Der neue Berliner Senat möchte die Fußgängerampeln mit einem Countdown ausstatten. Diese soll, wenn die Ampel auf Rot schaltet, herunterzählen und somit anzeigen, wie lange noch Zeit zum Überqueren der Straße ist, bis die Autos wieder anfahren.

Wenn also von den fünf Balken noch zwei übrig sind, könnte auch gleich die Durchsage gemacht werden „Lauf Oma, lauf!“. Aber im Ernst, was soll das?

Kindheitserinnerung

Anfang der 1960er Jahre wurde die Kreuzung „Chausseehaus“ in Leipzig mit Ampeln, unter anderem der Fußgängerampel in der Springerstraße, ausgestattet. Meine Oma (geboren 1888 in einem kleinen Gebirgsdorf), die großen Anteil an meiner Erziehung hatte, war, warum auch immer, der Meinung, dass man, wenn die Ampel für die Fußgänger auf Rot schaltete und man noch nicht die Straßenmitte erreicht hatte, umkehren müsse.

Bei der nächsten Grünphase wurde dann der Neustart versucht. Im Alter von 5–6 Jahren klang das für mich auch glaubhaft, aus aktuellem Anlass konstatiere ich: „Oma hatte einen eingebauten Countdown“.

Fußgängerampeln im Allgemeinen

Sinn und Zweck einer Fußgängerampel ist es ja, allen zu Fuß gehenden Verkehrsteilnehmern ein sicheres Überqueren der Straße zu gewährleisten. Klar gibt es, auch in Leipzig, Ausnahmen, wenn zum Beispiel die Rechtsabbieger aus der Querstraße – natürlich nur unter Beachtung des Vortritts der zu Fuß Gehenden – gleichzeitig mit der Grünphase für Fußgänger fahren dürfen.

Im Allgemeinen sollte aber die Ampelschaltung so gestaltet sein, dass auch ein Mensch z. B. mit Rollator, der bei Grün die Fahrbahn betritt, gefahrlos auf der anderen Seite ankommt, auch wenn kurz nach Betreten der Fahrbahn die Ampel auf Rot schaltet.

Wenn sich also Menschen, die bei Grün die Fahrbahn an der Fußgängerampel betreten und diese nach ihrem Vermögen zügig überqueren, bei der Freigabe für den Autoverkehr noch auf der Fahrbahn befinden, dann stimmt die Ampelschaltung nicht.

Was bringt der Countdown?

Die Berliner Verkehrsverwaltung meint, sie wolle damit die Verkehrssicherheit der Fußgängerinnen und Fußgänger verbessern.

Wie ist eigentlich die verkehrsrechtliche Seite einer solchen Anlage geregelt?

Nehmen wir einen Menschen mit Behinderung, der mit dem Rollator unterwegs ist. Meist sehen diese Menschen, nach dem Betreten der Fahrbahn, nach unten, um nicht irgendwo mit den Rädern hängen zu bleiben. Werden sie verpflichtet, die ganze Zeit auf die Balken zu schauen?

Was, wenn dieser Mensch sich noch auf der Fahrbahn befindet, trotz regelkonformen Verhaltens, wenn die Autos Grün bekommen? In diesem Fall gilt wohl, abgesehen von § 1 StVO, der § 11 Abs 1, der Absatz besagt: „Stockt der Verkehr, darf trotz Vorfahrt oder grünem Lichtzeichen nicht in die Kreuzung oder Einmündung eingefahren werden, wenn auf ihr gewartet werden müsste.“ Da auch der Fußverkehr stocken kann, können die Autos dann eben nicht fahren.

Fazit

Auch wenn diese Ampeln momentan nur für Berlin angedacht sind, ich hoffe, es kommt in Leipzig niemand auf die Idee, sollte man sich vorausschauend schon einmal mit dem Thema befassen.

Die Idee, solche Ampeln einzurichten, zeugt nicht von Fürsorge für Fußgängerinnen und Fußgänger, sie ist ein Ausdruck der üblichen autozentrierten Politik.

