Diesmal war Vattenfall ganz fix. Kaum war der neue Bericht der Health and Environment Alliance (HEAL) am Mittwoch, 24. April, auch in deutscher Sprache verfügbar, gab es den Kommentar aus dem Hause Vattenfall: "Umfangreiche Untersuchungsdaten einer vom europäischen technischen Fachverband der Strom- und Wärmeerzeuger VGB Powertech in Auftrag gegebenen Studie zu umweltmedizinischen Aspekten der Stromerzeugung aus Kohle , die unter Mitwirkung des TÜV Rheinland entstanden ist, haben gezeigt, dass es durch den jahrzehntelangen Betrieb von Kohlekraftwerken zu keiner relevanten Anreicherung von Schadstoffen in der Umwelt kommt."

“Insgesamt haben die Kraftwerke in Deutschland einen Anteil von weniger als sechs Prozent an allen Feinstaubemissionen”, so Vattenfall. “Den weitaus größeren Beitrag stellen Industrieprozesse mit 37 Prozent. Es folgen der Verkehr mit 18 Prozent, die Landwirtschaft mit 17 Prozent und andere Feuerungsanlagen mit 15 Prozent.”

“Die Feinstaubkonzentration in Deutschland wird durch die Kohlekraftwerke nicht maßgeblich beeinflusst. Selbst wenn Vattenfall alle Kohlekraftwerke außer Betrieb nehmen würde, würde das zu keiner spürbaren Verbesserung der Luftqualität führen”, beruft sich Hubertus Altmann, Kraftwerksvorstand der Vattenfall Europe Generation AG, auf die Erkenntnisse der von TÜV Rheinland erarbeiteten Studie. Doch Feinstaub ist nicht gleich Feinstaub. Gesundheitsschädlich sind die Ruß-Anteile im Feinstaub. Deswegen ist der Verweis auf Landwirtschaft und andere Industrieprozesse auch nicht stimmig.

In der von Greenpeace vor drei Wochen vorgestellten Studie wurde den Emissionen der Kohlekraftwerke sogar etwas mehr Todesfälle zugeschrieben. “Die Studie berechnet durch eine Modellierung der Schadstoffverbreitung in der Atmosphäre, dass die Emissionen deutscher Kohlekraftwerke jedes Jahr zum vorzeitigen Tod von ungefähr 3.100 Menschen führen. Dies ist gleichbedeutend mit einem Verlust von insgesamt 33.000 Lebensjahren”, teilte Greenpeace dazu mit.

Die HEAL-Studie kommt jetzt zu einer etwas geringeren Zahl: “Emissionen aus europäischen Kohlekraftwerken tragen in bedeutender Weise zur Krankheitslast durch Umweltverschmutzung bei. Die in diesem Bericht veröffentlichten aktuellen Zahlen zeigen, dass EU-weit jährlich über 18.200 vorzeitige Todesfälle und über 8.500 neue Fälle von chronischer Bronchitis auf die Verfeuerung von Kohle zurückzuführen sind und mehr als 4 Millionen Arbeitstage verloren gehen. Die wirtschaftlichen Kosten der gesundheitlichen Schäden werden für Europa auf bis zu 42,8 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Zählt man die Emissionen von Kohlekraftwerken in Kroatien, Serbien und der Türkei hinzu, erhöhen sich die Zahlen auf 23.300 vorzeitige Todesfälle, was 250.600 verlorenen Lebensjahren entspricht, während die Gesamtkosten 54,7 Mrd. jährlich betragen. In Deutschland gehen jährlich etwa 2.700 Todesfälle und mehr als 600.000 verlorene Arbeitstage auf das Konto der Kohleabgase. Die externen Kosten deutscher Kohlekraftwerke für die menschliche Gesundheit werden auf 2,3 bis 6,4 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.”Zu den von der HEAL-Studie aufgezählten 20 gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerken Europas gehört auch das im Süden Leipzigs gelegene Kraftwerk Lippendorf mit einem rechnerischen Ausstoß von 108 Tonnen Feinstaub (PM10) im Jahr, 1.070 Kilogramm Quecksilber, 13.800 Tonnen Schwefeldioxid und rund 8.570 Tonnen Stickoxiden.

Es geht also nicht nur um Feinstaub, auch wenn Vattenfall darauf dezidiert eingeht: “Im Kraftwerkspark von Vattenfall wurden mehrere Milliarden Euro in Modernisierungs- und Neubaumaßnahmen von Kraftwerken investiert. Dadurch konnten die Emissionen drastisch reduziert werden. In allen Braunkohlekraftwerken unterschreitet Vattenfall die gesetzlich vorgegebenen Emissionsgrenzwerte deutlich. So liegen die Stickoxidemissionen 15 Prozent unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwert, die Schwefeldioxidemissionen 45 Prozent niedriger. Bei Staub wird der Wert sogar um 50 Prozent unterschritten.”

Und beim Feinstaub geht es nicht so sehr um den Feinstaub an sich, sondern besonders um die Polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAKs), also die direkten Verbrennungsrückstände, die krebserregend sind, und im Fall Lippendorf eben auch um Quecksilber. Vattenfall überlegt aktuell, den von ihm betriebenen Kraftwerksblock im Kraftwerk Lippendorf zu verkaufen.

Besonders sensibel reagiert Vattenfall, weil es zum Beispiel im Süden Hamburgs gerade das neue Steinkohlekraftwerk Moorburg baut, “Vattenfalls modernstes Kohlekraftwerk und eine der umweltfreundlichsten Anlagen ihrer Art”. Solche Investitionen laufen über Jahre. Und brauchen Jahrzehnte, um ihre Investitionskosten wieder einzuspielen.

HEAL fordert mit seiner Studie auch kein sofortiges Abschalten der Kohlekraftwerke, sondern ein Moratorium zum Bau neuer Kraftwerke. Die bestehenden sind derzeit locker in der Lage, Deutschland mit dem notwendigen Strom zu versorgen. 2012 hat Deutschland sogar eine Rekordmenge an Kohlestrom exportiert.

Die Vattenfall-Meldung: http://corporate.vattenfall.de/de/pressemitteilungen-detailseite.htm?newsid=3BE2135E18354DBDA7C4D0CB32A915E8

Meldung zur HEAL-Studie: www.env-health.org/news/latest-news/article/wie-schadigen-kohlekraftwerke

Die HEAL-Studie: www.env-health.org/IMG/pdf/heal_coal_report_de.pdf

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