Wie kommt es eigentlich bei Kindern und Jugendlichen an, wenn Männer die öffentliche Diskussion beherrschen, bei denen das Skandalisieren, Jammern und Pöbeln zum politischen Handwerkszeug gehört? Während Lösungen schlechtgeredet werden und junge Menschen gar als „Terroristen“ diffamiert werden, obwohl sie keinen politischen Einfluss haben? Natürlich schlägt das auf die Psyche. Die DAK kann es in Zahlen fassen.

Kinder und Jugendliche in Deutschland sind durch anhaltende Krisen weiter stark psychisch belastet. Vor allem Mädchen sind betroffen. So wurden 2022 ein Drittel mehr Teenagerinnen zwischen 15 und 17 Jahren mit einer Angststörung in Kliniken versorgt als im Vor-Corona-Jahr 2019. Das war ein neuer Höchststand. Auch die Behandlungszahlen bei Essstörungen und Depressionen nahmen deutlich zu. Das zeigt eine Sonderanalyse zur stationären Behandlung psychischer Erkrankungen im DAK-Kinder- und Jugendreport.

Mediziner sehen wachsende Zukunftsängste bei jungen Menschen und warnen vor einer „Mental-Health-Pandemie“ durch Seelenleiden. DAK-Chef Andreas Storm fordert eine Präventionsoffensive zur Stärkung der psychischen Gesundheit.

Für die aktuelle DAK-Sonderanalyse im Rahmen des Kinder- und Jugendreports untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Vandage und der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten von rund 786.000 Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Analysiert wurden Krankenhausdaten aus den Jahren 2018 bis 2022. Es ist die erste umfassende Analyse von Klinikbehandlungen für das vergangene Jahr.

Ein stiller Hilfeschrei

„Die massive Zunahme von schweren Ängsten und Depressionen bei Mädchen ist ein stiller Hilfeschrei, der uns wachrütteln muss“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Die anhaltenden Krisen hinterlassen tiefe Spuren in den Seelen vieler junger Menschen, wobei die aktuellen Krankenhausdaten nur die Spitze des Eisbergs sind. Wir müssen offen über die Entwicklung sprechen und den Betroffenen und ihren Familien Unterstützung und Hilfe anbieten.“

Die Politik habe mit übergreifenden Fachtagungen bereits wichtige Impulse gesetzt. Die sogenannten „Mental Health Coaches“ an Schulen seien aber nur ein erster Schritt.

„Wir brauchen sehr kurzfristig eine breite Präventionsoffensive in Schulen, Vereinen und Verbänden, um die psychische Gesundheit von Mädchen und Jungen zu stärken“, fordert Storm. „Wir dürfen sie und ihre Eltern nicht allein lassen.“

Corona hinterließ erste Spuren

In den Jahren 2018 bis 2020 lagen die Fallzahlen stationär behandelter Angststörungen auf konstantem Niveau. 2021 und 2022 stiegen die Klinikbehandlungen hingegen deutlich und kontinuierlich an. So wurde im vergangenen Jahr bei jugendlichen Mädchen ein neuer Höchstwert erreicht, meldet die DAK: Hochgerechnet auf alle Jugendlichen in der Altersgruppe 15 bis 17 kamen 2022 bundesweit rund 6.900 Mädchen mit einer Angststörung ins Krankenhaus.

Das entspreche einem Anstieg von 35 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. Auch bei Essstörungen und Depressionen nahmen die Krankenhausbehandlungen jugendlicher Mädchen zu: So stieg die Zahl der Klinikaufenthalte 2022 im Vergleich zu 2019 bei Essstörungen um über die Hälfte an, bei Depressionen nahmen die Behandlungszahlen um gut ein Viertel zu.

„Wir befinden uns mitten in einer Mental-Health-Pandemie, deren Auswirkungen erst nach und nach sichtbar werden. Das zeigt sich bereits jetzt besonders im Bereich der Angststörungen und der Essstörungen“, sagt Prof. Dr. med. Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité als Bewertung der neuen DAK-Sonderanalyse.