Zu Fuß gehende Menschen werden unter Druck gesetzt, besonders ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Sie sollen die Straße schnell wieder frei machen – für das „heilige Blechle“.

Hier kann man sich nur Niklas Schenker (Linke) anschließen, der fordert, dass: „(…) gemäß dem Mobilitätsgesetz Ampeln fußverkehrsfreundlich programmiert und zu kleine Mittelinseln vergrößert werden, um das Queren in einer Phase zu ermöglichen und letztlich Ressourcen auf die Ermöglichung getrennter Signalisierungen konzentriert.“

Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.

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Es gibt 6 Kommentare

@fra
Korrekt!

@ThomasKöhler
Die Frage ist doch:
Wird zurzeit die – nach gesetzlichen Normen – festgelegte Räumzeit eingehalten oder wird bereits (aus welchen Gründen auch immer) eine gekürzte Räumzeit eingesetzt, wodurch es zu gefährlichen und inakzeptablen Situationen kommt?
Oder aber:
Orientiert sich die gesetzliche Räumzeit nur an eilenden gesunden Fußläufigen / Gehetzten und die Ampelprogrammierer machen zurzeit “alles richtig”?

@Thomas Köhler:
“die Verlängerung der Räumzeit”
Bedeutet aber nicht das die Grünphase länger wird.

@Christian, die Verlängerung der Räumzeit ist Bestandteil eines Antrags der Linken – siehe neuer Artikel.

Es gibt einige Fußgängerampeln wo sogar ich es nicht schaffe innerhalb von Grün die Straße zu überqueren. Ein Rollator kommt da maximal über die Distanz von der Hälfte einer Fahrstreifen.

Mich würde mal die Insiderauskunft interessieren, ob sich bei der Räumzeit eines Fußgängerüberweges tatsächlich an einem Rollatortempo orientiert wird.
Nach meinen Erfahrungen – nein.

Insofern ist der optische Hinweis, ob noch ausreichend Zeit besteht, so realitätsfern und unnütz nicht.
Oder es wird generell gegen die gesetzeskonforme Ermittlung dieser Zeit verstoßen.
Oder aber – diese gesetzliche Vorgabe ist realitätsfern.

Gleichzeitig verstehe ich aber auch den Vorwurf der Gängelei oder Bevormundung zum Vorteil des Autoverkehrs.

Räumzeiten in Leipzig:
Mir ist es als Radfahrer schon passiert, dass ich in der letzten Grünsekunde die Prager Straße zügig zu queren begann (ich sah im Vorbeifahren noch knapp das Umschalten auf Gelb), und trotzdem hätte mich eine Bahn auf der Mitte der Straße umgefahren, wenn ich nicht wie der Teufel gebremst hätte und umgekehrt wäre, da die PKW nun auch begannen loszufahren!
Entweder fuhr der Tramfahrer noch bei Rot oder die Räumzeit wurde zugunsten der Kreuzungsdurchlässigkeit manipuliert!

Meine darauffolgende Anfrage beim VTA bescheinigte der Ampel eine einwandfreie Funktion…

Auch Radfahrer oder Mopedfahrer sowie Busse warten (im Idealfall) vor einer roten Ampel, bis die Fußgänger drüber sind. Insofern eigentlich nichts absonderliches, was nur für die Autos gemacht wurde.
Ich kann mich der Kritik insofern anschließen, dass es vielleicht besser wäre anzuzeigen, wie lange noch “Grün” ist, statt die Räumzeit der Kreuzung bei “Rot” anzuzeigen. Sowas hab ich auch schon hier und da gesehen, auch in den USA.
Und man muss auch nicht alles als Gängelei verstehen: So eine angezeigte “Grünzeit” ermöglicht mir ganz selbstständig, anhand meiner eigenen Fähigkeiten einzuschätzen, ob ich noch starten sollte oder lieber abwarte. Viel besser, als zu hoffen, dass die angezeigte Räumzeit noch genügt, um über die Straße zu kommen. Das ist in der Tat etwas hilflos, so wie es jetzt vorgeschlagen wird.

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