Leipzig wächst zwar. Aber praktisch nur durch Zuwanderung. Nur knapp lag die Zahl der Geburten in den vergangenen Jahren über denen der Gestorbenen. Längst ist der kurzzeitige Höhepunkt beim Geburtenanstieg überschritten, die Zahlen gehen wieder zurück. Leipzig geht es also wieder wie ganz Deutschland: Mit derart niedrigen Geburtenraten schrumpft die Bevölkerung. Und immer mehr Leipziger verkneifen sich mittlerweile jeden Kinderwunsch.

Und alles deutet darauf hin, dass das sehr viel mit einer Arbeitswelt zu tun hat, die auf Familien und Kinder keine Rücksicht nimmt. Die aber dafür die permanente Sorge um die Existenzsicherung befeuert und Kinder zu einem Lebensrisiko macht.

Die Analyse in der neuen Bürgerumfrage wird dabei sehr deutlich, auch wenn sie erst einmal ganz trocken mit Fertilitätszahlen operiert, also den Kindern pro Frau, die sich die Befragten wünschen oder sogar schon haben.

Oder hatten. Denn die Bürgerumfrage zeigt, wie selbst die früh geäußerten Kinderwünsche mit der Zeit nach unten korrigiert werden.

Wenn das Kinderkriegen nicht mehr in den Arbeitsalltag passt

„Im Zeitverlauf zeigt sich in der deskriptiven Analyse, dass sich der Kinderwunsch der jungen Erwachsen jeweils gut 10 Jahre später nicht realisiert bzw. nach unten korrigiert hat“, kann man im entsprechenden Kapitel im Bericht lesen.

„Äußerten 2010 die Befragten zwischen 18 und 24 Jahren noch einen Kinderwunsch von 1,7 Kindern (bei bereits realisierten Geburten von 0,1, jeweils Mittelwert), wurden gut 10 Jahre später von der entsprechend älter gewordenen Befragtengruppe nur 0,4 Kinder (Mittelwert) realisiert und der weitere Kinderwunsch auf 1,1 (weitere) Kinder nach unten korrigiert. Die Summe aus geborenen Kindern und (weiterem) Kinderwunsch reduzierte sich somit von 1,8 Kindern bei den jungen Erwachsenen auf 1,5 Kinder in der Altersgruppe 25 bis 34 Jahre.“

Eigentlich wünschen sich Menschen ja Kinder. Und meist auch nicht nur eins. Aber etwas passiert da im Leben der jungen Leipzigerinnen und Leipziger, das nicht nur ihre Kinderwünsche unerfüllt sein lässt, sondern auch die gewünschte Kinderzahl nie zustande kommen lässt.

Woran das liegt, können die Autoren des Berichts nur vermuten: „Gründe gegen (weitere) Kinder wurden in der aktuellen Bürgerumfrage nicht erhoben. 2010 lagen finanzielle Aspekte (41 Prozent der Männer und 46 der Frauen ohne weiteren Kinderwunsch) vor, gefolgt von beruflichen Sorgen bzw. Einschränkungen und allgemeinen Unsicherheiten (Kommunale Bürgerumfrage 2010).“

Das lange Warten auf Sicherheit im Leben

Aber das ist nur eine mögliche Erklärung. Die Autoren des Berichts bringen auch die Höhe des Bildungsabschlusses als Erklärung ins Spiel. Was sich zumindest bei Frauen nachweisen lässt, denn während Männer augenscheinlich ihre Kinderwünsche erfüllt bekommen, haben gerade Frauen in akademischen Berufen später deutlich weniger Kinder, als sie sich zuvor gewünscht hatten.

Die lange Dauer der akademischen Ausbildung kann dabei genauso eine Rolle spielen wie das lange Feststecken in befristeten Beschäftigungen, die eine Familiengründung fast unmöglich machen. Der Bericht bringt auch die Transformationsjahre 1990 bis 2000 als Erklärung ins Spiel, als die Geburtenraten in Leipzig ja tatsächlich in den Keller sackten.

