Der gewöhnliche Spaziergänger in Sachsens Fluren erkennt im Grunde nur eine Art Bienen. Wenn er noch eine sieht unterwegs. Denn sie sind rar geworden in unseren Landschaften. Zu Wildbienen gibt es in Sachsen eine eigene „Rote Liste“ mit zahlreichen Arten, die vom Aussterben bedroht oder schon verschwunden sind. Ein Grund dafür ist auch der nach wie vor hohe Pestizideinsatz. Das muss sich ändern, fordert der Grünen-Politiker Wolfram Günther.

Am 9. Dezember hat er an einem Treffen der naturschutzpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Grünen-Landtagsfraktionen in Fulda teilgenommen. Da ging es um den Erhalt der Biologischen Vielfalt (Biodiversität) als wichtigstes Ziel naturschutzpolitischer Arbeit. Günther hat als umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag teilgenommen.

Das Thema ist ihm nicht neu. Immer wieder versucht er, den sächsischen Umweltminister für das Thema zu sensibilisieren. Mit verstörend wenig Erfolg. Denn wenn Minister nicht handeln wollen, berufen sie sich auf bestehende Gesetze, Verordnungen und die (zum Teil sehr lückenhafte) staatliche Überwachung.

Denn ob in Sachsen tatsächlich gesetzeskonform mit Pestiziden umgegangen wird, weiß niemand. Am Beispiel von Schadensfällen bei Bienen hat es Günther erst im Sommer abgefragt. Denn der Umweltminister bekommt Nachrichten zum Missbrauch von Pestiziden immer erst dann, wenn Betroffene – wie in diesem Fall sächsische Imker – solche Fälle melden. Manchmal sind es Landwirte, die unsachgemäß mit Pestiziden umgehen, oft genug aber scheinen es Privatleute zu sein, die mit dem Umweltgift umgehen, als wäre es völlig gleichgültig, was danach passiert.

Und bei Sachsens Imkern ist es ja nicht so, dass sie nicht wüssten, wo solche Gefahren lauern. Sie suchen ja schon aus Erfahrung Standorte aus, wo solche Pestizideinträge eigentlich nicht passieren dürften.

Dass es aber trotzdem Jahr für Jahr Schadensfälle gibt, zeigt im Grunde, dass es an Kontrolle im Land völlig fehlt.

Und das sind immerhin noch Menschen, die sich beschweren können. Die natürlichen Artengemeinschaften gehen einfach kaputt – auch und gerade da, wo sie eigentlich Zufluchtsräume in Nähe menschlicher Tätigkeit sein sollten.

„Es gibt zahlreiche Gründe dafür, sich für den Erhalt der Arten und unserer Naturräume einzusetzen“, sagt Wolfram Günther. „Jede Art hat ihre Daseinsberechtigung zunächst um ihrer Selbst willen, aber auch, weil sie in Wechselwirkungen mit anderen Arten steht. Es geht um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, denn auch wir Menschen profitieren von der Natur, beim Naturerleben, in der Medizin, Pharmazie und der Bionik.“

Aber eine Nachricht von Kollegen aus Nordrhein-Westfalen hat ihn jetzt aufgeschreckt. Denn gerade bei den Insekten ist der Artenschwund dramatisch.

Eine Studie aus Nordrhein-Westfalen, die an insgesamt 88 Standorten regelmäßig fliegende Insekten in Fallen gesammelt hat, zeige, dass im Jahr 1995 noch 1,6 Kilogramm Biomasse aus den Fallen gesammelt werden konnten. 2014 seien es nur noch maximal 300 Gramm gewesen. Dies stellt einen Verlust von 80 Prozent dar.

„Ohne Fluginsekten fehlt Vögeln wie Mauerseglern, Schwalben und Braunkehlchen die lebenswichtige Nahrung, und es gibt ohne Wild- und Honigbienen keine Bestäuber für Blumen und Obstbäume“, sagt der Landtagsabgeordnete zu diesem Befund. „Zahlreiche Amphibien und Vogelarten sind vom Angebot ihrer Hauptnahrungsquelle abhängig, den Insekten wie Schmetterlinge, Hummeln, Bienen, Schwebfliegen, aber auch Würmer und Käfer. Wenn diese fehlen, gerät ein gesamtes Natursystem ins Wanken. Wir sind insbesondere für gefährdete Arten verantwortlich wie Feldhasen und Rebhuhn, deren natürliche Lebensräume und deren Nahrungsangebot wie Insekten oder artenreiche Kräuter immer weiter verdrängt werden. Besonders in landwirtschaftlich geprägten Regionen müssen Anreize für den Schutz der Artenvielfalt durch Agrarumweltmaßnahmen wie beispielsweise Blühstreifen und Pufferzonen an Gewässern dazu führen, dass Pestizide und Stickstoffeinträge in den Boden stärker reduziert werden.“

Das konnten die umweltpolitischen Sprecher der Grünen in Fulda zwar nicht ändern.

Aber sie haben zumindest einen kleinen Forderungskatalog formuliert, der zumindest so eine Art Rahmensetzung für die eigene Arbeit ist. Denn eigentlich hilft nur geduldige Überzeugungsarbeit, damit man die Umweltminister in den Ländern und im Bund endlich dazu bringt, dass sie den Pestizideinsatz in Deutschland wirklich regulieren und vor allem verringern:

Ihre Forderungen:

„Pestizidreduktionsprogramme in Bund und Ländern
Vorbildfunktion von Bund, Ländern und Kommunen mit der pestizidfreien Bewirtschaftung und Verpachtung öffentlicher Grundstücke
In den Landesnaturschutzgesetzen geregelter Verzicht auf synthetische Pestizide in Naturschutzgebieten, FFH-Gebieten und geschützten Biotopen.“

Was ja alles gangbare Wege sind. Sogar eher zurückhaltende, wenn man den Artenverlust in sächsischen Fluren betrachtet und die Tatsache, dass immer wieder auch Pestizide in Seen, Flüssen und im Trinkwasser nachgewiesen werden. Was immer nur für einen kurzen Aufschrei sorgt – und dann wird meistens weitergespritzt wie bisher. Nachgefragt zur Pestizidbelastung sächsischer Flüsse hatte Wolfram Günther vor einem Jahr. Und man kann eigentlich die Flüsse, in denen Pestizide gefunden werden, nicht auflisten, denn es sind eigentlich fast alle – auch die Weiße Elster und was sonst noch so durch Leipzig fließt.

Wolfram Günthers Anfrage zu Pestizid-Schadensfällen bei Bienen. Drs. 5520

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