Die Vorweihnachtszeit ist für die meisten Menschen eine fröhliche Zeit. Was bedeutet sie aber für alte Menschen in Seniorenheimen? Besonders für Menschen, denen die Erinnerungen an Weihnachten durch psychische Erkrankungen wie Demenz verloren gegangen sind und für einsame Menschen versuchen Michael Oertel und Malu Sieber mit ihrem Verein, diese Erinnerungen wieder zu aktivieren.

Mit dem Konzept „Erinnerungen wecken und Sinne aktivieren“, oder auch „Wohlbefinden statt Psychopharmaka …“ wollen sie diese Menschen in die Gefühlswelt der Vorweihnachtszeit zurückholen, zumindest für eine Weile. Den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern der Einrichtungen wollen sie einfach Freude bereiten.

Der Verein mitMENSCHENleben e.V. besteht seit 2022 und wird von Michael Oertel geleitet. Da wir aus verschiedenen Gründen leider keine der Veranstaltungen besuchen konnten, haben wir uns am 5. Dezember in einem Zoom-Call getroffen. Für das Gespräch haben wir die Anrede per Du vereinbart.

Michael, Du bist der erste Vorsitzende des Vereins mitMENSCHENleben e.V. Was ist das für ein Verein, womit beschäftigt Ihr Euch?

Der Verein ist 2022 gegründet worden, er besteht aus zwölf Mitgliedern und hat deutschlandweit 50 bis 60 ehrenamtliche Helfer, die sind tatsächlich über ganz Deutschland verstreut. Tatsächlich werden wir dort tätig, wo es keine öffentlichen Fördermittel gibt. Da geht kaum einer hin, das ist also quasi eines unserer Alleinstellungsmerkmale. Das macht es auch besonders schwierig, aber es ist gut. Wir gehen vorrangig in Kinderkliniken und Alten- beziehungsweise Seniorenheime.

Keine Fördermittel, bedeutet das, dass Ihr Euch über Spenden finanziert?

Richtig, spendenfinanziert und über Stiftungen, wenn sich das mal ergibt. Danach suchen wir tatsächlich immer. Es gibt keine städtischen, EU- oder sonstigen Fördermittel für uns.

Mit Eurer aktuellen Aktion „Kaffee & Spekulatius – Alle Jahre wieder!“ geht Ihr in Senioren- und Pflegeheime, was macht Ihr dort?

Es ist ein Programm, welches vor allen Dingen die Erinnerungsaktivierung zum Ziel hat. Ganz nach Heinrich Bölls Motto: „Erinnerungen sind Heimat.“ Diese guten Erinnerungen wollen wir wecken. Ein großer Teil besteht in der Sinnesaktivierung, weil die Menschen etwas anfassen, etwas schmecken und vielleicht auch etwas riechen können. Auch ein Räucherkerzchen wäre schön, das darf aber meistens nicht angezündet werden.

Für alle Menschen dort, vom schwerst an Demenz Erkrankten bis zum kognitiv noch vollkommen fitten, bringen wir ganz viele Erinnerungsgegenstände mit. Bei diesem Programm speziell Puppenstube, Kaufmannsladen und Eisenbahnplatte und alles was für Weihnachten ganz, ganz wichtig war.

Und dann gibt es ein Erinnerungsbuch, in dem ich Geschichten gesammelt und niedergeschrieben habe. Die werden dann vorgelesen und dann wird mit den Bewohnern gequatscht. Die Kaufmannsladentüten sind gefüllt. Es gibt unsere Drehorgel, es wird gemeinsam gesungen. Das gehört alles mit dazu.

Wie kommt das bei den alten Leuten, natürlich auch beim Personal an?

Grundsätzlich so, dass beide Parteien sagen: Was, schon vorbei? Bleibt doch noch da, kommt wenigstens bald wieder. Selbst die wirklich schwer Demenz Erkrankten halten locker eine Stunde durch, schlafen nicht ein und zeigen Regungen, die sie noch nie gezeigt haben, wie uns oftmals die Betreuer sagen.

