Leipzig hat nicht ohne Grund 2019 den Klimanotstand ausgerufen. Die Zeit, dass die Welt die Kurve kriegen muss, um überhaupt noch ein halbwegs erträgliches Klima zu sichern, läuft ab. Und das bedeutet nun einmal: Verhaltensänderungen auf allen Ebenen. Auch ganz oben. Aber selbst die regelmäßigen Untersuchungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu den Dienstwagen der Ministerinnen und Minister bewirken kaum eine Änderung. Und wie sieht das mit Dienstwagen in Leipzig aus?

In der sächsischen Staatsregierung sieht es noch lange nicht gut aus. Auch sie fällt unter die deutliche Einschätzung, die der „Spiegel“ am 11. November traf: „Komfort statt Klimaschutz – dieser Devise folgen offenbar die meisten Politikerinnen und Politiker bei der Wahl ihrer Dienstwagen. Das geht aus einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hervor. Demnach halten nur sieben der dienstlich genutzten Politikerautos den EU-Flottengrenzwert von 95 Gramm CO₂ pro Kilometer im Realbetrieb ein. Gleichzeitig stiegen im Schnitt die Kohlenstoffdioxidemissionen der Dienstwagen gegenüber dem Vorjahr von 225 auf 227 Gramm pro Kilometer.“

„Klimafreundliche Dienstwagen müssen her“, forderte die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Über die „Rote Karte“ kommt nicht mal Spitzenreiterland Bremen hinaus, dessen Ministerflotte auf einen CO2-Ausstoß von 194 g je Kilometer kommt. Sachsen landet mit einem Schnitt von 235 g/km auf Platz sechs, wobei sich diese Abgaswerte auch bei den restlichen Bundesländern bis zum letzten, Hessen, mit 257 Gram nicht mehr deutlich ändern.

Und dabei könnte man Sachsen sogar noch zwei Bonuspunkte geben, weil Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) und Justizministerin Katja Meier (Grüne) lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.

Sachsen und Schleswig-Holstein in der Dienstwagenuntersuchung der Deutschen Umwelthilfe. Grafik: DUH
Sachsen und Schleswig-Holstein in der Dienstwagenuntersuchung der Deutschen Umwelthilfe. Grafik: DUH

Und Leipzig? Eigentlich hat der Stadtrat schon 2019 beschlossen, „dass die Anschaffung und Nutzung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren auf Basis fossiler Energieträger in der Stadtverwaltung und den Eigenbetrieben ab sofort eingestellt wird und über Ausnahmen der Stadtrat entscheidet.“

Eine Entscheidung, der jetzt das Dezernat Allgemeine Verwaltung mit einer Vorlage auszuweichen versucht, in der es heißt: „Die Stadtverwaltung Leipzig soll durch den Beschluss legitimiert werden, bis zum Zeitpunkt:

  • in dem eFahrzeuge in den notwendigen Fahrzeugsegmenten mit einer auskommenden Reichweite und Leistungsfähigkeit bzw. auch das Netz mit Lademöglichkeiten so ausgeweitet ist, dass Schnellladesysteme für eFahrzeuge bundesweit und darüber hinaus in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen,
  • eine wirtschaftliche, aber dennoch innerstädtisch klimabewusste Übergangslösung anzuwenden.“

Als gäbe es einfach keine ausreichend leistungsfähigen E-Fahrzeuge auf dem Markt.

Und zu den Fahrzeugen der Bürgermeister/-innen heißt es: „Der Oberbürgermeister, die Bürgermeister/-innen sind aufgrund der ihnen immanenten Aufgabenwahrnehmung vielerorts auch außerhalb des Stadtgebietes Leipzig (Überlandfahrten mit unterschiedlichsten Zielorten) unterwegs.

