Im ersten Teil des Gespräches mit Frau Professor Riedel Heller haben wir darüber gesprochen, was Einsamkeit ist und wie sie sich in verschiedenen Altersgruppen zeigt. Weiter geht es mit den Themen Gesundheit und Prävention.
Wenn wir von Einsamkeit sprechen, so ist das einerseits ein Gefühl, also eine Einschränkung des Wohlbefindens, andererseits aber ein medizinisches Risiko. Das erste ist verständlich meine ich, wodurch entsteht das zweite?
Einsamkeit hat Folgen für die Gesundheit, für Erkrankungen, sogar für die Sterblichkeit. Das ist nicht neu. Es gab schon 2015 eine interessante Meta-Analyse von einer Kollegin aus den USA, die zeigte, dass Einsamkeit mit einer 26 % erhöhten Sterblichkeit verbunden ist. Es folgten viele Studien und auch Metaanalysen zu einzelnen Erkrankungen, also Studien, die viele Einzelergebnisse zusammenfassen.
Sie zeigten, Einsamkeit ist mit psychischen und körperlichen Erkrankungen verbunden. Einsamkeit erhöht das Risiko, später eine Depression zu entwickeln, um mehr als das Doppelte. Ähnlich verhält es sich mit Angststörungen. Einsamkeit ist auch mit körperlichen Erkrankungen verbunden: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und kognitive Störungen und auch Demenz. Einsamkeit erhöht das Risiko einer Demenz um 26 %.
Sie werden jetzt fragen: Wie stellt man sich das denn vor – wie geht Einsamkeit quasi unter die Haut? Etwas vereinfacht: Einsamkeit führt zu einer chronischen Stressreaktion. Wir sind ja soziale Wesen. Vermittelt wird dies über das chronisch erhöhte Stresshormon Cortisol, welches letztlich Entzündung fördert. Man weiß auch, dass dieser chronische Stress zu ungünstigem Gesundheitsverhalten führt – Rauchen, ungünstige Ernährung. Da eine Zigarette, dort schnell ein Fast Food.
Das wäre dann beispielsweise erhöhter Alkoholkonsum?
Ja, auch Alkohol wird zur Stressreduktion genutzt und wirkt sich ungünstig aus.
Oft werden ja Einsamkeit und Depressionen in Zusammenhang gebracht. Werden depressive Menschen eher einsam, oder einsame Menschen öfter depressiv?
Beides stimmt. Menschen mit Depression haben eine reduzierte Stimmung und einen reduzierten Antrieb und damit oft keine Kräfte in sozialen Kontakt zu gehen. In der Krankheitsepisode sind Menschen mit Depressionen oft einsam. Eine ganz aktuelle Übersicht zeigt, dass fast 60 % der Menschen mit schweren psychischen Störungen einsam sind.
Die Forschung zeigt aber auch sehr konkret, dass Menschen, die einsam sind, ein höheres Risiko haben, später eine Depression zu entwickeln. Das weiß man aus sogenannten Längsschnittstudien, die oft über viele Jahre hinweg gehen und Aufschluss über die Sequenz geben: erst die Einsamkeit, dann später die sich entwickelnde Depression.
Oft wird verkürzt gesagt: „Du bist einsam, kauf Dir einen Hund“, gerade dieses „Haustier gegen Einsamkeit“ ist ein beliebtes Framing. Bin ich dann weniger einsam, oder einsam mit Hund?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, es wird so viele Möglichkeiten geben, wie es Menschen und Hunde gibt. In der Forschung gibt es gibt tatsächlich eine Reihe von Studien, die zeigen, dass Haustiere Einsamkeit reduzieren, aber das trifft nicht auf alle Studien zu. Das hat die Gruppe um Andre Hajek aus Hamburg 2022 gut in einer Übersicht zusammengefasst.
Da trifft man dann auch Menschen.
Man trifft in der Tat andere Menschen, besonders auch solche, die ebenfalls einen Hund haben. Gespräche unter Hundebesitzern ergeben sich oft ganz natürlich. Ich würde jedoch nicht so weit gehen, dass ein Hund ein Allheilmittel gegen Einsamkeit ist.
Strategien gegen Einsamkeit ist ein weites Feld. Bei älteren Menschen ist oft der Übergang zum Ruhestand, verbunden mit dem Verlust der sozialen Kontakte am Arbeitsplatz, vielleicht noch mit gesundheitlichen Einschränkungen und dem eventuellen Verlust des Partners, ein Weg, der zur Vereinsamung führt. Wie kann man selbst oder als Angehöriger gegensteuern?
Es ist erstmal richtig, dass auf diesem Weg, beim Renteneintritt, soziale Kontakte bei vielen Menschen wegfallen. Sogar diejenigen, die man im Arbeitsleben vielleicht nicht besonders gemocht hat, können ein bisschen fehlen. Kommt dann im höheren Alter der Verlust des Partners oder Verlust von Freunden dazu, dann sind das wirkliche Herausforderungen. Es wurden viele Interventionen und Maßnahmen gegen Einsamkeit beforscht.
