69 Prozent der Leipziger fühlen sich beim Radfahren in Leipzig gefährdet. Das war eines der zentralen Ergebnisse des ADFC-Fahrradklimatests 2021. Womit er nur mit Zahlen auf den Punkt brachte, was Leipziger Radfahrer seit Jahren kritisieren und auch Bürgerumfragen immer wieder bestätigen. Im neuen Quartalsbericht Nr. 2/2022 versucht nun Laura Häbold aufzudröseln, welche Faktoren möglicherweise bei den Radverkehrsunfällen in Leipzig eine Rolle spielen.

Sie ist Studierende der Geografie an der Universität Leipzig. Ihre Analyse ist im Rahmen des Oberseminars „Kommunale Statistik und Stadtforschung“ entstanden. Arbeiten kann sie natürlich nur mit den Daten, die zum Beispiel der Unfallatlas des Statistischen Bundesamtes zur Verfügung stellt.

Dort ist natürlich nicht ersichtlich, wie löcherig, unsicher oder falsch dimensioniert Radverkehrsanlagen in Leipzig sind. Was die Teilnehmer des ADFC-Fahrradklimatests also im konkreten Straßenraum als Gefährdung erleben.

Dort sieht man bestenfalls Unfallschwerpunkte, also Straßenabschnitte, wo Radfahrer besonders häufig in Unfälle verwickelt werden. Meistens mit Kraftfahrzeugen. Wenn Laura Häbold jetzt die Jahre 2017 bis 2021 näher beleuchtet, kommen auch noch zwei Corona-Jahre hinzu, in denen die Zahl der Radverkehrsunfälle unübersehbar sank.

Aber das erlaubt eben noch keine Aussage darüber, dass die Unfallhäufigkeit in Leipzig tatsächlich sinkt. Auch wenn die Autorin das vorsichtig als Interpretation nahelegt.

Dabei macht die Statistik eine ganz zentrale Ursache für vermehrte Radunfälle sehr deutlich sichtbar. Aber es sind nicht die beginnenden Uni-Semester und es ist auch nicht die Witterung, auch wenn Radfahren stark von der Witterung abhängt.

Radverkehrsunfälle in Leipzig 2016 bis 2021. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 2 / 2022
Radverkehrsunfälle in Leipzig 2016 bis 2021. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 2/2022

„Ob ein sinkender Trend der absoluten Anzahl der Radunfälle erkennbar ist, ist unsicher, da nur ein kurzer Zeitraum betrachtet wird. Zwar sinkt die Unfallzahl nach 2018, zu bedenken ist aber auch der Einfluss der Corona-Pandemie in 2020 und 2021 und deren Auswirkungen auf den Verkehr“, schreibt Laura Häbold in ihrem Beitrag.

„Besonders in der ersten Coronawelle von März 2020 bis Anfang Mai 2020 gab es weniger Verkehr in der Stadt, durch Ausgangsbeschränkungen und der Verlegung von Arbeit und Schule nach Hause. Das geringere Verkehrsaufkommen kann sich dadurch positiv auf die Unfallzahl ausgewirkt haben, indem weniger Unfälle auftraten. Im Allgemeinen können sich weitere Faktoren wie der Ausbau des Radnetzes für mehr Sicherheit und Aufmerksamkeit im Straßenverkehr sowie eine veränderte Verkehrsmittelnutzung auf die Unfallquote auswirken.“

Nur kann sie mit den verfügbaren Daten die Auswirkungen beim – nach wie vor schleppenden – Ausbau des Radnetzes nicht darstellen.

Jahreszeiten, Wochentage

Weshalb sie vor allem Dinge untersucht wie den Zusammenhang zwischen Radnutzung und Unfallhäufigkeit auf Grundlage des jährlich ermittelten Modal Split. Aber einen wirklichen Zusammenhang findet sie hier nicht. Die Unfallhäufigkeit steigt nicht wirklich mit steigender Radnutzung.

Radverkehrsunfälle im Jahresverlauf. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 2 / 2022
Radverkehrsunfälle im Jahresverlauf. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 2/2022

Nur der Jahresverlauf spielt hier eine Rolle: Wenn es im Frühjahr warm wird, steigen mehr Leipziger/-innen aufs Fahrrad um und sind damit auch häufiger im Berufsverkehr unterwegs.

Mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Verkehrsunfälle mit Radfahrerbeteiligung im Jahresverlauf bis zum Sommer ansteigt und ab den Sommerferien wieder zurückgeht. Und auch wenn die Zahlen von Jahr zu Jahr schwanken, ist das Muster jedes Jahr ganz ähnlich. Manchmal beeinflusst durch frühe warme Frühlingsmonate, aber auch durch kalte und regnerische Sommermonate.

Aber darauf hat eine Stadt nur bedingt Einfluss.

Als nächstes untersuchte Laura Häbold die Häufung von Radunfällen im Wochenverlauf.

„Als weitere Variable wurde die jährliche Verteilung der Unfälle auf die Wochentage betrachtet. Abbildung 4 zeigt die Anzahl der Radunfälle pro Tag. Hierbei ist zu erkennen, dass an den Wochenendtagen Samstag und Sonntag verhältnismäßig wenige Unfälle geschehen im Vergleich zu den Werktagen“, schreibt sie.

