Was ist da los? „Energieschock und Inflation. Deutsche Wirtschaft rutscht in Rezession“, titelte der „Spiegel“ am Donnerstag, dem 25. Mai. Und legte gleich nach: „Die deutsche Wirtschaft schrumpfte zwei Quartale in Folge – das zeigen neue Daten des Statistischen Bundesamts. Ein Grund: die mangelnde Kauflaune der Verbraucher.“ Das war wie ein Elfmeter für Finanzminister Christian Lindner. Jetzt soll die Politik auf einmal helfen.

„Deutschland drohe auf Abstiegsplätze abzurutschen. Deswegen brauche es jetzt auch eine wirtschaftspolitische Zeitenwende, nachdem es diese bereits in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gegeben habe nach dem russischen Angriff auf die Ukraine“, sagte er gleich nach Aufploppen der Meldung. Ganz so, als hätte er nur drauf gewartet. Oder kann er gar nicht rechnen?

Eine vielleicht nicht ganz unberechtigte Frage. Sie kann auch den Leuten gelten, die den „Spiegel“-Artikel und die zugrunde liegende Reuters-Meldung verzapft haben. Sie schrieben da einfach so hin: „Die deutsche Wirtschaft ist nun doch in eine Rezession gerutscht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte von Januar bis März um 0,3 Prozent zum Vorquartal und damit das zweite Vierteljahr in Folge, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte.“

Und dann zitierten sie die üblichen Institutionen, die in Deutschland sowieso schon fürs Schwarzmalen verantwortlich sind.

Das schöne Wörtchen „preisbereinigt“

Aber was hat das Bundesamt für Statistik da tatsächlich errechnet? Scheinbar genau das: „Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im 1. Quartal 2023 gegenüber dem 4. Quartal 2022 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – um 0,3 % gesunken. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, fiel die Wirtschaftsleistung zum Jahresbeginn damit um 0,3 Prozentpunkte schwächer aus als in der Schnellmeldung vom 28. April 2023 berichtet.“

„Nachdem das BIP bereits zum Jahresende 2022 ins Minus gerutscht war, verzeichnete die deutsche Wirtschaft damit zwei negative Quartale in Folge“, lässt sich Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, zitieren.

Erst wenn man weiterliest in der Meldung des Statistischen Bundesamtes merkt man, dass die ganze Zeit von preisbereinigten Zahlen die Rede ist. Das fällt nicht weiter auf, weil das Bundesamt regelmäßig so berichtet, um inflationsbedingte Preisschwankungen auszuschließen.

Aber 2022 war ein besonderes Jahr. Jeder erinnert sich, wie im Herbst die Preise nicht nur für Energie in die Höhe schossen. In Spitzenzeiten meldeten die statistischen Ämter eine Teuerung von 10,5 Prozent, die dann Auslöser für die heftigen Tarifauseinandersetzungen Anfang 2023 waren. Denn so eine Teuerung ging gerade bei Geringverdienern ans Eingemachte.

Die heftigen Preissteigerungen ab Herbst 2022

Am Jahresende standen 7,7 Prozent auf der Uhr. Hier die Meldung des sächsischen Landesamtes für Statistik dazu: „Im Verlauf des zurückliegenden Jahres haben sich die sächsischen Verbraucherpreise gegenüber 2021 voraussichtlich um 7,7 Prozent erhöht. Damit lag die durchschnittliche Jahresteuerungsrate mehr als doppelt so hoch wie 2021 (3,1 Prozent) und erreichte einen Wert, der bisher nur 1992 (14,0 Prozent) und 1993 (10,7 Prozent) übertroffen wurde.

Insbesondere die Preissteigerungen für Energieprodukte (29,6 Prozent) und Nahrungsmittel (14,9 Prozent) sorgten im zurückliegenden Jahr für diese Entwicklung. Ohne deren Einfluss hätte die durchschnittliche Jahresteuerung lediglich 4,1 Prozent betragen.“

Das heißt: Wer diese Inflationsraten einfach herausrechnet, interpretiert die Daten für 2023 falsch. Denn von Kaufzurückhaltung in diesem Sinn kann überhaupt keine Rede sein, auch wenn viele Menschen sich so manche Geldausgabe lieber verkniffen, weil sie das Geld schon beim Stromversorger und im Supermarkt ließen.

Welche Dimension das hat, liest man freilich erst ganz am Ende der Meldung des Statistischen Bundesamtes.

Da steht: „In jeweiligen Preisen gerechnet war das BIP im 1. Quartal 2023 um 6,0 % und das Bruttonationaleinkommen um 6,1 % höher als ein Jahr zuvor. Das Volkseinkommen war um 7,5 % höher als im 1. Quartal 2022.“ Unternehmen und Verbraucher gaben also deutlich mehr Geld aus als vor einem Jahr. Das BIP war nach realen Preisen also höher.

Tatsächlich ein deutlich höheres BIP – in realen Preisen

In ganz realen Zahlen: Setzte die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal 2022 noch 941,09 Milliarden Euro um, so waren es im ersten Quartal 2023 schon 997,86 Milliarden Euro. Für Waren und Dienstleistungen wurden also fast 60 Milliarden Euro mehr ausgegeben als vor einem Jahr. Und das, obwohl zum Beispiel die Bauwirtschaft barmt, weil viele Bauprojekte aufgrund der Preisentwicklung storniert wurden.

Die Verbraucher jedenfalls habe sich keineswegs zurückgehalten beim Kaufen – sie haben nur deutlich mehr Geld für den ganz alltäglichen Bedarf hinblättern müssen.

Und da haben die Lohnerhöhungen, die 2023 wirksam wurden, nur einen Teil aufgefangen.

Das Bundesamt für Statistik dazu: „Dabei stieg nach vorläufigen Berechnungen das Arbeitnehmerentgelt um 6,3 %; die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nahmen um 9,9 % zu.“

Da darf man kurz Luft holen, denn auf einmal wird auch sichtbar, dass einige Unternehmen, die so gern bei Konjunkturumfragen befragt werden, gar keinen Grund zum Barmen haben. Sie haben von den gestiegenen Preisen sogar profitiert und ihre Gewinne steigern können.

Es gibt also überhaupt keinen Grund, dass jetzt ausgerechnet der Bundesfinanzminister staatliche Aktivitäten fordert, die Wirtschaft irgendwie anzukurbeln.

Zeit, die Preise wieder zu senken

Im Gegenteil: Einige Unternehmen sind jetzt erst einmal dran, ihre Preise wieder zu senken, denn der Gaspreis, der 2022 der Hauptantrieb für die Inflation war, ist auf den niedrigsten Stand seit 2021 gefallen. Das sollte eigentlich nach und nach Entspannung bei den Verbraucherpreisen bringen.

Die Entspannung macht sich aber erst nach und nach bemerkbar, wie das Statistische Bundesamt im April meldete: „Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) waren die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte im März 2023 um 7,5 % höher als im März 2022. Im Februar 2023 hatte die Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahresmonat noch bei +15,8 % gelegen. Gegenüber dem Vormonat sanken die Erzeugerpreise im März 2023 um 2,6 %. Damit waren sie im sechsten Monat in Folge rückläufig.“

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