Als selbst schon relativ alter Mensch schwankte ich zwischen Unglauben und Zustimmung, als ich den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Ratsinformationssystem der Stadt Leipzig fand: „Leipzig wird altersfreundliche Stadt.“ Was meinen die eigentlich? Welche Voraussetzungen braucht eine Stadt, um „altersfreundlich“ zu sein?

Auch die Formulierung in der Begründung: „Altersfreundliche Kommunalpolitik … bedeutet, in fast allen Aufgabenbereichen altersgruppenübergreifende Strategien zu entwickeln … heißt, dass die ‚klassische‘ Seniorenarbeit mit Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse der älteren Bevölkerung in Zukunft nicht ausreichen wird. Die aktive Einbindung der Älteren in die Stadtentwicklung ist erforderlich!“ ließ Fragen offen.

Was tun? Ich habe mich mit den für den Antrag verantwortlichen, Angelika Koch (Arbeitsgemeinschaft 60+) und Stadträtin Katharina Krefft, getroffen und mit ihnen darüber gesprochen. Für das Gespräch haben wir die Anrede mit Du vereinbart.

Hallo! Ihr habt den Antrag Leipzig wird altersfreundliche Stadtim Stadtrat eingebracht. Ich kann mir vorstellen: Es geht Euch darum, dass alte Menschen in Leipzig gut leben, sich wohlfühlen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Ist das richtig?

Angelika: Ich würde mir vorstellen, dass sehr viele alte Menschen sich schon in Leipzig sehr wohlfühlen. Das als Erstes. Und zweitens, denke ich, ist es nicht nur das subjektive Wohlbefinden, sondern es geht noch viel weiter. Das, was für alte Menschen gut ist, ist in der Regel auch das, was jüngeren Menschen oder Kindern guttut.

Wenn ich zum Beispiel mehr Plätze mit Bäumen bepflanze, dann tut das allen Menschen gut. Alle haben bessere Luft, alle haben Schatten, wenn es draußen wahnsinnig heiß wird oder so etwas. Also ich denke, es ist ein Konzept, welches letzten Endes nicht den Alten vorrangig zugutekommt.

Es wird sicherlich Aufgaben oder Projekte geben, bei denen vor allem die Alten im Blickpunkt stehen. Aber es gibt genauso Projekte, bei denen jeder einzelne Mensch in der Stadt im Blickpunkt steht. Und das finde ich ganz wichtig.

Danach wollte ich fragen. Es ist ja wie bei der Barrierefreiheit, Raúl Krauthausen hat mal die Frage gestellt: „Wen behindert eigentlich Barrierefreiheit?“ Genau so kann man auch fragen: Wird jemand in seinem Leben beeinträchtigt, wenn alte Menschen mobil sein und gut leben können?

Katharina: Genau, ganz im Gegenteil. Wenn wir Politik für alte Menschen machen, dann ist das letztlich eine Politik für Inklusion, für Teilhabe, für Zugänglichkeit. Das hilft allen Altersgruppen und jeden kann es ja treffen, dass er oder sie auf Barrierefreiheit angewiesen ist. Insofern ist Politik, die Barrieren abbaut, eine Politik für die ganze Gesellschaft und damit für eine inklusive Gesellschaft.

Die Fragestellungen ergeben sich immer, wenn es um Prioritäten geht. Was machen wir zuerst? Dann geht es um Geld. Und dann ist die Frage, leisten wir es uns Barrieren abzubauen? Leisten wir es uns, Fahrstühle einzubauen? Das ist sowohl im Einbau, aber vor allem im Unterhalt, mit Kosten verbunden. Und dann ist immer die Frage, leisten wir uns das, wollen wir das?

Und wir sagen immer: Ja, das braucht es. Gerade der öffentliche Raum muss zugänglich sein, der öffentliche Raum muss schwellen frei sein, damit man eben auch nicht stolpert. Darum ist es immer eine Frage der Prioritäten und dessen, ob eine Aufgeschlossenheit da ist, dafür auch Geld aufzuwenden.

