Da staunte auch der Wirtschaftsminister und griff gleich zu: Das muss man doch der Welt vermelden, dass Sachsen 2016 beim Wirtschaftswachstum ganz vorne mit dabei war, knapp hinter Berlin. Da wächst was! „Im vergangenen Jahr ist die sächsische Wirtschaft um 2,7 Prozent gewachsen und liegt damit wieder deutlich über Bundesdurchschnitt“, meldete das sächsische Wirtschaftsministerium am Donnerstag.

Für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig sind diese Zahlen ein Grund zur Freude: „Die sächsische Wirtschaft ist gut aufgestellt und holt weiter auf. Zum dritten Mal in Folge verzeichnet Sachsen ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum.“

Die Zahlen stammen vom Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“, in dem alle Statistischen Landesämter vertreten sind. Danach ist im vergangenen Jahr das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Indikator für die gesamtwirtschaftliche Leistung im Freistaat Sachsen gegenüber 2015 um 2,7 Prozent (preisbereinigt) gestiegen. Die Entwicklung im Freistaat Sachsen lag damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 1,9 Prozent und gemeinsam mit Berlin an der Spitze aller Bundesländer.

Man kann sich an solchen Zahlen ja berauschen. Aber was erzählen sie wirklich?

Wirtschaftswachstum kommt nicht aus dem Nichts, sondern beschreibt Prozesse. Und Sachsen liegt auch nicht erst seit 2016 in der Spitzengruppe, sondern schon seit 2010. Vorher kleckerte Sachsen in der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts hinterher.

Eigentlich bis 2013 sogar, als ein besonderer Effekt die sächsische Entwicklung einholte: Das Aufblähen des prekären Beschäftigungssektors fand ein Ende. Das Niedriglohnland fand auf einmal keinen Nachschub an Facharbeitskräften mehr und musste umsteuern.

Was dazu führte, dass Sachsen nunmehr das dritte Jahr in Folge ein im Vergleich zu Gesamtdeutschland überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum aufweist. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen ein für Sachsen unerwartet kräftiges Wachstum, das auch deutlich über dem von ifo noch im Dezember 2016 prognostizierten Wert von 1,7 % liegt. Positiv sei, dass alle größeren Wirtschaftsbereiche zu dieser Entwicklung beigetragen haben, meint das Ministerium.

Und man wundert sich nicht einmal.

Denn eigentlich zeigen die Details, dass sich da etwas entwickelt, was die sächsische Staatsregierung nicht so recht auf dem Kieker hatte. Und das ifo Institut schon gar nicht.

Denn für gewöhnlich dreht sich sächsische Wirtschaftspolitik immer wieder nur um Export. Wirtschaftsdelegationen reisen in alle Welt, verkünden tolle Vertragsabschlüsse.

Aber die eigentliche wirtschaftliche Stabilisierung passiert im Land.

Das Wachstum in Sachsen war 2016 vor allem durch eine überdurchschnittliche Entwicklung der Bruttowertschöpfung (BWS) im Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation (+4,0 %), dem Verarbeitenden Gewerbe (+3,3 %) und dem Baugewerbe (+4,9 %) beeinflusst, fasst das Wirtschaftsministerium zusammen.

Das Statistische Landesamt hatte noch eingeschränkt: „Das sächsische Baugewerbe konnte mit einem realen Anstieg um 4,9 Prozent deutlich zulegen, blieb aber in der Auswirkung auf die Entwicklung des BIP hinter den genannten Branchen zurück.

Denn das Baugewerbe trägt bei aller öffentlichen Sichtbarkeit nur 8 Milliarden Euro zum Gesamtergebnis bei, das 2016 immerhin bei 118 Milliarden Euro lag. Die Zeit, dass in Sachsen weniger als 100 Milliarden Euro umgesetzt wurden, liegt noch nicht lange zurück. Das war nämlich 2011. Seitdem haben die Zahlen in (fast) allen Bereichen angezogen.

Keine Branche aber sticht so heraus, dass man sagen kann, dass Sachsen hier eine besonders glückliche Ansiedlungspolitik betrieben hätte. Im Gegenteil. Die Zahlen deuten darauf hin, dass die sächsische Entwicklung ganz ähnlich wie in Berlin von der Entwicklung in der Dienstleistung getrieben wird und durch die Lohnstabilisierung in vielen Branchen, in denen über Jahre prekäre Beschäftigung dominiert hat. So wie im Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation, der stark auf die Großstädte fokussiert ist und wo die Jobbewerber jetzt wirklich die Wahl haben zwischen den Angeboten.

Die sächsische Wirtschaft stabilisiert sich in den Dienstleistungsknoten der Großstädte. Das treibt die Entwicklung voran und sorgt derzeit für (scheinbar) überproportionales Wachstum, das man auch schlicht einen Nachholeffekt nennen könnte. Denn steigende Lohnangebote spielen gerade in der Dienstleistung auch stark in die BIP-Entwicklung hinein: Dienstleistungen werden teurer, Umsätze steigen, der Konsum zieht an.

Und der 2015 eingeführte Mindestlohn spielt gerade hier auch eine kleine Rolle.

Mit 118 Milliarden Euro hat Sachsen zwar die reiche Stadt Hamburg mit 110 Milliarden Euro hinter sich gelassen, hat aber noch ein Stück weit Luft bis zu Berlin mit 129 Milliarden oder Rheinland-Pfalz mit 139 Milliarden. Immerhin ist das Platz 8 unter den Bundesländern, auch wenn das BIP in Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen noch ungefähr vier-, fünf- und sechsmal höher ist.

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