecht ist hier sogar ein Vorteil”, sagte Gleicke. “Die Rentensteigerungen werden hier größer sein als im Westen.”

Die Bundestagsdebatte dazu: www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/kw39_de_regierungsbefragung/330144

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