Vielleicht könnten wir beispielsweise beim Neubau und bei der Sanierung von Gebäuden damit anfangen, keine neuen Barrieren aufzubauen.

Angelika: Das ist ja genau auch meine Idee, dass man anfängt zu überlegen, ob es nicht besser ist, jede einzelne Wohnung barrierearm zu gestalten. Dafür werden die Dinge nicht mehr extra teurer, sondern weil es die Normalanfertigung wäre, bekäme man das auch zu normalen Preisen.

Es ist schon ein Unterschied, ob ich eine Dusche ebenerdig baue und alle gleich von Anfang an sagen, ich brauche für meine 30 Wohnungen 30 ebenerdige Duschen, ich will nicht, dass irgendjemand eine Stufe steigen muss und vielleicht stürzt. Dann habe ich letzten Endes einen Gewinn für die gesamte Gesellschaft und brauch auch keine Sonderanfertigungen mehr.

Katharina: Aber wir sind eine gebaute Stadt.

Ja, aber wir bauen auch neu. Ich denke nur an das neue Technische Rathaus, was irgendwann mal gebaut wird. Und dort wäre ja die Frage: Muss man dort noch Schwellen einbauen, kann man dort von vornherein Toiletten barrierefrei gestalten?

Katharina: Das ist ja durch den Normen geregelt und das bewerbe ich auch immer sehr gerne. Es gibt die wunderbare Ausstellung im Gesundheitsamt in der Friedrich-Ebert-Straße. Da ist eine Ausstellung zur konkreten Umsetzung der Normen, es ist alles normiert und alles vorgeschrieben in den Bauordnungen, zur Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und für öffentliche Gebäude. Wir haben auch schon lange die Ausstellung für barrierefreies Wohnen im Technischen Rathaus in der Prager Straße.

Wir haben aber bis heute kein Ausbildungsmodul bei der Ausbildung für ArchitektInnen, in dem Barrierefreiheit gelehrt wird. Das heißt bis heute müssen sich die berufstätigen ArchitektInnen sich selbst damit vertraut machen müssen, was gibt es hier für DIN-Normen und Vorschriften. Deswegen haben wir auf Landesebene gesagt: Es wäre wichtig, dass die Kammern das in ihrem Ausbildungsbereich auch anbieten. Wir haben hier nicht das Problem von Gesetzen, sondern von Umsetzung und Kontrolle.

Wir hatten viele Jahre die Diskussion im Beirat für Menschen mit Behinderungen und im Seniorenbeirat, dass es hier im Rathaus auch einen barrierearmen Zugang gibt. Es gibt den barrierefreien Zugang, den Seiteneingang.

Wir reden jetzt über den Handlauf an der Haupttreppe?

Genau, bis dieser Handlauf endlich kam, was waren das für Diskussionen? Heute haben wir ihn und er fügt sich ins Bild ein, als wäre er immer da gewesen.

Angelika, Du bist Initiatorin oder Mitinitiatorin des Antrags, was wäre denn überhaupt ein Thema, welches nur für alte Menschen wichtig ist? Gibt es überhaupt spezielle Sachen, die nur für Alte sind?

Angelika: Nein, das denke ich eher nicht. Mein Hobby sind immer Bänke. Ich denke, in der Stadt selber ist es eigentlich ganz gut, da geht es noch. Aber kaum kommt man ein bisschen weiter nach draußen in einem anderen Wohnumfeld, da gibt es nichts mehr, obwohl genügend Platz da wäre. Es sind Wiesen da, es sind Bäume da, eine Bank um den Baum herum zu bauen, wäre recht schön. Da können sich auch junge Leute drauf setzen und abends ein bisschen quatschen oder anderes machen.

Katharina: Also mir fällt auch kein Aspekt ein, wo es exklusiv nur für die ältere Generation wäre. Wenn wir Angebote schaffen, dann sind alle Altersgruppen begünstigt. Gerade bei den Bänken, ich habe ja mehrere Kinder. Ich fand das immer angenehm, wenn ich einen Platz hatte, wo ich mich hinsetzen konnte und pausieren konnte.