Zum Teil müssen diverse Termine an verschiedenen Orten/ Zielen (auch über mehrere Tage hinweg) bewerkstelligt werden. So z. B. Fahrten nach Dresden zur Sächsischen Staatskanzlei oder dem Sächsischen Städte- und Gemeindetag e. V. (Entfernung Leipzig–Dresden ca. 120 km) zu einem Termin am Geschäftsort von ca. 60 Minuten mit einer erforderlichen Weiterfahrt nach Berlin zum Deutschen Städtetag (Fahrtstrecke weitere 200 km), möglicherweise noch mit einem Stau auf der Autobahn, macht es unwahrscheinlich Berlin mit nur einer Ladung zu erreichen.

Die Heimfahrt nach Leipzig ohne einen Ladevorgang ist komplett ausgeschlossen. Gleichfalls eine Fahrt von Leipzig nach Dresden mit einem weiteren Termin in Chemnitz (eine Strecke 195 km) macht ein erneutes Laden des Fahrzeugs vor der Heimfahrt erforderlich. Der jetzt schon enge Terminkalender fordert dringlich noch die Suche nach einer freien verfügbaren Ladestation. Fußläufige Zeiten zum Geschäftspartner können gewissermaßen gar nicht mit eingeplant werden.“

Und dafür gibt es wirklich keine Angebote auf dem Markt? Das Verwaltungsdezernat: „Die aktuelle indikative Marktanalyse ergab, dass es momentan zwar eAutos zum Teil mit einer Reichweite von ca. 500 km gibt, diese aber entweder nicht verfügbar sind (z. B. Tesla) bzw. sehr hohe Anschaffungs-/Leasingkosten (z. B. Audi) verursachen würden. Ein Preis-/Leistungsvergleich erfüllt weder die gestellten Anforderungen an das Fahrzeug noch die Haushaltsgrundsätze von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Darüber hinaus steht bundesweit kein ausreichendes Netz mit Schnellladesystemen für eFahrzeuge zur Verfügung.“

Für drei Jahre will man also den Ratsbeschluss von 2019 deshalb aussetzen. Oder genauer: eine Ausnahmeregelung bekommen.

Bahncard 100 für die Bürgermeister/-innen

Womit die Linksfraktion nicht einverstanden ist. Denn wenn man meint, mit E-Auto nicht durchzuhalten, könnte man ja auch mit dem Zug fahren.

Weshalb die Neuformulierung durch die Linkfraktion so lautet: „Die Wahlbeamtinnen und Wahlbeamten erhalten eine Bahncard 100. Über Ausnahmegenehmigungen vom Klimanotstand bei der Beschaffung von Dienstfahrzeugen entscheidet der Stadtrat in zu begründenden Einzelfällen. Bei der Beantragung von Ausnahmegenehmigungen für die Wahlbeamtinnen und Wahlbeamten ist die gemeinschaftliche Nutzung von Fahrzeugen zu prüfen.“

Was die Fraktion auch entsprechend begründet: „Der Leipziger Klimanotstand regelt Ausnahmemöglichkeiten vom Anschaffungsverbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Es soll dabei im Einzelfall entschieden werden, ob das Ziel der Anschaffung nicht doch mit einem Elektrofahrzeug oder einer anderen Lösung erreicht werden kann. Der Antrag der Verwaltung, dem Oberbürgermeister und allen Bürgermeister/-innen nun Hybrid-Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, stellt jedoch einen Blankoscheck dar und lässt spezifische Mobilitätsbedürfnisse der Dezernate unbeachtet. Dabei macht es durchaus einen Unterschied, ob ein Oberbürgermeister quasi im Auto lebt oder ein Dezernent einmal im Monat nach Berlin (ca. jeweils 190 km hin und zurück) fahren muss.“

Logische Folge aus Sicht der Linken: „Über die Ausnahmen für die Dezernent/-innen soll deswegen einzeln entschieden werden. Außerdem erscheint die in der Vorlage festgesetzte 10-Tage-Regelung willkürlich. Wer wirklich nur 10 Tage im Jahr mehr als 300 km zurücklegen muss, kann auch mit dem Zug fahren oder sich ein Auto mit anderen Dezernent/-innen teilen. Die Bahncard 100 gilt übrigens in allen Zügen des Fern- und Nahverkehrs sowie in vielen Verkehrsverbünden und Bussen. Inhaber der Bahncard 100 1-Klasse erhalten darüber hinaus sogar kostenlose Sitzplatzreservierungen, sodass einem entspannten Arbeiten bei einer leckeren Tasse Kaffee aus dem Bordbistro nichts mehr entgegensteht.“

Und völlig unerklärlich findet auch die Grünen-Fraktion den Wunsch der Verwaltung nach Hybridfahrzeugen, denen auch die Deutsche Umwelthilfe in der Fahrpraxis eine katastrophale Umweltbilanz attestiert.

„Deutschlandweit kann gesagt werden, dass rein elektrische Fahrzeuge überwiegend von Privatpersonen erworben und genutzt werden, während für Dienstfahrzeuge neben reinen Verbrennern hauptsächlich Plug-In-Hybride zur Anwendung kommen. In der Realität zeigt sich, dass ein Großteil der Fahrer/-innen von Plug-In-Hybriden das Dienstfahrzeug gar nicht oder nur selten lädt.

Laut einer Studie des Fraunhofer ISI werden Dienstwagen im Mittel nur an jedem zweiten Fahrtag geladen. Die geringe Ladehäufigkeit reduziert den elektrischen Fahranteil und erhöht damit den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen von Plug-In-Hybridfahrzeugen im Alltagsbetrieb“, stellt die Grünen-Fraktion zu ihrer Anfrage zur Verwaltungsvorlage fest.

„In Deutschland erbringen rein privat genutzte Plug-In-Hybridfahrzeuge im Durchschnitt etwa 43 % ihrer Fahrleistung im elektrischen Modus, bei Dienstwagen sind es lediglich 18 %. Der Realverbrauch liegt im Mittel damit drei bis viermal höher im Vergleich zum Normverbrauch dieser Fahrzeuge. Damit schaden diese Fahrzeuge dem Klima, der Gesundheit der Bürger/-innen und der Stadtkasse.“

Das sind Zahlen, die Leipzigs Verwaltung eigentlich kennen sollte.

„Zudem muss infrage gestellt werden, ob lediglich eine auswärtige Dienstreise mit >300 km pro Monat einen ausreichenden Grund darstellt, um Abstand von einem rein elektrisch betriebenem Fahrzeug zu nehmen“, stellen die Grünen fest. „Vielmehr sollte eine mögliche Anzahl solcher Termine wesentlich höher liegen, um die Notwendigkeit diesel- oder benzinbetriebener Dienstwagen zu rechtfertigen.“

Und auch die Bündnisgrünen finden, dass Leipzigs Wahlbeamte bei solchen Gelegenheiten – wie andere Leute auch – den Zug nehmen können: „Die Erwartungshaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen besteht durchaus darin, dass für solch vereinzelte Dienstreisen durchaus andere Verkehrsträger (Zug), alternative Lösungen der An- und Abreise oder auch der Reiseorganisation gefunden werden können.“

Aber irgendwie wollten die Grünen wohl den Wagentest des OBM nicht gleich verunmöglichen und meinen noch ziemlich unvermittelt: „Denkbar wäre auch, dass die Leipziger Wahlbeamt/-innen bei Bedarf generell reine Elektroautos als Dienstwagen gestellt bekommen, in Einzelfällen aber auch auf einen kleinen Pool an zur Verfügung stehenden und wie in der Beschlussvorlage VI-A-07961-DS-14 beantragte Plug-In-Hybride zurückgreifen können.“

Denn zu just diesem Plug-in-Fahrzeug des OBM haben die Grünen jetzt erst einmal ein paar Fragen.

Zum Beispiel: „Welchen Anteil an der bislang zurückgelegten Strecke weist der Elektroantrieb im Dienstfahrzeug des Oberbürgermeisters im Vergleich zum Verbrennungsmotor auf? Wie hoch ist die jährliche Fahrleistung des Dienstfahrzeuges des Oberbürgermeisters in km? Wie viel Liter Benzin wurden anhand der Tankrechnungen verbraucht? Wie hoch ist der tatsächliche Durchschnittsverbrauch in Litern/100km? Wo und wie oft wird das geladen? Wie hoch ist die rein elektrische Normreichweite des Fahrzeuges?“ usw.

Heißt im Klartext: Die Verwaltung sollte eigentlich erst einmal berichten, wie die Dienstfahrzeuge der Bürgermeister/-innen überhaupt genutzt werden und was sie leisten, bevor sie sich eine Ausnahmegenehmigung geben lässt und doch wieder Fahrzeuge least, deren Klimabilanz eine Katastrophe ist.

***

Update 27. November, 12 Uhr: Statement der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat

Kein Dienstwagenprivileg für Niemanden!

Dazu erklärt Michael Neuhaus, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Leipziger Stadtrat: „Was die Verwaltung hier beantragt hat, ist eine Blankovollmacht für die Anschaffung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren für alle Leipziger Bürgermeister/-innen. Der Klimanotstand ist in seiner Intention jedoch ganz klar: Es soll um Ausnahmen gehen.“

Insofern die Beigeordneten also nicht alle Termine gemeinsam als Reisegruppe absolvieren und die gleichen Wege haben, erwarten wir, dass uns die Ausnahmen auch einzeln und begründet vorgelegt werden. Dann sehen wir, wer überhaupt und warum ein Auto braucht und weshalb ein E-Fahrzeug nicht infrage kommt. Wir können nicht Wasser predigen und Wein ausschenken.

Unverständlich erscheint der Ausnahmeantrag, weil der Löwenanteil der Dienstwege ohnehin im Stadtgebiet zurückgelegt wird. Wenn es davon eine Ausnahme gibt, dann ist das vermutlich der Oberbürgermeister.

Noch abstruser jedoch ist der Verweis auf die mögliche private Nutzung der Fahrzeuge. Wenn die Reichweite eines E-Autos nicht ausreicht, um damit Urlaub an der Ostsee machen zu können, ist das zwar schade, aber kein Grund, warum es nicht als Dienstfahrzeug für einen Bürgermeister taugt.

Die Ausnahmeregelung für die Bürgermeister/-innen soll, wenn es nach der Verwaltung ginge, ab einer Strecke von mehr als 300 Kilometern an mehr als 10-Tage im Jahr gelten. Selbst wenn kein einziger dieser Tage in die Urlaubszeit der Beigeordneten fallen sollte, ist es kaum vermittelbar, warum die Bürgermeister/-innen für ein paar lappige Dienstreisen nicht die Bahn nehmen oder sich ein Fahrzeug teilen können.

„Als Linke lehnen wir die vorgeschlagene Blankovollmacht deshalb ab. In einem entsprechenden Änderungsantrag fordern wir, die gemeinsame Nutzung von Poolfahrzeugen zu prüfen, Ausnahmen einzeln und begründet zu beantragen und den Bürgermeister/-innen eine Bahncard 100 zur Verfügung zu stellen. Denn wie lautet der Werbeslogan der deutschen Bahn so schön: Die Bahn macht mobil.“

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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Es gibt 2 Kommentare

“Suche nach einer freien verfügbaren Ladestation”?
Na einfach, Parkplatz (Sondernutzung) mit Ladestation vor der Staatskanzlei Dresden und entsprechend in Chemnitz, Berlin etc,. im Zweifelsfalle einklagen.
Natürlich mit ganz großem Schild:
“Reserviert für Leipziger Stadtverwaltung”

“Ein Preis-/Leistungsvergleich erfüllt weder die gestellten Anforderungen an das Fahrzeug noch die Haushaltsgrundsätze von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Darüber hinaus steht bundesweit kein ausreichendes Netz mit Schnellladesystemen für eFahrzeuge zur Verfügung.“

Aber der Bürger soll umschwenken und das leisten???

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