Am Abend heißt es Bier satt für ein paar eifrige Soziologie-Studenten in Lingen. Wir geben uns mit Pommes und Frikandeln im holländischen Emmen zufrieden und jubeln einem Bergkamp zu. Nur weil wir glücklich sind, Wilhelmshaven verlassen zu haben? Trotz Rosi?

Also wenn nicht gerade Meppen in Wilhelmshaven gespielt hätte, wäre diese Stadt keine Reise wert gewesen. Einzig die 1929 angelegte Südstrand-Promenade und das Deutsche Marinemuseum erzeugen neben dem bereits beschriebenen “Banter Eck” Anziehungskraft. Vor allem das Marinemuseum hinterlässt mit seinen Miniaturschlachtschiffen und Kreuzern bleibenden Eindruck. Die 9,50 Euro sind gut investiert, auch weil man in Sachsen eher wenig von den Anfängen der deutschen Marine weiß. Den Matrosenaufstand in Kiel 1918 kennt man, in Wilhelmshaven wird er genau seziert. Überlebende berichten in Tondokumenten von bleibenden Momenten auf hoher See und natürlich kann man auch verdiente Schiffe besichtigen, sollte aber logischerweise nicht klaustrophobisch veranlagt sein.

Dort erfährt man auch, dass in der Marine die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus lange Zeit nicht weit gediehen war. Ein paar Schiffe sind nach verdienten Wehrmachtssoldaten benannt. Nach zwei Stunden ist die Sache durch und der Weg frei zum nächsten Spielort. Der FC Emmen empfing in der zweiten holländischen Liga den FC Volendam. Das gibt einen Länderpunkt für die Groundhopper. Die Anreise erfolgt bequem im Auto auf der A30 parallel entlang der niederländisch-deutschen Landesgrenzen, Emmen liegt grenznah auf Höhe von Meppen. Kuchen, Chips und Zitronen-Ingwer-Gummitiere machen unsere Fahrt zur Werbeveranstaltung für gesunde Ernährung.
Doch eine Stunde vor Anpfiff ist am – zwischen Reihenhäusern gelegenen – Stadion nichts davon zu merken, dass hier bald Fußball gespielt wird. Vereinzelte Laute schallen über das Gelände, sie kommen allerdings vom Nebenplatz, wo offenbar die U13 gerade auf Großfeld einen Sieg einfährt. Wir vertreiben uns die Zeit bei landestypischen Frikandeln speciaal, quasi aufgeschnittenen langgezogenen Buletten mit Zwiebeln belegt, im nahegelegenen Imbiss. Einer hat’s gesagt, die anderen können die Speisekarte nicht lesen und stolpern das Wort einfach so gut es geht aus ihrem Mund. Auch im Imbiss weder Fans der Gäste noch der Heimmannschaft. Und auch keine Rosi. Keine Helene Fischer, kein Gottschalk.

Wir machen uns schnell von dannen und genießen wenig später eine fette Tüte Pommes mit Majo auf der Gegengerade des 8.600 Zuschauer fassenden Univé-Stadion. Um uns herum nur alteingesessene Fußballexperten mit der klassischen Schiebermütze oder zumindest dem obligatorischen Sitzkissen, natürlich in Muttis Stoffbeutel transportiert. Das holländische Idiom erheiterte uns immer wieder bei der Spielbeobachtung, die sich auf zwei wesentliche Aspekte konzentrierte: Was macht Ronald Bergkamp, der Cousin des ehemaligen holländischen Superstars Dennis Bergkamp und wie bitteschön spielen beide Truppen in der Abwehr?

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Eine Viererkette ist es nicht, manchmal wird mit letztem Mann gespielt, die Innenverteidiger, so sie es denn gibt, attackieren ihren Gegenspieler teilweise auf eigene Faust im Mittelfeld. Entsprechend torreich geht es aus: Emmen schlägt Volendam mit 4:1. Ronald Bergkamp, eine laufende Eiche, trifft doppelt und teilweise spielend leicht. Die 40 anwesenden Volendamnesen zeigen sich zunächst wenig beeindruckt, verlassen das Stadion aber schließlich doch nach dem 4:1.

Wir gehen erst nach dem Schlusspfiff, allerdings nicht ohne zu beobachten, wie “Rooonald” die Autogrammwünsche der Fans über den ein Meter hohen Zaun und die elektronische Bande hinweg in Empfang nimmt. Welche Nettigkeiten Fans und die Eiche miteinander austauschen, verstehen wir nicht. Diktieren dagegen der Marktforschung noch ein paar Sätze ins Klemmbrett. Die hatten justament an diesem Tag die Stadionbesucher zu ihrer Meinung gefragt.

Danach kommen wir bei den Restern unseres exklusiven Verpflegungspakets auch zur Ruhe, denn auf dem Stadionparkplatz tut sich nach Spielende wenig bis nichts. Dabei haben wir Termine: Nordhorn-Lingen empfängt Bad Schwartau. Nordderby in der zweiten Handballbundesliga und wir haben uns schon Stehplatzkarten vorreserviert. Doch die ungewöhnliche Anstoßzeit in Emmen, nämlich 16:30 Uhr, und die Anwurfzeit in Lingen, 19:30 Uhr, lassen wenig Spielraum. Mit den Mannschaftsaufstellungen erreichen wir die volle Emslandhalle und beobachten Episches.
Da ist zum einen die Soziologie-Studenten-Fantruppe der HSG Nordhorn-Lingen, die direkt vor uns so viel Stimmung zu verbreiten versucht, dass schließlich jemand nach dem “Anführer” der Truppe fragt und zweimal vier Bier spendiert. Überfordert mit dieser schier unglaublichen Menge an Bier sucht das Gemüse nach Abnehmern und fragt tatsächlich uns, ob wir mittrinken. Uns! Die sächsisch Palavernden und sich belustigenden Beobachter hinter ihnen, die mit ihrem Herzen seit drei Minuten am VfL Bad Schwartau hängen.

Und das, weil dort ein 40-Jähriger Koloss namens Ariel Alberto Panzer im Tor steht. Ein Name wie ein Totalschaden und der Name des Beinahe-Helden des Tages, aber Bad Schwartau fehlt an diesem Abend das Glück. Am Panzer im Tor liegt es jedenfalls nicht, dass die Gäste schließlich in der Schlusssekunde das Remis verpassen und vor 3.500 Zuschauern mit 22:23 verlieren. Mit frischem Bier in der Hand fällt uns der Concordia-Delitzsch-Aufkleber auf den Trommeln unserer neuen Freunde auf: “Wo is’n der her?”. “Keine Ahnung. Die Trommeln sind vom Fanprojekt.”

Den Abend rettet nur die Frage unserer holländischen Vermieterin: “Braucht ihr noch Bier?” Dabei suchen wir in ihrem geräumigen Einfamilienhaus in der Nähe von Lingen nur Hausschuhe. Aber gut…

Fortsetzung folgt…

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