Die Vielzahl dieser Maßnahmen fällt in 3 Strategien: (1) Erhöhung von Möglichkeiten für sozialen Kontakt, (2) Verbesserung von Fertigkeiten, um besser in Kontakt zu kommen, wie zum Beispiel soziales Kompetenztraining und (3) Trainings zur sozialen Kognition. Dabei geht es darum, die Fähigkeit zu entwickeln, Emotionen, Gedanken und Absichten anderer Menschen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Aber Sie wollen ja mehr auf Alltags-Tipps hinaus?
Kann man überhaupt Tipps geben? Mir geht es darum: Wie kann man erkennen, dass ein Mensch langsam, fast schleichend, vereinsamt? Zuerst ist es vielleicht mangelnder Kontakt, und dann ist plötzlich dieser Moment da, wo dieser die Kontakte ablehnt. Die Frage ist: Wie erkennt man das und was kann man dagegen tun? Sobald er den Kontakt ablehnt, ist es ja schwierig.
Es ist wichtig, für die Relevanz sozialer Kontakte zu sensibilisieren. Gute soziale Kontakte sind oft kein Selbstläufer. Man spricht ja auch von der „sozialen Hausapotheke“. Und dazu gehören eben zwei, drei, vier sehr gute Kontakte, die man aktiv pflegt. Da muss man dranbleiben, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. In der Schulzeit, in den Klassen oder Sportgruppen – da ergibt sich viel spontan.
Aber wenn man ins Alter kommt, ergibt sich eben nicht mehr so viel spontan. Ich glaube, dass es wichtig ist zu erkennen, dass man sich aktiv kümmern muss. Es geht auch nicht darum, dass man 20 Leute um sich herum schart, sondern 2, 3, 4 Menschen, mit denen man eng ist, mit denen man sich gut austauschen kann, mit denen man den Kontakt pflegt. Die man zum Beispiel jede Woche anruft oder mit denen man sich immer mal trifft, also einen regelmäßigen Kontakt hat.
Wenn es um Tipps geht, denken wir immer daran, was der einzelne Mensch tun kann. Aber es gibt auch noch eine Ebene darüber, wo die Nachbarschaften, Gemeinden und die Gesellschaft ins Spiel kommt – Gibt es Orte, Cafés oder öffentlichen Transport, um Menschen ein zusammenkommen zu ermöglichen?
Es gibt seit 2023 eine „Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit“. Was kann bzw. soll die Politik, besonders auch die Kommunalpolitik, überhaupt gegen Einsamkeit tun?
In England gibt es sogar einen Einsamkeitsminister. Die WHO hat gerade ein Paper From loneliness to social connection (Von der Einsamkeit zur sozialen Verbindung) veröffentlicht, in dem das gut aufbereitet ist. Die Strategie der „Bundesregierung gegen Einsamkeit“ zeigt, dass man sehr wohl erkannt hat, dass neben den individuellen Faktoren die Nachbarschaft, die Gemeinden oder Gesellschaft hier Einfluss haben.
Das ist richtig, weil dort viel angebahnt werden kann. Das geht bis hin zum Städtebau: Wie sind unsere Wohngebiete angelegt, gibt es dort Möglichkeiten andere zu treffen, oder gibt es nur Wohnsilos?
Was kann die Kommunalpolitik konkret tun?
Alles, was man sich vorstellen kann, was Gemeinschaft stiftet. Die Bandbreite ist groß: Kultur, Sport, Seniorentreffs – die Förderung von Vereinen. Das sind Orte, wo Leute sich zusammenfinden. Also die ganze Breite von gesellschaftlichem Engagement. Deshalb haben Kommunen dann eine große Verantwortung. Selbstverständlich auch adäquate Angebote für Kinder und Jugendliche.
Das waren so weit meine Fragen, möchten Sie noch etwas ergänzen?
Zwei Dinge möchte ich noch ansprechen: Es gab in diesem Jahr vom Harvard Business Review eine Publikation, in der untersucht wurde, wozu Menschen KI nutzen. An der Spitze stand 2024 „Generating Ideas“, also die Ideen-Suche. 2025 waren es „Therapy and Companionship“, Therapie und Begleitung. Das fand ich sehr interessant und auch etwas gruselig, dass immer mehr Leute KI für emotionale Unterstützung, Trauerprozesse und Selbstreflexion nutzen.
Eine aktuelle Studie, die aus dem Technikumfeld kommt und bisher nur als vorläufige Version vorliegt, wir nennen es Preprint, zeigt, dass höhere tägliche Nutzung eher mit erhöhter Einsamkeit, Abhängigkeitsproblematik und geringerer sozialer Interaktion verbunden war. Darüber werden wir in Zukunft noch viel mehr erfahren.
Noch eine zweite Sache ist mir wichtig: Einsamkeit als Thema ist in der Wissenschaft en vogue, man könnte von einem Hype sprechen. Das Thema ist auch für Forschungsförderer anschlussfähig, jeder versteht es. Insgesamt möchte ich die Forschung zu Einsamkeit und ihren Folgen gerne in einen größeren Kontext einordnen – und zwar in die Forschung zu sozialen Determinanten von Gesundheit und Krankheit, also zu all jenen Bedingungen gemeint, in die Menschen hineingeboren werden, unter denen sie aufwachsen, leben, arbeiten und altern. Dazu wird schon lange geforscht, ein zentrales Forschungsfeld. Gut, dass wir jetzt mehr darüber sprechen.
Frau Riedel-Heller, nehmen wir das als Schlusswort. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
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