Lauter unbewältigte Krisen

„Die Pandemiesituation hat nachhaltig negative Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit junger Menschen, die sich in Zukunftsangst manifestiert“, so Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Hier wirken jedoch sicherlich Faktoren zusammen. Neben der Pandemie sind dies der Ukrainekrieg sowie die Angst um die wirtschaftliche Zukunft und um unseren Planeten Erde. Das muss der Politik klar sein. Es ist Aufgabe der Politik, junge Menschen durch verantwortliches Handeln wieder zukunftssicherer zu machen.“

Was zumindest eine sehr optimistische Forderung ist. Denn „die Politik“ gibt es nicht. Denn wo Parteien versuchen, Lösungen für die Zukunft zu finden und umzusetzen, geht es an die Pfründn von Konzernen, Lobbygruppen und Politikern, die lieber ein mediales Spektakel anstiften, als wirklich sinnvolle Lösungen mitzutragen. Egoismus und Kleingeist statt Gemeinsinn.

Auch das kommt als Botschaft in der Psyche der jungen Menschen an.

Womit dann auch das stets folgende mediale Theater den Eindruck natürlich verschärft, dass „Politik“ gar nicht fähig ist, eine sichere Zukunft zu gestalten. Dass sie – oder mächtige Teile derselben – eher alles dafür tun, die latenten Krisen weiter zu verschärfen.

Mädchen häufiger betroffen

Die DAK-Sonderanalyse zeigt, dass Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren häufiger aufgrund psychischer Erkrankungen in Kliniken sind als Jungen. Drei Beispiele verdeutlichen diese Gender-Gap: Von hochgerechnet bundesweit 8.500 Jugendlichen, die mit einer Angststörung stationär behandelt wurden, waren 6.900 Mädchen. 4.300 Jugendliche kamen mit einer Essstörung ins Krankenhaus, davon waren 4.200 weiblich. Von 19.500 Jugendlichen mit einer stationären Behandlung aufgrund von Depressionen waren drei Viertel Mädchen. Bei Schulkindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren zeigt sich ein ähnliches Bild.

„Mädchen neigen eher zu internalisierenden psychischen Störungen als Jungen. Sie ziehen sich beispielsweise mit Depressionen und Ängsten eher in sich zurück. Bei Jungen sind externalisierende Störungen häufiger zu beobachten. Jungen zeigen tendenziell häufiger ein Verhalten, das nach außen gerichtet ist, also zum Beispiel aggressive Verhaltensmuster. Dass dies durch die Pandemiesituation nochmals verstärkt worden ist, ist unbestritten“, sagt BVKJ-Präsident Fischbach.

„Depressionen, Angst- und Essstörungen sind häufig in stationärer Behandlung, während gerade die Verhaltens- und emotionalen Störungen im ambulanten Bereich versorgt werden.“

„Wo sind die Jungen?“, fragt Prof. Correll beim Blick auf die Auswertung. „Wir müssen die Analyse der ambulanten Daten abwarten, um zu schauen, ob hier steigende Behandlungszahlen von Jungen zu finden sind und bei welchen Erkrankungen. Es liegt aktuell die Vermutung nahe, dass Jungen eventuell durch das Raster fallen und uns verloren gehen.“

Klinische Kapazitäten ließen Behandlungszahlen sinken

Insgesamt wurden 2022 weniger Kinder und Jugendliche mit psychischen oder Verhaltensstörungen in Kliniken behandelt als vor der Corona-Pandemie. Werden alle sogenannten F-Diagnosen, also Diagnosen, die psychische und Verhaltensstörungen beschreiben, zusammengefasst, ergibt dies 2022 bei Jugendlichen einen Rückgang von 15 Prozent im Vergleich zu 2019. Bei Grundschul- und Schulkindern steht ein Minus von je 23 Prozent.

„Die Begründung für den Rückgang der Behandlungszahlen im Bereich psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen ist wahrscheinlich auf die Covid-Pandemie zurückzuführen. Wir hatten in deutschen Kliniken schlicht weniger Kapazitäten zur Verfügung“, sagt Prof. Correll.

„Während des Pandemie-Verlaufs mussten wir durch Covid-Infektionen Bettenkapazitäten reduzieren und auch mit weniger Personal aufgrund von Krankheitsausfällen agieren. Das führte auch dazu, dass vor allem schwerere Fälle stationär behandelt worden sind. Vor diesem Hintergrund ist der Anstieg von Angststörungen, Essstörungen und Depressionen als noch dramatischer zu bewerten.“

Die Sonderauswertung zeigt bei Klinikbehandlungen von Jugendlichen, also Mädchen und Jungen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, immer noch ein hohes Niveau im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie. Werden aber die Jahre 2022 und 2021 betrachtet, sind unterschiedliche Trends auffallend: Während die Behandlungen von Angststörungen 2022 im Vergleich zu 2021 insgesamt weiter zugenommen haben (plus 11 %), blieben sie bei Essstörungen nahezu konstant und sanken bei Depressionen (minus 7 %).

