Der Mittelstand ist sein Leib- und Magenthema – als Rechtsanwalt, als CDU-Politiker und als Parlamentarischer Staatssekretär. Seit März, seit sich die neue Große Koalition endlich gefunden hat, ist Christian Hirte neben seinem Job als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium auch Ostbeauftragter der Bundesregierung. Und bei einem Besuch in Leipzig ließ er keinen Zweifel daran, dass er seinen Arbeitsschwerpunkt dabei in der Wirtschaftsförderung sieht.

Denn befragt nach der Schwerpunktsetzung in der Arbeit als Ostbeauftragter, grenzte er sich deutlich auch von seiner Vorgängerin Iris Gleicke ab, indem er betonte, seine Vorgänger im Amt hätten sich um viel zu viele Themen gekümmert. Er werde seinen eigenen Schwerpunkt setzen.

Und welcher das ist, erlebten am Mittwochmorgen, 20. Juni, rund 60 Unternehmerinnen und Unternehmer aus Mitteldeutschland, die der Einladung zur Dialogreihe „Unternehmen: wachsen“ des VDI in die IHK zu Leipzig gefolgt waren.

Denn dass der Osten auch 28 Jahre nach der Deutschen Einheit noch immer das Sorgenkind ist, hat ja zuallererst mit dem deutlich schwächeren Besatz an starken Unternehmen zu tun. Fast alle börsennotierten Konzerne haben ihren Unternehmenssitz im Westen oder in Berlin.

Damit liegen auch die wichtigen Forschungsabteilungen und die wertvollen Unternehmenssteuerungen dort – mitsamt den in der Regel hochdotierten Arbeitsplätzen. Was einer der Gründe dafür ist, dass das Lohnniveau im Osten noch immer um 20 Prozent unter dem im Westen liegt. Die Wirtschaftsstrukturen im Osten sind damit verglichen immer noch sehr kleinteilig. Auch in Leipzig, immerhin einem der Vorzeigeknoten im ostdeutschen Wirtschaftsgeschehen.

Nur 10 Prozent aller Leipziger Unternehmen beschäftigen mehr als 10 Leute, erklärte Christian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig, am Mittwoch. Das heißt: In den meisten Unternehmen fehlt das Personal, um überhaupt strategisch vorzugehen oder gar Innovationen anzuschieben. Kirpal spricht sogar vom „typischen ostdeutschen Unternehmensmodell“: der Firmeninhaber ist gleichzeitig noch Geschäftsführer, Einkäufer, Antragsteller und am Ende auch noch der eigene Buchhalter. So arbeiten viele ostdeutsche Unternehmen seit 28 Jahren.

Aber für Christian Hirte ist das kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Denn mehrere Studien zeigen, dass sich seit ungefähr acht Jahren etwas Entscheidendes ändert: Aus dem Myzel der vielen ostdeutschen Kleinunternehmen entwickeln sich die ersten größeren Unternehmen. Das, so Hirte, ist der Entwicklungsschritt zu einem eigenen Mittelstand, der in Ostdeutschland flächendeckend rar ist. Und noch etwas ist zu beobachten: Die Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern haben seit 2011 die Hälfte aller neuen Arbeitsplätze geschaffen.

Was verständlich ist: Erst wenn Unternehmen eine bestimmte Größe und Umsatzmenge erreichen, erwirtschaften sie auch genug, um neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen.

„Und sie zahlen die besseren Gehälter“, sagt Hirte. „Denn sie suchen ja hochqualifizierte Fachleute.“

Was übrigens dazu beitrug, dass der Osten mittlerweile auch wieder eine eigene wirtschaftliche Wachstumsgeschichte schreiben kann. Nicht so beeindruckend wie die in Süddeutschland. Aber Hirte sieht Potenzial. Der Osten müsse sich nicht verstecken, er sei ein guter Ort, um Unternehmen zu gründen. Deswegen habe man hier allen Grund, „mit großem Selbstbewusstsein nach vorne zu blicken“.

Aber da musste ihn auch Christian Kirpal nicht extra drauf hinweisen: Dass der Osten trotzdem hinterherläuft, hat mit dem flächendeckend fehlenden Eigenkapital zu tun. Man könne zwar mittlerweile überall junge Unternehmen mit cleveren Ideen finden und darunter auch einige, die auf internationalem Parkett gut mitmischen. Aber viele dieser versteckten Meister („hidden champions“) schaffen den nächsten Schritt nicht, um aus ihrer Nische zu kommen und tatsächlich zu einem schlagkräftigen Mittelstands-Unternehmen heranzuwachsen. Weil es am Eigenkapital fehlt, wie Christian Kirpal bestätigt.

