Bei den jährlichen Bürgerumfragen müsse man natürlich immer mit Schwankungen rechnen, die auch mit den angeschriebenen Personengruppen und ihrer Auskunftsfreude zu tun haben. Da gibt es durchaus Ausreißer nach oben und nach unten, betonte Dr. Christian Schmitt, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen, am Freitag, dem 12. Mai, bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse aus der Bürgerumfrage 2022. Doch der langjährige Trend zeigt dann recht genau die tatsächliche Entwicklung.

Und trotzdem fällt es auf, dass das persönliche monatliche Nettoeinkommen der Leipziger 2022 nur geringfügig gestiegen ist – um 29 Euro auf im Schnitt 1.620 Euro. Was dann so einiges an Befürchtungen erklärt, die viele Leipziger 2022 hegten und welche dann die massiven Streiks zu Beginn des Jahres 2023 erklären. Denn während die Einkommen im Schnitt nur um 2,1 Prozent stiegen, erreichte die Inflation im Jahresmittel 6,9 Prozent. Die Einkommenszuwächse haben also den Anstieg der Verbraucherpreise nicht aufgefangen.

Rein statistisch. Denn der Mittelwert trügt natürlich. Er macht gleich, was sich nicht gleich entwickelt hat.

Die Entwicklung der monatlichen Haushaltseinkommen nach Quelle des Lebensunterhalts. Grafik: Stadt Leipzig, Vorabbericht zur Bürgerumfrage 2022
Grafik zur Entwicklung der monatlichen Haushaltseinkommen nach Quelle des Lebensunterhalts. Grafik: Stadt Leipzig, Vorabbericht zur Bürgerumfrage 2022

Und der Blick ins Detail zeigt dann, wie deutlich die Einkommensentwicklungen in Leipzig inzwischen auseinandergehen.

Denn während Solo-Selbstständige wieder Einkommensverluste hinnehmen mussten und von den 2021 ermittelten 1.602 Euro im Median wieder auf 1.418 Euro absackten (und auch einfache Angestellte und Ungelernte eher mit stagnierenden Gehältern zurande kommen mussten), gab es unter den Gutverdienenden wieder deutliche, fast gesetzmäßige Zuwächse im Gehalt.

Große Zuwächse bei höheren und mittleren Angestellten

So konnten sich leitende Angestellte im Median über einen Zuwachs von 2.805 auf 2.948 freuen und auch mittlere Angestellte über Gehaltszuwächse im Median von 2.292 auf 2.406 Euro.

Was dann auch den seit Jahren zu beobachtenden Zuwachs in der Gruppe der Gutverdiener in Leipzig erklärt. Gehörten 2012 nur 22 Prozent der befragten Leipziger zu den beiden hohen Einkommensklassen ab 2.300 Euro netto im Monat, so hat sich dieser Anteil 2022 auf 44 Prozent erhöht.

Was eben auch heißt: Ein wachsender Anteil der Leipziger hat keine finanziellen Probleme mehr und kann sich auch die steigenden Mietpreise in der Stadt leisten.

Geraten die Geringverdiener aus dem Blick?

Was freilich die Gefahr in sich birgt, dass die Probleme der Geringverdiener dabei zunehmend aus dem Blick geraten. Die Gruppe der Menschen, die mit weniger als 1.100 Euro im Monat abgespeist wird, ist zwar in den zehn Jahren von 31 auf 15 Prozent abgeschmolzen. Aber das hat zuallererst mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit und dem Rückgang der flexiblen Beschäftigungsverhältnisse zu tun.

Der starke Anstieg von Energie- und Lebenshaltungskosten aber macht längst auch jener Gruppe zu schaffen, die wie ein Sandwich dazwischen zurechtkommen müssen – immerhin 40 Prozent der Befragten, die irgendwie mit 1.100 bis 2.300 Euro im Monat zurechtkommen müssen. Dass viele von ihnen nach wie vor weniger verdienen als den gesetzlichen Mindestlohn, dürfte in vielen Haushalten zu deutlichen finanziellen Verwerfungen führen.

Erst recht, wenn sie in Branchen arbeiten, in denen keine Gewerkschaft für ihre Lohnerhöhung kämpft. Was mit Blick auf die Tabelle eben nicht nur die Solo-Selbstständigen mit ihren 1.418 Euro netto betrifft, sondern noch viel stärker jene Menschen, die sich als Ungelernte verdingen müssen und am Ende mit 1.276 Euro netto nach Hause gehen.

Für sie werden auch die scheinbar nur sanften Mietanstiege in Leipzig zum Problem. Zu diesem Thema kommen wir gleich.

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