Seit Juli hat eine neue Baustelle den Leipziger Hauptbahnhof im Griff: Große Planenwände schirmen die Mittelbahnsteige 12/13 und 14/15 ab. Oder zumindest das, was davon noch übrig ist. Am Montag, 25. August, durften die Journalisten mal hinter die Plane gucken. Und was sie sahen, waren keine Bahnsteige mehr.

Am 27. Juli begannen hier die Arbeiten für einen Teil des Großprojekts “Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8” (VDE 8). Jene ICE-Verbindung von Nürnberg nach Berlin, die Leipzig auch in der Nord-Süd-Achse ins deutsche Schnellzugnetz einbinden soll. Aber als sich die Politik 1992 auf die damalige VDE-Liste einigte, war man ganz unübersehbar noch immer im Taumel der Deutschen Einheit und glaubte, mit Geld und hochgekrempelten Ärmeln binnen acht Jahren den ganzen deutschen Osten auf ICE-Niveau bringen zu können. Die 515 Kilometer lange ICE-Strecke von Nürnberg über Erfurt, Halle, Leipzig nach Berlin sollte damals noch im Jahr 2000 fertig sein. Mit über 9 Milliarden Euro ist sie das größte Großprojekt, das in Deutschland gebaut wird. Mittlerweile hat sich der Gesamtfertigstellungstermin ins Jahr 2017 verschoben.

Damit auch gekoppelte ICE-Züge in Leipzig einfahren können, braucht der Leipziger Hauptbahnhof längere Bahnsteige extra für diese Züge. Aber mit einer einfachen Verlängerung der Bahnsteige ist es nicht getan. Bis zum 20. August wurden die Bahnsteige 12/13 und 14/15 komplett abgebrochen. Zwei Tunnel (ein Post- und Gepäcktunnel und ein Personentunnel) wurden mit neuen Wänden versteift und mit Sand verfüllt. Sie waren schon vor den Umbauarbeiten nur noch als Lager benutzt worden und hatten im Bahnhofsbetrieb keine Funktion mehr.
Beide Bahnsteige werden komplett neu errichtet – und das in einer neuen Länge von 420 Metern, also praktisch doppelt so lang wie die alten Bahnsteige. Die Hälfte der Bahnsteige wird sich also außerhalb der Bahnhofshalle befinden. Gleichzeitig werden beide Bahnsteige auf 76 Zentimeter oberhalb der Gleisebene erhöht, damit künftig der Zustieg für Menschen mit Handicap einfacher wird. Auch bei der Bahnsteiggestaltung selbst werden jetzt auch entsprechende Standards umgesetzt: weiß abgesetzte Bahnsteigkanten und Blindenleitstreifen über die ganze Länge.

Ansonsten sollen bei der Gestaltung der erhöhten Bahnsteige die Elemente der alten Bahnsteige wieder aufgenommen werden – vom Steinbelag bis zur Ausstattung mit Bänken, Infotafeln und – außerhalb der Halle – auch Unterstellmöglichkeiten.
Durch die Knobeleien um die Stichtunnel gab es ein paar Verzögerungen im Bauablauf. Aber seit dem 27. Juli wird rangeklotzt. Gearbeitet wird rund um die Uhr, auch nachts und am Wochenende. Parallel dazu werden – nachdem im Zuge des City-Tunnels schon die Gleise auf der Ostseite der Rackwitzer Brücke (700 Meter nördlich des Hauptbahnhofs) erneuert wurden – weitere vier Gleise samt Brückenunterlage komplett erneuert, über die die neuen ICE-Bahnsteige in die Neubaustrecke Erfurt – Halle/Leipzig eingebunden werden sollen.

Die Einbindung soll zwar erst im Fahrplan ab Dezember 2015 passieren. Aber dazu fehlt dann auch im Hauptbahnhof Leipzig noch ein Baustein, denn auch der Bahnsteig 10/11 soll noch umgebaut werden. Nicht ganz so lang wie die Bahnsteige 12/13 und 14/15, sondern nur 360 Meter. Aber der Aufwand ist ganz ähnlich. Hier sollen die Bauarbeiten im Oktober starten, wenn die beiden Nachbarbahnsteige fertig sind. Das soll noch im September geschafft werden. Die ersten Bahnsteigteile nehmen schon Kontur an. Wobei das spannendste Stück für die Bahnreisenden noch kommt: Denn um die Bahnsteige ins Gleisnetz einzubinden, muss der Hauptbahnhof wieder für fünf Tage komplett gesperrt werden.
Das soll vom 24. bis 28. September der Fall sein. Der Termin steht. Die Bauleute haben keinen zeitlichen Spielraum mehr. Bis dahin müssen sie die Bahnsteige fertig haben. Während der Totalsperrung wird auch die Software im Stellwerk angepasst. Umleitungen und Ersatzangebote für alle Zugangebote im Hauptbahnhof – im Regionalverkehr genauso wie bei ICE und auch bei den S-Bahnen – werden nötig. Ab Mitte September wird im Hauptbahnhof dazu umfassend informiert. Aber es ist vielleicht kein dummer Gedanke, wichtige Bahnreisen von Leipzig aus nicht unbedingt in die Sperrzeit des Hauptbahnhofs zu legen.

Der Bahnsteig 10/11 wird dann bis September 2015 umgebaut, so dass auch er bei Inbetriebnahme des VDE 8-Streckenabschnitts seine Funktion aufnimmt. Der Bahnsteig 14/15 und der halbe Bahnsteig 13 stehen nach dem 28. September 2014 schon für den ICE-Betrieb zur Verfügung. Gleis 12 wird erst zusammen mit dem Bahnsteig 10/11 in Funktion treten.
Nach 13 Jahren wird also für die Leipziger so langsam greifbar, was 1992 als VDE 8 gestartet ist. Dabei klingt das Ziel sogar fast bescheiden: Eine Fahrzeit von Leipzig nach Erfurt in einer dreiviertel Stunde, von Leipzig nach Nürnberg von unter zwei Stunden. Bei der Tour nach München sind jetzt drei Stunden anvisiert.

Auf der fertiggestellten 123 Kilometer langen Bahnstrecke Erfurt – Leipzig/Halle beginnen jetzt die Test- und Messfahrten des elektrischen Zugverkehrs mit sehr hoher Geschwindigkeit. Die Bahn hat schon die entsprechende Warnung an die Anwohner der Strecke herausgegeben: “Die Baustelle wird zur befahrenen elektrifizierten Bahnstrecke. Damit entsteht ein neues Gefahrenpotential.” Am Montag, 25. August, wurde die Oberleitungsanlage scharf geschaltet: “Die Oberleitungsanlage steht unter einer Spannung von 15.000 Volt. Die Deutsche Bahn AG und die Bundespolizei weisen aus diesem Anlass auf die Gefahren bei unbefugtem Betreten von Bahnanlagen hin. Wer auf Brückenvorbauten, Maste oder Wagen klettert, begibt sich in Lebensgefahr. Bereits eine Annäherung von 1,5 Meter zur Oberleitungsanlage und ihrer Aufhängungen kann zu einem meist tödlichen Stromschlag führen. Dies gilt auch für das Hantieren mit Luftballons, Drachen und Wasserschläuchen neben und über der Bahnanlage”, warnt die Bahn. “Beim Aufenthalt auf der Strecke, auf Brücken oder in Tunneln besteht Lebensgefahr durch fahrende Züge.”

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Der planmäßige Zugbetrieb wird hier im Dezember 2015 aufgenommen. Die Einbindung des Leipziger Knotens in die ICE-Strecke bedeutet auch: Züge können künftig mit bis zu 160 km/h in Leipzig ein- und ausfahren. Dazu müssen rund 65 Weichen und mehr als 22 Kilometer Gleise und Oberleitungsanlagen erneuert werden. Die Gesamtkosten für die Einbindung Leipzigs des Projektes Nürnberg – Berlin (VDE 8) liegen bei rund 350 Millionen Euro. Davon fließen allein rund 120 Millionen Euro in den ersten Bauabschnitt mit der Verlängerung der Bahnsteige.

Informieren über das Verkehrsprojekt und die Leipziger Umbaumaßnahmen kann man sich im Informationscontainer am Museumsgleis 24 des Leipziger Hauptbahnhofes. Die Mitarbeiter des Informationspunktes stehen zu Einzelfragen und zum Gesamtprojekt von Mittwoch bis Sonntag von 12 bis 19 Uhr zur Verfügung.

Informationen zum Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8: www.vde8.de

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