Zeiten ändern sich. Und zwingen auch Energieunternehmen zum Anpassen ihrer Strategie. Im Vierjahresrhythmus, ungefähr. Denn das sind derzeit die Runden der diversen Reparaturen am EEG-Gesetz. Das war mal im Ursprung ein Gesamtkonzept, mit dem der Komplettumbau der deutschen Energiewirtschaft eingeleitet werden sollte. Nicht bloß der Bau von Solarkollektoren und Windkraftanlagen. Bei jedem Kurswechsel fassen sich auch die Planer in den Kommunalen Stadtwerken an den Kopf.

Denn mit jedem neuen Zickzack, mit der der gerade regierende Wirtschaftsminister einer seiner Lieblingsklientels etwas Gutes tun will, werden Investitionen, die sich normalerweise erst in 15, 20 Jahren amortisieren, in Frage gestellt. Die Stadtwerke Leipzig haben es erlebt mit ihrer Gasturbinenanlage. Sie hätte längst ihre Funktion als Grundlasterzeuger wahrnehmen sollen. Tut sie aber nicht. Denn an diese Stelle ist – zumindest für die einschlägigen Politiker unbemerkt – die Braunkohle gerutscht. Das mit dem “unbemerkt” ist jetzt etwas zugespitzt. Denn natürlich hat man die Herren aus den vier großen deutschen Energiekonzernen in schöner Regelmäßigkeit und mit gut gefüllten Aktentaschen in die Regierungszentralen marschieren sehen – in Berlin genauso wie in den Bundesländern.

Ergebnis sind “Korrekturen”, die die Stadtwerke immer wieder zum Umsteuern zwingen. Die letzte EEG-Novelle ist übrigens nicht einmal verdaut. Sie trat 2012 in Kraft. Das ist nichts. Aber es ist die Grundlage, auf der auch die Stadtwerke Leipzig umsteuern mussten, denn damit wurde die “führende Rolle” der Braunkohle zementiert, nachdem die fleißige Kraftwerkelobby auf EU-Ebene verhindert hatte, dass die CO2-Zertifikate in Europa verknappt werden.Die Strategie, die andere Stadtwerke noch viel massiver gefahren haben, ihre Kraftwerke mit modernen Gasturbinen aufzurüsten, war auf einmal nicht mehr wirtschaftlich. Die Netze waren selbst bei Windstille und Sonnenschein verstopft – mit der Grundlast aus den Kohlekraftwerken. Die Strompreise an der Börse purzelten. Was sich übrigens längst – marktwirtschaftlichen Prinzipien entsprechend – schon auf den Strompreis auswirkt: Die steigende EEG-Umlage hat 2014 den Strompreis nicht erhöht, denn der Preis für Strom an der Börse puffert das ab.

Das löst aber die Sorgen der Stadtwerke nicht, die neben der Stromversorgung in der Regel auch für Fernwärme zuständig sind. Die Stadtwerke Leipzig haben auch das mitbedenken müssen, als sie 2012 ihre Investitionsstrategie änderten. Zum einen investierten sie in ihre Gasturbinen und machten sie leichter regelbar. Binnen Minuten können die Turbinen nun auf die Wechsel im Stromnetz reagieren. Zum anderen haben die Stadtwerke seitdem verstärkt auf den Ausbau des Fernwärmenetzes gesetzt. Neue Stadtteile – wie Lindenau und Leutzsch – wurden angeschlossen. Der Liefervertrag mit Vattenfall aus dem Kraftwerk Lippendorf wurde verlängert und ausgebaut. Und wer wieder mehr Haushalte mit Fernwärme versorgt, braucht auch Puffer für Engpässe.So etwas hatten die Stadtwerke Leipzig schon mal – auch auf dem Gelände an der Arno-Nitzsche-Straße. 35 Jahre lang funktionierten die Thermospeicher reibungsfrei, bis ihnen der TÜV 1995 die Arbeitserlaubnis entzog. Für die Stadtwerke war das damals kein Problem, denn ein Großteil des Leipziger Wohnungsbestandes war mittlerweile isoliert – es ging deutlich weniger Wärme verloren, es musste also auch weniger Reserve vorgehalten werden. Die Gas-und-Dampf-Turbine in der Eutritzscher Straße fing den “Rest” auf.

