Im Hinterhof der Klingenstraße 22 hängt ein Schild mit der Aufschrift „Plagwitzer Brauerei“. Drinnen rattern die Kessel, das Licht ist gemütlich, die Holzeinrichtung urig. Braumeister Jakob Treige stellt zwei Bier auf den Tisch und redet im LZ-Interview über seinen Lebensweg, seine Eröffnung zwei Monate vor dem ersten Corona-Lockdown und den Einfluss der Preiserhöhungen auf seine Brauerei.

Hallo Jakob. Wie hat es dich nach Leipzig verschlagen und wie kamst du dazu, eine eigene Brauerei aufzumachen?

Ich bin in Berlin geboren und mittlerweile hat Berlin ja auch sehr viele kleine Brauereien, aber in meiner Jugend, der Nachwendezeit, war das noch nicht so. Es gab nur große Industrie-Brauereien und ich hatte eigentlich meine gesamte heranwachsende Zeit überhaupt keine Berührung mit der Braukunst. Natürlich habe ich als Jugendlicher mal ein Bier getrunken, aber mehr auch nicht. Und dann bin ich nach Bayreuth und habe dort soziale Anthropologie und Geografie studiert.

Danach habe ich dann angefangen, in einem Verlag zu arbeiten. War inhaltlich cool, aber es hat mich nicht glücklich gemacht, dieses Leben vor einem Computer. Es war klar, dass das nicht das ist, womit ich mein Leben fristen möchte.

Und wie genau bist du dann auf den Beruf des Braumeisters gekommen, wenn du eigentlich kaum Berührungspunkte damit hattest?

Oberfranken steht ja auch im Buch der Rekorde. Es ist die Gegend mit der höchsten Brauereidichte der Welt. In jedem Kaff, wo gefühlt mehr Hühner als Menschen wohnen, gibt es eine oder sogar mehr kleine Brauereien. Und da macht dann oft eine Person alles, die malert die Wände, die macht die Qualitätsproben, die braut natürlich das Bier.Wenn man wie ich in Bayreuth studiert, kommt man mit dieser Welt unweigerlich mehr in Berührung.

Außerdem habe ich damals neben dem Studium in der Brauerei Maisel’s gearbeitet. Das war das große Kontrastprogramm zu diesem Studium, was sehr theoretisch war. Und die Arbeit bei Maisel’s, keine große Brauerei, aber auch kein Ein-Person-Betrieb, hat mich sehr beeindruckt. Brauereien sind für mich Orte mit so einer heiligen Aura.

Und wo bist du dann in die Lehre gegangen?

Ich habe mich dann auf eine Lehrstelle beworben und habe dann in Niederbayern in einem Betrieb angeheuert und bin in München in die Berufsschule gegangen.

Wie hieß der Betrieb denn?

Das ist ein ganz kleiner Familienbetrieb, der wahrscheinlich keinem was sagen wird: Die Brauerei Berghammer, südlich von Regensburg. Wunderschöner Biergarten, direkt an der Donau gelegen und riesige Kastanienbäume, ein ganz altes Gebäude, gutes Bier und über dem Wirtshaus hatte ich meine kleine Bude, also eine Ein-Zimmer-Wohnung. Ich hätte es nicht besser treffen können.

Über dem Tresen: das Branding der Plagwitzer Brauerei. Foto: Antonia Weber
Über dem Tresen: das Branding der Plagwitzer Brauerei. Foto: Antonia Weber

Wie hat sich dann dein Weg nach Leipzig gestaltet?

Ich habe dann noch unterschiedliche Zwischenstationen gemacht und dann habe ich eine Zeit lang bei der Radeberger Gruppe gearbeitet. Die betreibt auf Kreuzfahrtschiffen sogar eigene Brauereien. Ich habe da auf einem Schiff das Bier gemacht. Ich bin gestartet in der Karibik, dann irgendwann nach Westeuropa und später Ostsee.

Da hatte ich aber schon eine kleine Tochter und die Sehnsucht nach meinem Kind war dann doch enorm groß. Da war mir dann klar, dass ich mir meine Stelle selbst gestalten muss, damit sich irgendwie meine Lebensumstände und Berufswünsche miteinander in Einklang bringen. Nach Leipzig haben mich dann Freunde und auch die Mutter meiner Tochter gebracht.

Dann hast du Anfang 2020 die Plagwitzer Brauerei hier aufgemacht. Und dann kam Corona. Wie war das damals für dich?

Man kann sagen, dass mir da der Arsch auf Grundeis gegangen ist. Ich hatte meinen Job schon gekündigt. Hatte nur einen kleinen Förderkredit von der Sächsischen Aufbaubank bekommen und hatte halt gespart. Und letztendlich ist all das, inklusive Schulden, in diesen Betrieb geflossen.

Ich habe 2019 ausgebaut und solche Sachen werden immer teurer, als man denkt. Ich habe das komplette Konto geplündert, auch meinen Puffer. Aber dann hatte ich das erste fertige Bier, habe die ersten Gastronomen eingeladen und Rechnungen geschrieben. Einen Monat später kamen dann die Nachrichten aus China, zwei Monate später kam dann in Deutschland der erste Lockdown.

Wie hast du es durch den Lockdown geschafft?

