Die Corona-Pandemie hat viele zuvor als selbstverständlich erlebte Dinge gründlich infrage gestellt. Und das Ende der harten Beschränkungen in den ersten beiden Corona-Jahren bedeutet ganz und gar nicht, dass sich die Dinge so schnell wieder normalisieren. Das bekommt besonders die Kulturszene zu spüren. Denn obwohl die Häuser alle wieder geöffnet sind, kehrt das Publikum nur zögerlich zurück. Obwohl das vielen gefehlt hat.

Genau danach frage die Bürgerumfrage 2021. Denn Kultur ist ja nicht nur das vorn auf der Bühne Inszenierte. Kultur ist immer auch das gemeinsam Erlebte, menschliche Begegnung, das Gefühl, Teil einer lebendigen und lebenshungrigen Gesellschaft zu sein. Und das fehlte vielen Leipzigerinnen und Leipzigern in den ersten beiden Corona-Jahren deutlich.

„Viele weitere Kunst- und Kulturangebote haben einzelnen Bevölkerungsgruppen stärker als anderen gefehlt: Clubveranstaltungen etwa haben mehr als die Hälfte der unter 35-Jährigen vermisst, unter den 45- bis 54-Jährigen noch einem Viertel und unter älteren Befragten nur noch einer kleinen Minderheit. Am häufigsten haben Clubveranstaltungen Studierenden gefehlt (62 Prozent).

Kabarett und Varieté haben Befragte zwischen 45 und 74 Jahren besonders häufig sehr vermisst, insbesondere Rentner/-innen haben Kabarett und Varieté überdurchschnittlich häufig vermisst, ebenso wie Angehörige der oberen Mittelschicht – die persönliche finanzielle Situation hat hier also einen Einfluss“, stellt der Bericht zur Bürgerumfrage fest.

Kino, Zoo, Konzerte

Aber er deutet auch an, dass gerade jüngere Stadtbewohner unter dem Fehlen kultureller Begegnungen gelitten haben: „Jüngere Befragte, vor allem zwischen 25 und 34 Jahren, haben die Theateraufführungen häufiger als die Gesamtbevölkerung vermisst, insbesondere Studierende und Akademiker/-innen. Klassische Konzerte waren für die ältesten befragten Leipziger/-innen neben Zoobesuchen die größte kulturelle Entbehrung (75 bis 90 Jahre: 33 Prozent). Jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre: 13 Prozent) hat dieses Angebot unterdurchschnittlich oft gefehlt. Auch klassische Konzerte haben Abiturient/-innen und Akademiker/-innen häufiger vermisst als Befragte mit anderen Abschlüssen.“

Wie stark die Leipzigerinnen und Leipziger in der Corona-Zeit Kulturangebote vermissten. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Wie stark die Leipzigerinnen und Leipziger in der Corona-Zeit Kulturangebote vermissten. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Und natürlich hat das auch etwas mit Freiheit und dem Gefühl zu tun, eigene Entscheidungen treffen zu können, denn es betrifft ja den eigenen Freizeitbereich der Leipziger, in dem sie über ihre Zeit frei verfügen können. Aber von dieser Freiheit bleibt nicht viel übrig, wenn Kinos, Theater und Diskotheken geschlossen sind. Das Smartphone und all die anderen elektronischen Spielzeuge ersetzen das nicht ansatzweise.

Und so überrascht es auch nicht, dass gerade Kino, Zoo und Rockkonzerte ganz oben auf der Liste des Vermissten stehen, Orte, an denen man auch nicht unbedingt in Galakleidung auftauchen muss.

Und natürlich spielt dabei auch eine Rolle, mit wem man die Kulturangebote für gewöhnlich wahrnimmt. Wenn Kinder zur Familie gehören, ist es fast zwangsläufig, dass Kino und Zoo ganz oben auf der Wunschliste stehen.

„Nach Alter, Geschlecht, Familienstatus, beruflichem Abschluss und der Stellung im Erwerbsleben unterscheidet sich, wie stark einzelne Angebote gefehlt haben“, heißt es im Bericht.