Das ist jetzt das erste Mal, wenn sie ein Püppchen, eine Eisenbahn oder irgendwas fühlen dürfen und plötzlich macht es „bing“. Und wir sind schon wieder für das nächste Jahr gut gebucht, wenn wir dafür Gelder zusammen bekommen.

Herr Michael Oertel liest aus dem Erinnerungsbuch. Foto: Felix Mauersberger
Michael Oertel liest aus dem Erinnerungsbuch. Foto: Felix Mauersberger

Die Veranstaltung am 20.11., von der die Bilder im Artikel stammen, war ja nicht die erste, die Ihr gemacht habt. Wollen die Heime Euch alle im nächsten Jahr wieder haben?

Heute waren wir beispielsweise im SAH in der Naunhofer Straße, die haben gleich vier Veranstaltungen für den März gebucht und gesagt, wir wollen noch mehr im nächsten Jahr. Das schon zeigt den Bedarf.

Bis Weihnachten habt Ihr noch einige Termine vor Euch, dann macht Ihr selbst erstmal Pause?

Es geht tatsächlich bis zum 23.12., dann fällt der Hammer und am 24.12. kehren bei uns ein paar einsame Seelen ins Haus ein. Das ist immer unser Heiligabend. Und ab 25.12. ist dann tatsächlich nur Zeit für mich und meine Frau.

Die einsamen Seelen kommen in Dein privates Haus?

Genau, unser privates Haus. Es gibt im Umfeld ein paar Leute, die zum Freundeskreis gehören und Schicksalsschläge hinter sich haben, die alleine sind, die sich einsam fühlen, die krank sind. Die laden wir zum Kaffee und zum Abendbrot ein.

Du sagtest anfangs, Ihr geht auch in Kinderkrankenhäuser. Viele kennen die Krankenhausclowns, macht Ihr etwas Vergleichbares?

Unser Angebot ist ein komplett anderes. Bei uns ist es eine Art Kultur-Kunst-Veranstaltung, Mitmachen, ein ganzes Stück auch Bildung, weil ja oftmals Schule länger ausfällt. Ein wichtiger Bestandteil bei uns ist Seelsorge. Also wir kümmern uns um die Seele der Kinder und vor allen Dingen auch der Eltern, die oft dabei sind.

Wir gehen zum einen auf normale Stationen, die Chirurgie zum Beispiel, wo dann im Spielzimmer unsere Bühne aufgebaut wird und wo wir dann unser Programm spielen. Dann wird gemalt, gesungen und miteinander etwas gemacht.

Seit 14 oder 15 Jahren gehe ich auch in die Intensivstationen und betreue dort Kinder 1 zu 1 mit meinen Handpuppen und mit meinen Geschichten von der Elfe Magda, mit der Musik dazu. Sowohl die Kinder im Bett als auch die Eltern, die oft am Bett weilen, brauchen seelische Unterstützung.

Jetzt sprachst Du von Seelsorge. Seid ihr ein konfessionell gebundener Verein?

Nein, wir sind nicht konfessionell gebunden. Wir haben sicherlich einen christlichen Hintergrund, gehören aber keiner Kirche an und legen auch überhaupt keinen Wert darauf. Ich finde, die Seelsorge ist etwas, was die Kirchen mehr und mehr vernachlässigt haben, obwohl es eigentlich ihre Kernaufgabe sein sollte.

Wir leisten und übernehmen Seelsorge. Für eines Menschen Seele zu sorgen, das halte ich für ein ganz menschliches Bedürfnis und unsere Aufgabe. Eine gesunde Seele ist Voraussetzung für einen starken Geist und einen gesunden Körper.

Nehmen wir das als Schlusswort! Ich danke Dir für das Gespräch.

Die Bilder im Artikel wurden bei der Veranstaltung am 20.11.2025 im Seniorenwohnpark Am Eutritzscher Markt vom Leipziger Fotografen Felix Mauersberger (HOMILIUS) angefertigt. Eine Fotografiegenehmigung aller Teilnehmenden lag vor und Felix Mauersberger hat uns die Bilder freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

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