Es betrifft nicht nur Sachsen. Die gesamte Bundesrepublik hat ein Problem: Immer weniger Menschen wagen den Schritt in die Gründung eines Unternehmens. Das hat Ursachen. Das Sächsische ExistenzgründerNetzwerk schlägt zwar nicht Alarm. Aber die neuen Gründerzahlen aus Sachsen sind alarmierend.

Auch wenn es erst einmal nicht aus der Rolle fällt, wenn das Gründungsgeschehen im Freistaat Sachsen dem bundesweiten Trend folgt.

Im vergangenen Jahr waren erneut sinkende Gründungszahlen sowohl im Haupt- als auch im Nebenerwerb zu verzeichnen. Insgesamt gibt es derzeit nur etwa halb so viele Gründungen wie noch vor zehn Jahren. Das geht aus der aktuellen Ausgabe des Sächsischen Gründerreports hervor, den das Sächsische ExistenzgründerNetzwerk (SEN) bereits zum sechsten Mal veröffentlicht.

Wobei man hier einklinken muss: 2007 war Sachsen noch durch tausende Notgründungen geprägt. Viele Menschen, die den Absturz in „Hartz IV“ vermeiden wollten oder mit Existenzgründerzuschüssen eine Chance sahen, eine Art Selbstständigkeit aufzubauen, gründeten lieber ein Ein-Mann- oder Ein-Frau-Unternehmen, als sich vom bürokratischen Verwaltungsapparat gängeln zu lassen.

Dieser Druck ist weg. Viele dieser Gründer sind längst wieder in eine Festanstellung in ihrem Beruf zurückgekehrt. Andere haben eine Pleite hingelegt und sich bis zum Lebensende überschuldet. Denn zum Gründen braucht man Geld. Das die Sachsen in der Regel bis heute nicht haben. Deswegen ist der weitere Rückgang der Neugründungen tatsächlich alarmierend.

10.328 Gründer gingen 2016 den Weg in die hauptberufliche Selbstständigkeit – rund 800 weniger als 2015. Die Zahl der Neugründungen im Nebenerwerb lag im Vorjahr bei 10.187. Hier wurde ein Rückgang um 10 Prozent gegenüber 2015 verzeichnet.

Auch der sogenannte Gründungssaldo – die Differenz aus Existenzgründungen und Liquidationen – bleibt weiter negativ und lag bei rund 2.880 Unternehmen.

Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, betont das Netzwerk, weil die Entwicklung bei den gewerblichen Unternehmensschließungen rückläufig ist. Der negative Gründungssaldo hält bereits seit dem Jahr 2007 an und pegelt sich seit 2012 in etwa auf diesem Niveau ein.

Das bedeutet: Seit zehn Jahren verliert Sachsen mehr Unternehmen, als es neu dazu gewinnt. Da es meist Klein- und Kleinstunternehmen sind, sorgt das in der hohen Politik für keinerlei Aufhorchen. Dort wird man erst munter, wenn große Unternehmen wie Solarworld gefährdet sind. Wie sehr die sächsische Wirtschaft auf der Tragkraft vieler tausend kleiner Unternehmen beruht, ist selbst auf kommunaler Ebene meist nicht bewusst.

Als Gründe für die niedrige Gründungsbereitschaft werden im „Gründerreport“ vor allem die günstige Konjunktur und die daraus resultierenden guten Arbeitsmarktbedingungen genannt. Viele Menschen, die die nötige Qualifikation für eine Selbstständigkeit hätten, sehen wenige Anreize, das vermeintliche Risiko einer Gründung einzugehen. Ihr Fachwissen wird in Festanstellungen gut bezahlt. Und die große Fachkräftenot in Sachsen hat gerade erst begonnen.

„Würdigung und Wertschätzung der Unternehmensgründung und der dahinterstehenden Personen“, fordert Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, die aktuell den Ratsvorsitz im SEN innehat.

Was vielleicht zu wenig ist. Das Gründungsrisiko wurde schon benannt: Jede Unternehmensgründung birgt für den Gründer auch ein komplettes Lebensrisiko. Bis hin zu dem Problem, das die Wirtschaftskammern längst beschäftigt: Immer mehr Unternehmensinhaber finden keine Nachfolger, können ihr Unternehmen also auch nicht weiterverkaufen. Der ganze finanzielle Einsatz löst sich in Luft auf, die Alterssicherung ist perdu.

Das Netzwerk hat mit dem „Gründerreport“ auch fünf Handlungsempfehlungen veröffentlicht, mit denen man möglicherweise mehr Gründungsdynamik in Sachsen erzielen könnte:

  1. Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuervoranmeldung,
  2. stärkere Anreize für Nebenerwerbsgründungen setzen,
  3. eine Weiterentwicklung der Beratungsinfrastruktur,
  4. Hochschulen stärker in das Thema Existenzgründung einbeziehen sowie
  5. die Abschaffung der mit der Arbeitsmarktreform 2011 erlassenen Regelung, dass Arbeitslosengeld-1-Empfänger vorrangig in ein Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden anstatt den Gründungszuschuss zu erhalten.

Man ahnt, wie vorsichtig alle Beteiligten sind, das Thema zu konkretisieren und die tatsächlichen Risiken genauer zu untersuchen. Denn dass die Gründung eines eigenen Untermnehmens als Lebensrisiko betrachtet wird, ist ja auch Ergebnis einer Politik, die sich mit den finanziellen Rahmenbedingungen von Gründungen und Kleinunternehmen nie wirklich beschäftigt hat. Die Analyse ist überfällig.

Schaut man auf die einzelnen Branchen, ergibt sich folgendes Bild:

55 Prozent aller Haupterwerbsgründungen fanden im Baugewerbe (2.551), im Handel (1.863) und in der Gastronomie/Beherbergung (1.285) statt. In allen anderen Branchen gab es weniger als 1.000 Gründungen. Der Handel behauptet seine kontinuierlich unterdurchschnittliche Entwicklung. Trotz hoher Gründungszahlen scheiden hier regelmäßig mehr Unternehmen aus dem Markt aus als einsteigen. Wesentliche Ursache: Die Marktdominanz der großen Einkaufsmärkte, mittlerweile verschärft durch das ungezügelte Wachstum von Online-Lieferanten.

Auch im Handwerk ist nach den relativ stabilen Jahren 2012 bis 2014 im zweiten Jahr in Folge wieder ein leichter Rückgang zu verzeichnen. 3.178 Neueintragungen in 2016 bedeuten ein Minus von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dieser Rückgang ist über alle Handwerksbereiche ausgeprägt.

Anders als bei den gewerblichen Gründungen schaut es bei der Entwicklung der Freien Berufe (freie Heilberufe, freie technische und naturwissenschaftliche Berufe, rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufe sowie freie Kulturberufe) aus. In Sachsen registrierten die Finanzämter 4.360 Gründungen im Jahr 2016 in diesen Bereichen – eine Steigerung um zwölf Prozent gegenüber 2015. Der Anteil der freiberuflichen Existenzgründungen an allen Gründungen stieg damit deutlich. Jede dritte Gründung (im Vorjahr jede Vierte) erfolgte durch Freiberufler. Damit liegt Sachsen über dem Bundesdurchschnitt.

Sächsisches ExistenzgründerNetzwerk (SEN): Das 2003 gegründete SEN ist eine Partnerschaft zwischen den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern sowie der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank im Freistaat Sachsen.

Der Gründerreport.

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