Eine Aussage, die wir uns an dieser Stelle einfach merken. „Die Unfallzahlen verteilen sich dabei recht gleichmäßig über die Tage. Die Jahre unterscheiden sich nur leicht voneinander. Im Mittel entfallen auf jeden einzelnen Werktag zwischen 140 bis 160 Unfälle pro Jahr. Die Abweichung donnerstags im Jahr 2021 ist auffällig, eine mögliche Erklärung fehlt jedoch.“

Radverkehrsunfälle im Wochenverlauf. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 2 / 2022
Radverkehrsunfälle im Wochenverlauf. Grafik: Stadt Leipzig, Quartalsbericht 2/2022

Im täglichen Berufsverkehr

Denn im nächsten Schritt untersucht sie die Unfallverteilung im Tagesverlauf. Und da wird das Ergebnis sehr eindeutig:

„Eine große Rolle bei der Unfallverteilung spielt vor allem der Berufsverkehr. Dieser Effekt ist deutlich in Abbildung 5 zu erkennen. Ab 6:00 Uhr steigen die Unfallzahlen steil bis zu einem Maximum um 7:00 Uhr. Danach sinkt die Anzahl bis ca. 8:00 Uhr und pendelt sich in der Zeit danach zwischen 32 und 50 Unfällen pro Stunde, kumuliert für ein Jahr, ein.

Ab 14:00 Uhr ist wieder ein Anstieg der Unfälle zu verzeichnen, wobei die Anzahl einen zweiten Maximalwert zwischen 15:00 Uhr und 17:00 Uhr (je nach Jahr) erreicht, mit ca. 85 Unfällen in der Stunde bezogen auf die Jahressumme. Danach sinkt die Unfallzahl stetig und erreicht in den Nachtstunden zwischen 1:00 Uhr und 4:00 Uhr ihr Minimum.

Die Grafik spiegelt die Zeiten des erhöhten Verkehrsaufkommens zum Start und Ende des Berufs- und Schultages wider. Die Hauptverkehrszeiten sind zwischen 6:00 Uhr bis 8:00 Uhr sowie zwischen 14:30 Uhr bis 18:00 Uhr.“

Was dann sehr deutlich mit der Unfallverteilung an Wochentagen korrespondiert.

Gerade dann, wenn Radfahren tatsächlich etwas zur Klimafreundlichkeit der Stadt beitragen kann, nämlich auf dem Weg zur Arbeit, zur Uni und zur Schule, sind auch die meisten motorisierten Verkehrsteilnehmer mit ihren Fahrzeugen unterwegs, wird es in Leipzigs Straßen eng und an vielen Stellen sehr unübersichtlich.

Weshalb die meisten Unfälle – auch diese Statistik bietet Laura Häbold  – Unfälle an Kreuzungen, Einmündungen und Ausfahrten sind. Egal, wer da welche Vorfahrtregel nicht beachtet hat – hier kommt es am, häufigsten zu Unfällen mit Radfahrern. Die zweithäufigste Unfallursache sind Abbiegeunfälle, „ausgelöst durch einen abbiegenden Verkehrsteilnehmer und einem in gleiche oder entgegengesetzte Richtung kommenden Verkehrsteilnehmer.“

Es braucht ein durchgehend sicheres Radwegenetz

Bei beiden Unfallarten sinken die Zahlen tatsächlich. Was durchaus damit zu tun haben kann, dass die Stadt einige der gefährlichsten Kreuzungen entschärft hat und die Sichtbarkeit der Radfahrer verbessert hat.

Denn unübersehbar macht Laura Häbolds Beitrag, dass die Konflikte der Radfahrenden genau dann mit dem motorisierten Verkehr kollidieren, wenn beide im Berufsverkehr unter Stress stehen und sich auf engem Straßenraum begegnen. Was nur durch eines entschärft werden kann: den durchgehenden Ausbau eines sicheren Radwegenetzes.

Perspektivisch freilich auch mit einem Rückgang des motorisierten Verkehrs. Denn dass die Zahl der Radunfälle direkt mit der Dichte des motorisierten Verkehrs zusammenhängt, zeigt die Statistik für das Wochenende. Wochenenden aber sind gekennzeichnet dadurch, dass es keinen Berufsverkehr gibt und deutlich weniger Leipziger mit dem Auto unterwegs sind.

Während 42 Prozent der Wege zur Arbeit mit dem Auto zurückgelegt werden, sinkt die Autonutzung der Leipziger in der Freizeit auf 32 Prozent. Bei der Fahrradnutzung ist es geradezu umgekehrt, wie man in der Bürgerumfrage 2021 nachlesen kann: 27 Prozent der Leipziger fahren mit dem Rad zur Arbeit, in der Freizeit nutzen es hingegen 34 Prozent.

Die vermehrte Nutzung des Fahrrades am Wochenende korrespondiert also mit einem deutlich verminderten Kfz-Verkehr und weniger Verkehrsunfällen. Deutlich weniger Verkehrsunfällen, wie man in der Grafik sehen kann.

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Es wäre hier durchaus interessant, die Unfallzahlen ins Verhältnis zur jeweiligen Verkehrsstärke zu setzen, wie sie aus den KFZ- und Fahrradzählstellen ermittel werden kann. Denn die relative Unfallhäufigkeit (Unfälle pro Fahrten) dürfte deutlich aussagekräftiger sein, als wenn man die Stoßzeiten des Berufsverkehrs aus den Unfällen herauszulesesen versucht.

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