Aber ein Faktor scheint die Entwicklung viel stärker zu prägen. Den beleuchten Leipzigs Statistikerinnen diesmal auch: die Kinderlosigkeit.

Denn in der sogenannten Fertilitätsziffer stecken natürlich die tatsächlich erfüllten Kinderwünsche genauso wie die Aussagen all derer, die sich einen Kinderwunsch völlig versagt haben.

Die zunehmende Kinderlosigkeit der Leipzigerinnen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Die zunehmende Kinderlosigkeit der Leipzigerinnen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Und hier gibt es einen deutlichen Effekt: „Der Anteil kinderloser Befragter liegt aktuell bei 43 Prozent und hat im Zeitvergleich insgesamt mit +9 Prozentpunkten zu 2010 und +17 Prozentpunkten zu 2005 deutlich zugenommen.“

Dass die Kinderlosigkeit sogar noch weiter zugenommen hat, stellen die Autoren des Berichts sehr deutlich fest: „Dabei sind bei den 18- bis 24-Jährigen kaum Veränderungen festzustellen. Starke Unterschiede gibt es in den Altersgruppen zwischen 25 und 44 Jahren, was sich mit einem Trend zur späteren Familiengründung erklären lässt (Bein, 2022). Die deutlich höhere Kinderlosigkeit in der Altersgruppe ab 45 Jahre spricht dagegen für eine aktuell steigende Tendenz zur Kinderlosigkeit, denn von diesen Altersjahrgängen werden auch kaum noch Kinderwünsche geäußert.“

Wenn Familie zum Risiko wird

Was ja eindeutig heißt: Die Leipzigerinnen und Leipziger schieben nicht nur die Gründung einer Familie und die Erfüllung ihrer Kinderwünsche berufsbedingt immer weiter nach hinten. Immer mehr verzichten freiwillig oder gezwungenermaßen ganz und gar auf die Erfüllung des Kinderwunsches.

An dieser Stelle bricht die Analyse ab, weil entsprechende Fragen auch nicht mehr gestellt wurden. Was aber so langsam überfällig wird. Da reichen Erklärungen aus dem Jahr 2010 einfach nicht mehr.

Der auch deutlich erhöhte Wert von 18 Prozent kinderloser 55- bis 64-Jähriger gegenüber den 2005 ermittelten 6 Prozent erzählt nämlich auch davon, dass diese Entwicklung schon länger anhält, und zwar ziemlich genau seit 1990.

Das hatte anfangs durchaus mit Jobverlusten, zunehmender Unsicherheit und gebrochenen Berufskarrieren zu tun. Es hat aber auch dauerhaft zu einer wachsenden Zahl von Singles geführt, zu Menschen, die allein leben, weil sie entweder keine Partner finden oder ihnen eine Familiengründung zu risikobehaftet erscheint.

Und das hat sich auch seit 2005, seit der wirtschaftliche Aufschwung auch Leipzig erfasst hat, nicht geändert. Was die sehr hohe Zahl von 43 Prozent Kinderloser in der Alterskohorte der 35- bis 44-Jährigen zeigt.

Das ist mit einem Aufschieben aufgrund einer noch unsicheren Berufskarriere nicht mehr zu erklären. Höchste Zeit, dürfte man meinen, hier wieder einmal nachzufragen, was Menschen daran hindert, sich einen der tiefsten menschlichen Wünsche zu erfüllen.

Wenn sich doch herausstellen sollte, dass es der Zustand unserer Arbeitswelt ist, haben wir ein Problem. Und zwar nicht nur eins mit Fachkräftemangel. Sondern ein existenzielles. Dann läuft unsere Art des Arbeitens in die Irre, weil ihr der eigentliche Sinn – Zukunft zu schaffen – völlig abhandenkommt.

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