„Die Ergebnisse des Kinder- und Jugendreports zeigen sich im Klinikalltag. Auch wenn sinkende Trends bei einigen Erkrankungen zu erkennen sind: Es gibt keine Entwarnung“, sagt Prof. Correll.

„Die sozio-psycho-emotionalen Störungen liegen immer noch auf hohem Niveau“, ergänzt Dr. Fischbach. „Das ist absolut beunruhigend.“

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Es gibt 8 Kommentare

Was mich an dem Artikel so positiv überrascht hat, ist, dass der menschengemachte Klimawandel für die Depressionen und die Essstörungen nicht verantwortlich gemacht wird. Hatte da nicht jemand ein das schönste Narrativ vergessen. Aber man könnte ja nochmal nachlegen. Dann wäre die Sache richtig rund….

Ich bin gerade krank und langweile mich wohl etwas: die Konstruktion „mental health pandemic“ ist schon etwas merkwürdig. Müsste es nicht „mental disorder pandemic“ heißen? Wenn überhaupt? Sie haben vermutlich recht, Mimi, und ich drehe jetzt mal eine sanfte Runde um den Block 😉

@Mimi:
Natürlich wird das Wort heute so verwendet, wie Sie es beschreiben. Ich mag einfach Sprache ganz allgemein, und wollte hier nur aus einer Laune heraus erwähnen, dass die Konstruktion „mental health pandemic“ rein sprachlich betrachtet meiner Einschätzung nach legitim ist.

Ist aber auch echt unbedeutend. Inwieweit unser Umgang mit COVID-19 psychische Erkrankungen verstärkt oder ausgelöst hat ist ja die entscheidende Frage. Laut WHO gibt es damit zusammenhängend eine weltweite Zunahme von 25% beim Auftreten von Angststörungen und Depression. Quelle: who.int

Das finde ich ganz schön heftig und deckt sich mit meiner persönlichen Alltagserfahrung.

Mit freundlichen Grüßen!

Wenn Sie mir nicht glauben können Sie auch das RKI fragen:
Pandemie (engl.: pandemic)
Eine neu, aber zeitlich begrenzt in Erscheinung tretende, weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und i. d. R. auch mit schweren Krankheitsverläufen

@Mimi:
Ohne klugscheissern zu wollen- das Wort „Pandemie“ bedeutet ursprünglich in etwa „das ganze Volk betreffend“, ist also von der Wortherkunft nicht automatisch an Infektionskrankheiten gekoppelt.

Den Anfang des Artikels finde ich auch schräg…

Bitte seit wann sind Depressionen, Ess- und Angststörungen ansteckende Krankeheiten? Wer immer sich das Wort “Mental-Health-Pandemie” ausgedacht, hat es selbst nicht verstanden.

Laut DRK im “Kinder- und Jugendreport 2023” (30.05.2023): “…, ist die Häufigkeit von Krankenhausbehandlungen in Folge psychischer Erkrankungen bis Ende 2022 nach wie vor unterhalb des Vor-Pandemie-Niveaus.”
(Src: dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/kinder-und-jugendreport-2023_36758)

Leider wurden von der verfassende Person keine konkreten Quellen angegeben, also bitte klären Sie den Wiederspruch selbst auf.

LOL
Der „Einspieler“ ist wirklich erste Sahne.
Diese Männer aber auch, tsk tsk tsk…

Hier muss ich doch mal was richtigstellen lieber Autor. Zufälligerweise habe ich beruflich damit sehr sehr viel zu tun. Die Anorexie hat nun überhaupt nichts damit zu tun, dass Männer die öffentliche Diskussion beherrschen. Diese Krankheit hat ganz ganz andere Ursachen. So einen polemischen Einspieler sollten Sie doch eher unterlassen. Vielleicht beschäftigen Sie sich mal mit den tatsächlichen Ursachen – das Internet hilft. Wenn ich keine Ahnung habe dann halte ich zu solchen Themen auch mal die Klappe.

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