Das ist der wesentliche Unterschied zu westdeutschen Mittelstandsunternehmen, die nie enteignet wurden, oft Jahrzehnte in Familienbesitz sind und auch entsprechend eigene Kapitalreserven aufbauen konnten. Manche sind ja so clever und kaufen sich so in die kapitalhungrigen kleinen „champions“ im Osten ein. Was Christian Hirte nicht schlecht findet, im Gegenteil. „So wird westdeutsches Kapital eben auch im Osten fruchtbar“, sagt er.

An einer anderen Lösung arbeite man gemeinsam mit der sächsischen Staatsregierung, sagt Kirpal, der ja die Not der IHK-Mitgliedsunternehmen kennt. Denen reichen die üblichen Förderprogramme nicht, um den nächsten Wachstumsschritt zu finanzieren. Denn um aus einem kleinen Unternehmen einen schlagkräftigen Mittelständler zu machen, braucht es in der Regel Anschubfinanzierungen von 2 bis 10 Millionen Euro.

Nur so könne man die ostdeutsche Wachstumsschwäche gegen Unternehmen aus Süddeutschland beheben, sagt Kirpal. Und er nennt wichtige Stichworte, die alle mit Wachstumsinvestitionen verbunden sind: Fusionen, Kooperationen, Übernahmen, Cluster-Bildung. Aber auch die Schaffung gemeinsamer Forschungsverbünde. Denn gerade bei Forschung und Entwicklung (F & E) ist der Osten noch immer gegenüber den großen Forschungsabteilungen im Westen benachteiligt.

Und Kirpal hat dabei noch etwas anderes im Sinn, denn er weiß ja, dass das Fachkräftereservoir in Sachsen beinah ausgetrocknet ist. Sächsische Unternehmen müssen also attraktiv werden für Fach- und Führungskräfte auch von anderswo.

Wobei am Mittwoch auch kurz das Thema Führungskräfte-Mangel angeschnitten wurde. Denn die meisten Unternehmen sind in der Gründungswelle ab 1990 entstanden, deren Chefs aber gehen nun nach und nach in Ruhestand. Aber wer übernimmt das Unternehmen nun? In vielen Unternehmen fehlt schlicht der Nachfolger.

Die vom VDI veranstaltete Reihe „Unternehmen: wachsen“ fokussiert freilich genau auf das Segment der jungen, schnell wachsenden Unternehmen. Es ginge darum, beste Beispiele aus der Praxis weiterzutragen, sagt Dr. Bernhard Hausberg vom VDI. Die Veranstaltung am Mittwochmorgen in der IHK war schon die achte dieser Art.

Und als mögliche Vorbilder aus der mitteldeutschen Region stellten sich dort die Anona GmbH (diätische Lebensmittel), die envia TEL GmbH (Netzbetreiber und Kommunikationsdienstleister), die APPSfactory GmbH (spezialisiert auf Applikationen, die sogenannten Apps) und die binee UG (Entsorgung und Recycling) vor.

Man muss ja nur das richtige Themenfeld beackern, dann kann man auch Geschäfte machen. Und Hausberg merkt auch zu Recht an, dass gerade die jungen und innovativen Unternehmen in der Region sich mit Marketing schwertun. Oft genug sei er selbst bei den eigenen Veranstaltungen überrascht, dass man dann doch über ein Vorzeigeunternehmen stolpert, von dem man vorher noch nie gehört hat.

Das Bundeswirtschaftsministerium, so Christian Hirte, werde noch in dieser Legislatur auch die bereitgestellten Fördermittel für benachteiligte Regionen deutlich aufstocken. Mit Betonung auf benachteiligte Regionen. Denn die reine Ost-Bindung dieser Förderprogramme gibt es nicht mehr. Sie kommen auch Randregionen im Westen und Süden zugute. Trotzdem schätzt er, dass auch in den nächsten vier Jahren 80 Prozent der Fördermittel im Osten beantragt werden. „Der Osten hört ja nicht auf, eine Region mit erhöhtem Förderbedarf zu sein.“

Aber deutlich wurde auch: Er sieht den Schwerpunkt seiner Arbeit als Ostbeauftragter in der Förderung des Mittelstandes, in der begründbaren Annahme, dass mehr leistungsstarke Mittelständler im Osten auch für mehr lukrative Arbeitsplätze sorgen und den Rückstand zum Westen etwas verringern können.

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