Hartmut Bunsen und Wolfgang Topf konnten zu dieser Pressekonferenz wirklich nicht still sitzen. Eigentlich ging es am Montag, 2. April, nur um die Ankündigung eines Forums mit dem Titel "Energie für die Zukunft". Tausendmal gehört, so einen Titel. Jede zweite PR-Veranstaltung heißt so oder so ähnlich. Doch Bunsen und Topf sind nicht nur aufgeregt oder wütend. Was sie umtreibt, ist auch die Angst. Die Angst, dass für ostdeutsche Unternehmen in naher Zukunft das Licht ausgeht.

Diesmal nicht im übertragenen Sinne als trübe Konjunkturaussicht, sondern im ganz realen. Und die Angst ist real, seit die Bundesregierung vor einem Jahr, kurz nach dem Atomunfall von Fukushima, den deutschen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2022 verkündete. Das ist nicht viel Zeit. Zwar gehen mit den Atomkraftwerken nur 13 Gigawatt installierte Leistung vom Netz – von über 160 Gigawatt installierter Leistung.

Doch ein Problem der verkündeten Energiewende hat sich ja schon in den letzten Monaten offen gezeigt: Die Anlagen zur alternativen Energiegewinnung stehen zum großen Teil nicht dort, wo der erzeugte Strom gebraucht wird. Da können die Windkraftanlagen in Brandenburg und Mecklenburg rotieren, wie sie wollen – die Engpässe bestehen im deutschen Leitungsnetz. Der Strom kann nicht dahin transportiert werden, wo er in Spitzenzeiten gebraucht wird. 4.000 Kilometer Hochspannungsleitungen fehlen, referiert Hartmut Bunsen, Sprecher der Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlin. Gemeinsam mit den IHK aus Deutschland organisiert die Interessengemeinschaft das erste Ostdeutsche Energieforum, das am 10. und 11. Mai 2012 im Congress Center Leipzig (CCL) stattfindet.

Die Schirmherrschaft hat Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler übernommen. Er wird auch einen Vortrag halten. Genauso wie der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle, der ehemalige Bundesumweltminster Klaus Töpfer und der EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger. Vier von den Herren, die auch für das Dilemma stehen, in dem die deutsche Energiepolitik gerade steckt: Die Bundesregierung hat zwar die Energiewende verkündet. Doch auch ein Jahr nach Fukushima hat sie kein Konzept vorgelegt, wie diese “Wende” ausgestaltet werden soll.

Ein besonderes Lied davon kann Thomas Prauße singen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Leipziger Stadtwerke. Er hat seine eigene Folie mitgebracht, auf der all die schönen bunten Bausteine der neuen Energiewirtschaft aufgemalt sind – vom Smart Metering über die Alternativen Energien bis hin zu den neuen Speichermedien. Doch was da wie schöne neue Zukunft aussieht, kann alles nicht umgesetzt werden. Für neue Gaskraftwerke, die als Übergangstechnologie die alternativen Energien ergänzen sollen, fehlt die Planungssicherheit. “Drei Jahre”, sagt Prauße.”Da sagt jede Bank nein.”

Bauen würde er schon gern eins. Kostenpunkt: 100 Millionen Euro. Dafür braucht man, wie für jedes größere Kraftwerk, Betriebshorizonte von 25, 30 Jahren. Und: Deutschland braucht eigentlich Gaskraftwerke, um genau dann, wenn Sonne und Wind keine Energie produzieren, die Grundlast abzusichern. Das taten bislang die Atommeiler. Teilweise werden jetzt sogar Kohlekraftwerke wie das in Lippendorf dafür eingesetzt. Aber dafür sind die Kohlekraftwerke nicht gebaut. Den Wirkungsgrad von 45 Prozent erreichen sie nur, wenn sie dauerhaft in Volllast fahren. Nicht wenn ein Block auf Minimallast von 200 Megawatt arbeitet und der andere nur im Warmhaltemodus.

Die Kessel müssen heiß sein, wenn Wind und Sonne ausfallen als Energielieferant. Dann müssen sie sofort die Grundlast erzeugen können. “Es gibt eine fossile Technologie, die genau dafür bestens geeignet ist”, sagt Prauße. “Das ist das Erdgas.”Genau das hatte auch die Ethikkommission festgestellt, die im Mai 2011 tagte, als man den notwendigen Ersatz für die Atommeiler benennen sollte: “Die durch den Ausstieg aus der Kernenergie entstehende Versorgungslücke soll maßgeblich durch den Einsatz erneuerbarer Energien und Energieeffizienz sowie durch den Einsatz fossiler Energieträger, insbesondere Gas, geschlossen werden …”

Deswegen saß am Montag auch die Verbundnetz Gas AG mit am Tisch. Die sich mit einem wichtigen Thema der Energiezukunft sehr ernsthaft beschäftigt: Wie speichert man die überschüssige Energie aus Wind- und Solaranlagen? – Aber auch das Thema Energiespeicher hat die Bundesregierung bislang noch nicht angefasst. Was auch daran liegt, dass die beiden zuständigen Ministerien für Wirtschaft und für Umwelt im Kompetenzstreit liegen.

