„Ich habe ein Jahr lang nach einer Psychotherapie gesucht. Fünf Monate nach einem Erstgespräch habe ich dann einen Therapieplatz bekommen. Manchmal denke ich, dass ich dort nicht perfekt aufgehoben bin, aber die Angst vor erneuter Suche bringt mich dazu, dort zu bleiben.“

„Meine damals 13-jährige Tochter musste vier Monate auf einen Platz bei der einzigen Kindertherapeutin vor Ort warten, nachdem ich bemerkt hatte, dass sie sich (selbst verletzte). Die Chemie zwischen Patientin und Therapeutin hat nicht gestimmt (…) Ich bin dann einmal im Monat mit ihr in die Ambulanz der Kinderpsychiatrie in der nächstgelegenen Großstadt gefahren, 30 km Entfernung.“

„(…) Das Kostenerstattungsverfahren lehnte die Barmer rigoros ab. Auch nicht nach Hinweis auf § 13 SGB. Eine Therapie kam nie zustande.“

Diese Erlebnisse sind unter Menschen, die Psychotherapie suchen, keine Seltenheit. Unter dem Motto „Psychotherapie? Mangelware!“ versammelten sich deshalb rund 300 Personen am Samstag, dem 26. August, auf dem Willy-Brandt-Platz. Zu der Demonstration aufgerufen hatte das gleichnamige Bündnis. Zentrale Forderung ist die Schaffung von mehr Psychotherapieplätzen in Deutschland.

„Wir finden die aktuelle Situation unerträglich. Deshalb stehen wir heute wieder auf der Straße, weil nach wie vor keine politischen Maßnahmen für eine bedarfsgerechte Psychotherapeutische Versorgung getroffen wurden.“

Seit 2022 gegen mangelnde Therapieplätze

Seit Mai 2022 gibt es die unabhängige und selbst organisierte Gruppe „Psychotherapie? Mangelware!“. Bereits im September 2022 hatte die Gruppe aus Interessierten, Fachpersonal in der psychischen Versorgung und selbst Betroffenen eine Demonstration veranstaltet. Sie ist, nach eigener Aussage, bundesweit die erste selbst organisierte Gruppe, die sich für dieses Thema einsetzt.

Über die Schaffung von Therapieplätzen hinaus, setzen sie sich für öffentliche Aufmerksamkeit, Aufklärungsarbeit und Entstigmatisierung von Betroffenen psychischer Erkrankungen ein und fordern eine Auflösung der Ökonomisierung des Gesundheitssystems und mehr Mitspracherecht für Patientenvertreter*innen.

Es fehlt nicht an Therapeut*innen, sondern an Kassensitzen

Cover Leipziger Zeitung Nr. 116, VÖ 31.08.2023. Foto LZ

Um mehr Therapieplätze zu ermöglichen, braucht es vor allem mehr Kassensitze für Psychotherapeut*innen. Diese sind in Deutschland begrenzt und werden je nach Region in einer sogenannten Bedarfsplanung errechnet. Diese basiert jedoch auf Zahlen von 1990. Mittlerweile ist der Bedarf nach Psychotherapie um ein Vielfaches gewachsen. Ohne Kassensitz wird die Therapie jedoch von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Das Aufstocken der Kassensitze passiert der Kritik zufolge deutlich zu langsam. In Leipzig herrscht laut Ostdeutscher Psychotherapeutenkammer ein besonders großer Mangel.

Im Gesundheitssektor ist die Psychotherapie wahrscheinlich der einzige Bereich, in dem kein Personalmangel herrscht. Viele Therapeut*innen müssen jedoch jedoch jahrelang auf einen Kassensitz warten, für fünfstellige Summen einem Kollegen die Praxis abkaufen oder sich einen Sitz mit einem anderen Therapeuten teilen.

Wer gesetzlich versichert ist und keine*n Psychotherapeut*in mit Kassensitz findet, kann bei der gesetzlichen Krankenkasse wegen sogenannten Systemversagens die Kostenübernahme bei einer*m Therapeut*in ohne Kassensitz beantragen. Das Verfahren ist jedoch langwierig und Betroffene berichten, dass die Kassen die Anträge oft ablehnen. Alternativ bleibt nur, die teure Therapie selbst zu bezahlen.

Besondere Schwierigkeiten für marginalisierte Gruppen

Für psychisch Erkrankte ist es, je nach Problemlage, unter diesen Bedingungen teils unmöglich, sich selbst um einen Therapieplatz zu kümmern. Anrufe bei 50 bis 100 Praxen, während man schon weiß, dass man mit Absagen zu rechnen hat, seien dann einfach nicht machbar, so die Gruppe „Psychotherapie? Mangelware!“. Marginalisierte Menschen, auf die ein Fokus der Demonstration gelegt werden sollte, haben es jedoch besonders schwer.

„Von sehr queerfeindlichen und problematischen Therapeut*innen hören und gleichzeitig das Gefühl: Ich muss nehmen, was kommt“, lautete auch eine der beschriebenen Erfahrungen.

„Alternative Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels“ erschien erstmals in der August-Ausgabe, ePaper LZ 116, der LEIPZIGER ZEITUNG.

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