„Das Kino etwa wird weniger vermisst, je älter Befragte sind (18 bis 24 Jahre: 81 Prozent, 75 bis 90 Jahre: 21 Prozent). Wie sehr hingegen Zoobesuche vermisst wurden, hängt eher von der (familiären) Lebenssituation ab: Befragte mit Kindern haben Zoobesuche sehr viel häufiger gefehlt als Befragte ohne Kind (Kinder unter 7 Jahre im Haushalt: 76 Prozent, kein Kind unter 7 Jahre im Haushalt: 42 Prozent). Rock- und Pop-Konzerte wurden von Seniorinnen und Senioren (ab 55 Jahren) im Vergleich zu den jüngeren nur halb so oft vermisst.“

Wann ist die Pandemie auch gefühlsmäßig zu Ende?

Aber das Öffnen all dieser Einrichtungen führte eben nicht dazu, dass sich sofort wieder die Säle füllten. Denn das Gefühl, dass der Besuch von Orten, wo man viele andere Menschen auf engem Raum trifft, nicht ganz ungefährlich ist, sitzt vielen in den Knochen. Genauso wie die in zwei Jahren geübten Gewohnheiten, sich für den fehlenden Kulturgenuss daheim Alternativen zu suchen.

Man darf nicht vergessen: Die Befragung fand von November 2021 bis Februar 2022 statt. Da war noch lange nicht klar, ob ab Frühjahr 2022 alles wieder zurückkehren würde in die alten Gleise. Symptomatisch steht dafür die dritte kurzfristige Absage der Leipziger Buchmesse, die eben auch davon erzählt, dass auch bei Veranstaltern noch immer Vorsicht waltet, was das Öffnen der Häuser betrifft.

Wie die Befragtebn die Kulturangebote nach der Corona-Pandemie nutzen würden. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Wie die Befragten die Kulturangebote nach der Corona-Pandemie nutzen würden. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Und auch wenn die Autoren des Berichts einschätzten, dass die Mehrzahl der Befragten zum alten Normal zurückkehren wollte, ist auch in der Bürgerumfrage sichtbar, dass ein nicht unerheblicher Teil schon damals vorsichtig agierte:

„Die Leipziger/-innen wurden mit Blick in die Zukunft gefragt, ob sie aufgrund der Erfahrungen mit der Corona-Pandemie Kunst- und Kulturangebote anders nutzen werden als zuvor. Die Mehrheit derjenigen, die Kunst- und Kulturangebote besucht, plant keine Änderung und möchte Kunst- und Kulturangebote genauso häufig nutzen wie vor der Corona-Pandemie (60 Prozent). 16 Prozent haben jedoch vor, Kunst- und Kulturangebote künftig häufiger zu nutzen, darunter insbesondere jüngere Befragte unter 35 Jahren (30 Prozent).

Ein geringerer Teil der Befragten von 11 Prozent geht davon aus, das Kulturangebot der Stadt künftig weniger zu nutzen – vor allem Personen über 75 Jahre stimmen hier häufiger zu. In dieser Gruppe ist jedoch, unabhängig von der Pandemie, durch die aufgrund des Alters veränderten Lebenssituation, ein Einfluss auf das Nutzungsverhalten des städtischen Kunst- und Kulturangebots wahrscheinlich.“

Das schrieben die Autoren immerhin schon zu einem Zeitpunkt, an dem gerade Veranstaltungen in geschlossenen Räumen deutlich weniger Publikum fanden als in der Zeit vor Corona. Und man darf auch die Formulierung nicht außer Acht lassen, dass hier nach der Zeit „nach der Corona-Pandemie“ gefragt wurde. Doch so richtig vorbei ist die Pandemie ja nicht, auch wenn sich jetzt alle Institutionen bemühen, nicht schon wieder die Häuser zu schließen.

Es wird deutlich länger brauchen, in ein gefühltes Normal zu kommen, als das noch im Winter 2021/2022 absehbar war. Die mittlerweile kräftig zuschlagende Inflation wird es noch mehr Leipzigerinnen und Leipzigern schwer machen, wieder Kultur dort zu erleben, wo man selbst dabei sein kann.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar