Auf diese Palme hätte das rekordversessene Sachsen sicher gern verzichtet: Die Gewerbe- und Industriestrompreise im Freistaat sind die vierthöchsten in Europa. Nur in Italien, auf Malta und Zypern müssen Unternehmen für ihren Stromverbrauch noch mehr berappen. Das geht aus der Studie "Energiesituation der sächsischen Wirtschaft" hervor, die vom Leipziger Institut für Energie GmbH (IE) im Auftrag der drei Industrie- und Handelskammern im Freistaat erarbeitet und am Mittwoch, 13. März, vorgestellt wurde.

IE-Geschäftsführer Werner Bohnenschäfer bescheinigte Sachsen denn auch die “negative Spitze bei den Strompreisen in Europa.”

Die Bremsspur, die von diesem Kostenfaktor herrührt, ist unübersehbar: Elf Prozent der befragten Unternehmen erwägen eine Produktionsverlagerung als Reaktionsmöglichkeit, darunter sieben Prozent als bedeutenden und vier Prozent als sehr bedeutenden Faktor. Abwanderungen von Unternehmen wegen der hohen sächsischen Strompreise seien nicht zu erwarten, beschwichtigte Bohnenschäfer nach zwanzig harten Jahren des Strukturwandels, aber dass zusätzliche Produktionskapazitäten im strompreisgünstigeren Ausland errichtet würden, sei schon erkennbar, betonte der Marktbeobachter. Die Hälfte der Unternehmen aus dem Metallbereich denkt über Verlagerungen nach, wenn sich bei den sächsischen Strompreisen nichts Kostensparendes tut, heißt es in der Leipziger IHK. Ob jedoch das hiesige Strompreisniveau in Einzelfällen bereits eine geplante Ansiedlungsentscheidung verhindert habe, sei nicht bekannt.

Der Zeitraum, in dem 5.850 IHK-Mitgliedsunternehmen ihre Meinung sagten und mit Fakten untermauerten, erstreckte sich von Juni 2012 bis Januar 2013. Die von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) ins Spiel gebrachte Energiepreisbremse konnte deshalb noch keine Rolle spielen, doch ob sie überhaupt Wirkung zeigen würde, ist ohnehin fraglich.

Über einen Zeitraum von 1997 bis 2011 kommen die Leipziger Analytiker des Strommarktes zu dem Schluss, dass in Sachsen die Wirtschaftsleistung in diesem Zeitraum deutlich anstieg, der Endenergieverbrauch der sächsischen Wirtschaft jedoch gesunken sei. Über anderthalb Jahrzehnte hinweg sei es gelungen, die Energieintensität pro Jahr im Schnitt um ein Prozent zu senken. Im Bundesdurchschnitt seien es im selben Zeitrum in jedem Jahr nur 0,6 Prozent gewesen, hob Geschäftsführer Bohnenschäfer hervor. Die vielen neuen Produktionsanlagen insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe hätten dazu beigetragen, die Energieintensität deutlich zu verringern, wobei dieses Potenzial nunmehr wohl ausgeschöpft ist. Höhere Energieeffizienz müsse künftig verstärkt in bestehenden Produktionsprozessen und Energieanwendungen erschlossen werden.Denn Entwarnung kann keineswegs gegeben werden. Ein Prozent höhere Netznutzungsentgelte zum Beispiel zahlen die Sachsen im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt für jede Kilowattstunde. An diesem strukturellen Nachteil wird sich so schnell nichts ändern, weil sämtliche bereits avisierten Kostentreiber bundesweit einen synchronen Trend nach oben zeigen.

Abnehmer in Gewerbe und Mittelstand mit einem Jahresstrombedarf von 20 Megawattstunden müssen zwischen 2012 und 2020 mit einer Steigerung ihrer Brutto-Strompreise um 26 Prozent auf 26,1 Cent je Kilowattstunde rechnen. Ein sattes Plus von 32,3 Prozent auf dann 17,5 Cent je Kilowattstunde droht industriellen Mittelständlern mit einem Jahresverbrauch von 500 Megawattstunden innerhalb von acht Jahren. Preistreiber seien nicht die “marktlichen” Bestandteile des Strompreises – also die echten Kosten -, sondern alles, was der Staat an diversen Steuern und Umlagen draufpackt.

IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Hofmann versucht unter dem Strich einen diplomatischen Spagat. Klares Bekenntnis zur Energiewende, aber gekoppelt mit der Forderung, dass der Weg zur Energiewende korrigiert werden muss. Die Nutzungsentgelte für die Stromtrassen müssten bundesweit fairer verteilt werden, und das Agieren auf auswärtigen Märkten sollte entscheidend für die Befreiung von diversen Ökostromumlagen sein, lauten zwei Kernforderungen.

Am 29. und 30. April sollen die sächsischen Forderungen den beiden anwesenden Bundesministern Rösler (FDP) und Altmaier (CDU) auf dem ostdeutschen Energieforum ins Stammbuch geschrieben werden. Denn immerhin sei 2013 ja ein Wahljahr mit Resonanz-Chancen im politischen Raum, und außerdem untermauere die vorgelegte Studie ja nun mit konkreten Fakten die kritisch hohen sächsischen Strompreise und ihre Folgen für die Unternehmenswelt.

Ein zusätzlicher Wermutstropfen ist, dass die sächsische Wirtschaft auf Grund ihrer Kleinteiligkeit statistisch nur in dem Teil erfasst wird, der mehr als zehn Beschäftigte pro Unternehmen zählt. Und das sind nur rund zehn Prozent aller Firmen. Man kann die Zahl auch so lesen: 90 Prozent leiden still – unter den hohen sächsischen Strompreisen. Wie auskömmlich oder nicht sich damit wirtschaften lässt, ist und bleibt die große Frage.

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