Für Kinder ist es ja auch schön, die sitzen gerne mal auf einer Bank und lassen die Beine baumeln und laufen dann weiter. Also man kann die fußläufige Stadt viel besser gestalten, wenn der öffentliche Raum so ausgestaltet ist.

Wir hatten ja schon vorher über Einsamkeit gesprochen, Bänke tragen ja auch dazu bei in Kommunikation zu kommen, mal einen kleinen Plausch zu haben in der Nachbarschaft und in Kontakt zu kommen.

Der Grund, warum ich heute hier bin, ist ja der, dass kein Missverständnis entsteht. Wenn ich schreibe: Die Grünen wollen eine altenfreundliche Stadt, dann gibt es wahrscheinlich Menschen, die fragen: Was ist mit uns? Deshalb war die Einstiegsfrage: Was gibt es überhaupt für Alte, was den anderen nicht zugutekommt? Wir haben viele Probleme, die alte Menschen betreffen, aber auch Menschen mit Behinderungen, Schwangere oder Mütter mit kleinen Kindern.

Wir haben beispielsweise wunderbar ausgebaute barrierefreie Haltestellen für den ÖPNV, die auf Fußwegen liegen, die einer Cross-Strecke gleichen. Zu denen man weder mit Rollstuhl, noch mit Rollator, mit Krücken oder mit dem Kinderwagen gut gelangt. Es gibt noch viel zu tun in Leipzig.

Katharina: Genau, und das geschieht planvoll, und planvoll heißt immer: Es dauert eben auch ein Stück, aber es passiert und es geht voran. Mir ist es aber auch nochmal wichtig zu betonen, wir haben strategische Ziele in Leipzig, ich meine, 20 Jahren. Da ist beschrieben, dass wir zwei strategische Hauptziele haben. Das eine strategische Ziel ist, alles zu tun für Familien und Kinder.

Und zum Zweiten, dass wir alles tun für eine wirtschaftliche Entwicklung, Abbau der Arbeitslosigkeit, das war vor 20 Jahren hochrelevant. Das ist auch heute wichtig, heute müssen wir eher darüber sprechen, was verdienen Menschen in ihren Berufen, wie können sie von dem, was sie arbeiten, auch gut leben. Da haben wir schon einen Schwenk, dass man in den strategischen Zielen nachschärfen musste.

Bei dem Familienziel hat mich immer irritiert, dass die Alten nicht mit gemeint waren. Es war immer ein enger Familienbegriff auf die Kleinfamilie, auf Eltern und Kinder und die Bedürfnisse und Bedarfe dieser Gruppe.

Wie gesagt, mir ging es eigentlich heute darum, festzustellen: Geht es Euch nur um alte Menschen, sollen wir speziell etwas für diese tun, oder kommt das allen zugute?
Katharina: Wir sind auch eine touristische Stadt. Wir haben viele Gäste und wenn wir uns damit auszeichnen lassen, dass wir eine altersfreundliche Stadt sind, kann uns das nochmal im Wettbewerb der Städte helfen. Es ist nicht nur „nice to have“ altersfreundlich zu sein, sondern es hat auch eine Implikation, die sich wirtschaftlich auswirken kann. A

lso wir betrachten die Menschen, die in unserer Stadt leben, wir betrachten aber auch Menschen, die zu uns kommen. Das ist diese Umkehrrentabilität, dieses schöne Wort haben wir als StadträtInnen gelernt. Altersgerecht zu sein ist kein nice to have, es ist ein must be.
Angelika: Erste ostdeutsche Stadt, mit dem Label „Age-Friendly-Cities“, klingt gut, finde ich.

Angelika und Katharina, ich danke Euch für das Gespräch.

Fazit: Eine Stadt, die „altenfreundlich“ ist, ist eigentlich eine menschenfreundliche Stadt. Die „8 miteinander verbundene Domänen des städtischen Lebens“ des „Age-Friendly-Cities“-Netzwerks betreffen schließlich nicht nur alte Menschen, sie betreffen uns alle. Die Einen jetzt, die Anderen vielleicht später.

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