Ich stand vor einem Riesenberg Schulden und hatte überhaupt kein Geld verdient. Und der Staat wusste zu dem Zeitpunkt ja auch noch nicht so richtig Bescheid. Wenn man damals hätte sagen können, das geht jetzt vier Monate so oder ein Jahr: dann hätte man ein Konzept entwerfen können, mit dem man durchkommt. Oder man hätte sich rational entscheiden können, dass man keine Chance hat. Aber es war ja immer irgendwie nicht klar.

Ich hatte fast 4.000 Liter Bier gebraut und konnte es einfach nicht verkaufen. Mein Konzept war ja eigentlich, an gastronomische Gewerbe zu verkaufen. Das hatte sich dann aber erledigt. Es gab dann eine Crowdfunding-Kampagne und ich habe ein Konzept für Straßenverkauf entwickelt. Da bin ich dann auch von meinem ursprünglichen Konzept, einfach nur als Produzent aufzutreten, weggekommen. Weil es total schön war, dann doch zu sehen, wie die Leute dein Bier trinken und es genießen.

Das klingt doch nach einer guten Sache. Mit dem Ukrainekrieg kam dann aber auch die Energiekrise. Es gab Medienberichte, die Braumeister zitiert haben, die ihre Bierpreise teils verdoppeln wollten. Und du warst ja dann auch schon in der Zeitung. Dann hat ja eine Krise in der Gastro die nächste gejagt.

Ja, als ich da im September in der Zeitung war, unterlag dieser Artikel ja am Ende auch nur ökonomischen Zwängen. Das wurde alles sehr dramatisiert und inhaltlich überzogen: „Bier könnte bald unbezahlbar werden. Doch Jakob hat eine Idee.“

Tatsächlich war es zu dem Zeitpunkt der Fall, dass die Perspektiven für die Stoffe, die man für so eine Produktion braucht, dramatisch schlecht waren. Und auch die Bundesnetzagentur ist damals von einer möglicherweise bis zu Versiebenfachung des Gaspreises ausgegangen. Das ist ja nicht eingetreten.

Ich wollte also eigentlich ausdrücken, dass die Perspektive ziemlich düster ist, nicht dass alles ganz schlimm ist. Und auch für die handwerklichen Produkte, wie mein Bier, war es noch mal schwieriger. Die können in einer Konkurrenzsituation mit Industrieprodukten nicht dagegen ankommen. Ich nicht gegen Sternburg und ein Tischler nicht gegen IKEA. Momentan müssen sehr viele Leute darauf achten, dass sie ihre Kröten beisammen halten, weil sie nicht wissen, wie ihre nächste Nebenkostenabrechnung aussieht.

Ein gemütliches Interieur lädt zum Verweilen ein. Foto: Antonia Weber
Ein gemütliches Interieur lädt zum Verweilen ein. Foto: Antonia Weber

Die Perspektiven klingen aber immer noch ganz schön düster.

Es sind zwei Spiralen, die sich gegeneinander drehen. Die Leute möchten und können immer weniger Geld ausgeben und eigentlich müssen Produkte immer teurer werden. Und das fällt zuerst auf in der Gastronomie, in der Tourismus-Branche, in der Kultur.

Aber die eine Spirale, das Teurerwerden einiger Produkte, hatte zumindest im Brauwesen teilweise keinen realen Boden. Ich bin durch mein Studium halbwegs in Wirtschaft gebildet. Und so wie sich Preise für Kohlensäure oder ähnliches erhöht haben, hing das nicht von Entwicklungen in der Welt ab, sondern die Märkte haben darauf spekuliert.

Und wie es in Zukunft weitergeht, hängt eben von diesen Spekulationen und natürlich auch vom Ausgang des Krieges ab. Und dafür bräuchte ich jetzt eine Glaskugel.

Du hast die Preise für dein Bier nun aber auch schon etwas angehoben. Wie sieht deine Rechnung am Ende des Monats aus?

Ja, am Ende des Monats komme ich immer bei 0 raus. Also wenn mir jetzt was kaputtgeht, was eigentlich einfach dazugehört in so einem Betrieb, können solche Dinge auf einmal richtig ernste große Kosten werden. Die Technik ist mittlerweile schon echt krass teuer geworden.

Hast du jetzt am Ende des Gesprächs noch eine Braumeister-Weisheit?

Das ist jetzt ein bisschen politisch, aber ich finde, dass bestimmte Arten von Krisen dazu führen, dass die Gesellschaft sich hinterfragt. Krisen sind Übergangsphasen. Menschen können kreativ sein und im Angesicht eines Zustandes, der ihnen nicht guttut, wieder Zustände herstellen, die diesen verbessern.

Und im besten Fall ist die Gesellschaft daran nachher ein bisschen gewachsen. Und in dem konkreten Fall jetzt denke ich, dass sowohl große politische und wirtschaftliche Akteure als auch einzelne Konsumenten hinterfragen sollten, wie cool und clever es ist, dass wir in all unseren Wertschöpfungsketten von teilweise völlig abgedrehten Diktaturen abhängig sind. Eine Krise tut erst dann weh, wenn Menschen sich nicht auf Veränderungen eingerichtet haben. Und das müssen wir wieder lernen.

Danke für das Gespräch und das Bier.

„Jakob Treige von der Plagwitzer Brauerei: Brauereien sind für mich Orte mit einer heiligen Aura“ erschien erstmals am 31. März 2023 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 111 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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