Medien können ganz schön Panik verbreiten. Dafür war das Jahr 2022 geradezu typisch. Ein Jahr, das scheinbar nahtlos die Krisenjahre 2020 und 2021 fortsetzte. Und da helfen dann auch Fakten wenig: Wenn Unsicherheit um sich greift und die Alarmmeldungen nicht abreißen, dann reagieren auch die Leipzigerinnen und Leipziger höchst sensibel. Die Bürgerumfrage 2022 hat das sehr deutlich gemacht. Am Freitag, dem 12. Mai, wurde der Vorabbericht zur Bürgerumfrage vorgestellt.

„Die Lebenszufriedenheit der Leipzigerinnen und Leipziger hat sich in den vergangenen drei Jahren verschlechtert: So gaben zuletzt noch 70 Prozent der Befragten an, sie seien mit ihrem Leben zufrieden oder sehr zufrieden. 2019 hatte dieser Wert einen Höchststand von 80 Prozent erreicht“, fasst das Amt für Statistik und Wahlen den Befund für die letzten Jahre zusammen.

Und die sinkende Lebenszufriedenheit hat auch Folgen für die Zukunftssicht. Denn wenn man schon im Alltag ein mulmiges Gefühl hat – was soll dann erst in Zukunft kommen?

„56 Prozent blickten zum Zeitpunkt der Befragung optimistisch in die Zukunft, 2019 lag dieser Wert ebenfalls zehn Prozentpunkte höher“, so die Zusammenfassung des Statistik-Amtes.

Globale Krisen sorgen für mehr Pessimismus und Ohnmachtsgefühl

„Die letzten eng aufeinander folgenden globalen Krisen gingen auch an den Leipzigerinnen und Leipzigern nicht spurlos vorbei“, versucht Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning das Phänomen zu erklären.

„Im dritten Pandemiejahr und angesichts des Angriffskrieges auf die Ukraine sind sie etwas pessimistischer als noch zuletzt. Gleichwohl: Mehr als zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger sind zufrieden mit ihrem Leben in Leipzig. Als Verwaltung wollen wir denen, die sich sorgen, die Ängste nehmen und allen die Stabilität bieten, die es gerade in turbulenten Zeiten braucht.“

Die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage durch die befragten Leipziger 2022. Grafik: Stadt Leipzig, Vorabbericht zur Bürgerumfrage 2022
Einschätzung der wirtschaftlichen Lage durch die befragten Leipziger 2022. Grafik: Stadt Leipzig, Vorabbericht zur Bürgerumfrage 2022

Wobei er die psychische Belastung der Befragten nicht ausblendet. Denn bei Fragen zu Einkommen und zum Erwerbsleben waren, so Hörning, die Leipziger Zahlen „nie so gut wie seit der Friedlichen Revolution“. Materiell geht es den meisten Leipzigern also nicht schlecht.

Aber Politik wird am Ende mit Gefühlen gemacht. Das weiß auch Oberbürgermeister Burkhard Jung, den Hörning mit den Worten zitiert, man müsse wahrnehmen, „was den Menschen in den Knochen steckt“. Man kann es nicht einfach ignorieren. Und dabei hilft normalerweise auch die jährliche Bürgerumfrage.

Bauchgefühl für Wirtschaft

Die auch jedes Mal beweist, dass Menschen ihre Umwelt nicht rein rational einschätzen, sondern nach Gefühlen. Und wenn sie in einer Welt der permanenten Krisenberichterstattung leben, dann beeinflusst das eben auch ihre Einschätzung der wirtschaftlichen Situation der Stadt. Und die ist seit 2019 im Sinkflug.

Völlig im Widerspruch zur tatsächlichen Produktivität der Stadt, zur Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Gehälter. Aber die Nachrichtenlage suggeriert Jahr für Jahr etwas anderes. Alarmmeldungen und Warnungen vor Krisen und Katastrophen finden auch bei den Medienmachern höhere Aufmerksamkeit. Also werden damit Blogs, Sendungen und Seiten gefüllt.

Logisch, dass die andauernde Alarmstimmung bei den Befragten das Gefühl auslöst, alles gehe den Bach runter.

Und während der Blick auf die persönliche wirtschaftliche Situation bis 2021 mit über 60 Prozent positiver Sicht sogar recht stabil war, rauschte die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der Stadt von 59 Prozent positiver Einschätzung 2018 Jahr für Jahr tiefer in den Keller, um 2022 bei 30 Prozent zu landen.

Mit den realen wirtschaftlichen Entwicklungen hat das nur bedingt zu tun.

Realistisch ist nur der starke Knick in der Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Situation von 2021 zu 2022, als die positiven Einschätzungen von 61 auf 50 Prozent abstürzten. Denn die massiv steigenden Preise für Energie und täglichen Einkauf haben ja tatsächlich viele Leipziger in finanzielle Bedrängnis gebracht. Und zwar besonders jene mit niedrigen Einkommen, die jetzt besonders zu spüren bekamen, was es heißt, wenn der tägliche Einkauf 25 Prozent teurer wird.

Denn Inflation ist niemals für alle dieselbe Inflation. Wer ohnehin schon auf viele Dinge verzichten muss, die im statistischen Warenkorb wie selbstverständlich vorhanden sind, der erlebt Preissteigerungen im täglichen Bedarf viel härter und gnadenloser. Ungelernte und Berufsfremde traf das Jahr 2022 also ähnlich hart wie Studentinnen und Studenten, aber auch Selbstständige, die schon in den beiden Corona-Jahren heftig gebeutelt wurden.

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