Deswegen fordern Topf und Bunsen auch einstimmig die Schaffung eines eigenständigen Energieministeriums. “So eine Aufgabe braucht einen Minister, der auch die Kompetenzen hat, sie umzusetzen.” Das Ergebnis für ein Weiter-So wäre wohl genau das, was mittlerweile nicht nur die Privathaushalte erleben, sondern auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen: Sie bezahlen die “Energiewende” mit ihren Stromkosten.

Das spezielle ostdeutsche Problem: Sie bezahlen noch immer an der Modernisierung der Energienetze nach 1990 ab. Der Umbau war nach 60 Jahren Verschleiß überfällig, ist in Teilen des Netzes auch noch nicht abgeschlossen. Über die Netzentgelte werden die Kosten auf den regionalen Strompreis umgelegt, so dass ostdeutsche Haushalte im Schnitt 7 Cent je Kilowattstunde Netzentgelte zahlen, 1 bis 2 Cent mehr als westdeutsche Haushalte.

Und da auch der Bau neuer Stromtrassen zu den staatlich regulierten Kosten gehört, droht auch der Ausbau des Stromnetzes, das den ostdeutschen Windstrom zu den Abnehmern in Bayern und Baden-Württemberg transportieren soll, fast ausschließlich ostdeutsche Haushalte zu belasten. Denn die Netzentgelte werden ja da “umgelegt”, wo die Netze entstehen.

Das kann nicht sein, meint der Leipziger IHK-Präsident Wolfgang Topf. Da brauche es dringend eine gesamtdeutsche Lösung.Und natürlich brauche es auch entsprechende Rahmenbedingungen. “Heute bauen wir 40 Kilometer Stromtrassen im Jahr”, merkt Bunsen an. “Wie wollen wir da 4.000 bis 2022 schaffen?” Da brauche es ein echtes Investitionsprogramm. Das fehlt genauso wie eine schlichte gesetzliche Lösung, welche Datenschnittstelle beim Smart Metering verwendet wird. “Wir haben die Smart-Produkte, aber wir können sie nicht einbauen, weil gesetzlich nicht geklärt ist, welche Datenschnittstelle verwendet wird”, sagt Thomas Prauße.

Die Bundesregierung hat zwar die Energiewende forsch verkündet. “Doch bis heute gibt es kein Konzept dafür”, kritisiert Bunsen. Und er wird nicht der einzige sein, der von den eingeladenen Politikern endlich ein paar Antworten hören will. Von den Technikern wird es am 10. und 11. Mai Antworten geben, durchaus unterschiedliche, denn die großen Energiekonzerne sind mit Vattenfall genauso vertreten wie die Energie-Börsenleute von der EEX, Vertreter der Stadtwerke, die im Energiemix eine wichtige Rolle spielen, und Deutschlands einziger Automobil-Experte, Ferdinand Dudenhöfer. Aber das Thema E-Auto mit all seinen Speicherkapazitäten gehört natürlich auch dazu.

Die Sache einfach auszusitzen und über immer höhere Abgaben auf den Strom einfach an die Endkunden weiterzureichen, das könne nicht die Lösung sein, so Wolfgang Topf. Und Thomas Prauße verweist darauf, dass die Leipziger Stadtwerke sich schon längst darauf vorbereiten, dass es Ausfälle im überregionalen Stromnetz gibt. Im September 2011 haben sie zum ersten Mal einen Test mit einer Netzinselschaltung durchgeführt – um herauszubekommen, ob größere Teile Leipzigs vom eigenen GuD-Kraftwerk versorgt werden können, wenn überörtliche Stromlieferungen ausfallen.

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600 bis 800 Gäste – vor allem Unternehmer aus Ostdeutschland – erwarten die Veranstalter am 10. und 11. Mai zum “Ostdeutschen Energieforum” im CCL. Die Karte kostet 500 Euro. “Ist für ein kleines Unternehmen viel Geld”, sagt Bunsen, “deswegen wird es für kleine Unternehmen Firmenkarten geben.”

Vier Forderungen haben die Veranstalter schon einmal vorab formuliert. Dazu gehört der schnelle Ausbau des Übertragungs- und Verteilnetzes, die (zentrale) Koordinierung des Netzausbaus und der Standortwahl für neue Kraftwerke, die Wahl ökonomischer und bezahlbarer Lösungen und die Integration ins europäische Netz. Denn wenn Deutschland es nicht packt, bis 2022 verlässliche Strukturen aufzubauen, werden Stromimporte aus den Nachbarländern gebraucht.

Und Wolfgang Topf kündigt für den Fall, dass die hohe Politik auch nach diesem Forum beratungsresistent bleibt und kein durchdachtes Konzept zu Stande bringt, schon mal an, dass das Ostdeutsche Energieforum regelmäßig stattfinden wird. “Mindestens jedes Jahr”, sagt Topf. “Wir haben einfach keine Zeit mehr. Wenn wir warten, bis sich die Parteien nach der Wahl wieder zusammengerauft haben, ist 2015.” Dann sind es nur noch sieben Jahre, bis der letzte Atommeiler vom Netz geht.

www.ostdeutsches-energieforum.de

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