Doch mit dem Ausbau der Fernwärmeversorgung seit 2012 steigt auch die Bedeutung einer sicheren Versorgung mit Fernwärme. Auch im Fall von technischen Defekten, wie sie die Fernwärmekunden vor zwei Jahren erlebten, als bei Bauarbeiten im Hauptbahnhof-Vorfeld eine Fernwärmeleitung durchtrennt wurde. Aber auch in den Blöcken des Kraftwerks Lippendorf kann es zu Vorfällen kommen. Und offen ist auch auch die Frage: Was passiert, wenn Windstrom die Netze füllt und auch Lippendorf die Leistung drastisch herunterfahren muss – etwa an einem kalten, aber windreichen Tag?

Dafür haben die Stadtwerke neun thermische Speicher bei Gronemeyer & Banck in Bochum bestellt, jeder 29 Meter lang und 92 Tonnen schwer. Seit dem 22. Mai trudeln sie einzeln in der Nacht in Leipzig ein. Sechs Stück haben mittlerweile die weite Reise aus dem Ruhrpott geschafft. Die ersten beiden wurden am Mittwoch, 2. Juli, aufgestellt, am Donnerstag durfte dann auch die Presse vor Ort sein, als die nächsten beiden Stahlgiganten in die Senkrechte gehoben und auf ihren Sockeln justiert wurden. Zwei große Transportkräne bewerkstelligten das, hoben die Behälter an 60 Millimeter dicken Stahlseilen an und die Spezialisten befestigten sie dann mit 75er Schraubenschlüsseln auf ihrem Platz. 16 Anker hat jeder Koloss. Wenn in den nächsten Tagen auch noch die restlichen drei Behälter da sind, muss das Ganze noch ans Fernwärmenetz angeschlossen werden. Die kleineren Behälter daneben sind zur Druckregelung im Heißwassernetz zuständig.”Der Speicher ergänzt in den vier Kältemonaten unser Besicherungskonzept”, betont Stadtwerke-Geschäftsführer Raimund Otto. Heißt im Klartext: Die Kolosse werden nur dann mit Heißwasser aus Lippendorf befüllt, wenn Engpässe in der Leipziger Wärmeversorgung möglich erscheinen. Dann können 3.000 Kubikmeter mit 130 Grad Celsius in diesen Speichern untergebracht werden und ins Netz abgegeben werden, wenn sie gebraucht werden. Leipzig, so betont Otto, sei eines der ersten Stadtwerke, die diese Zukunftstechnologie einsetzen würde. Kostenpunkt: 3,5 Millionen Euro. Nicht nur die ganzen Verbindungsleitungen müssen gelegt werden, wenn alle neun Behälter stehen. Auch die Regel- und Messtechnik muss vernetzt werden. Jeder Behälter hat neun Sensoren, die zum Beispiel Druck- und Temperaturwerte direkt in die Schaltwarte in der Eutritzscher Straße übertragen.

Für eine Dauerspeicherung von Fernwärme sind die Behälter nicht gedacht. Auch wenn sie die Wärme halten, wie es nicht mal eine gut gedämmte Wohnung kann: 1,5 Grad Temperaturverlust pro Tag maximal sind die geplante Norm. Natürlich brauchen sie dafür auch eine dicke Isolierung. Auch die wird in den nächsten Wochen montiert und dann in den Farben der Stadtwerke Leipzig eingefärbt: der Sockel wird hellblau, der Kopf weiß. In Betrieb gehen soll die Anlage voraussichtlich im Oktober. Mit einigen nicht planbaren Voraussetzungen. Denn vorher braucht es ja auch noch einen Praxistest, der aber erst bei Außentemperaturen ab 4 Grad minus Sinn macht. Es kann also auch sein, dass sich die Inbetriebnahme in den November verschiebt.

Natürlich hat Otto recht, wenn er betont, dass diese Anlage beiträgt, CO2 zu mindern. Denn Wärme, die man derart zwischenspeichern kann, erspart natürlich zusätzliche Energie in der Bereitstellung. Und man muss auch nicht die Gasturbine in der Eutritzscher Straße hochfahren, wenn die Strompreise an der Börse gerade im Keller sind. Denn die niedrigen Strompreise sind ja gut für die Stabilisierung der Strompreise für die Stadtwerkekunden. Statt also teures Gas zu verbrennen, um Fernwärme zu erzeugen, werden dann die neun Speicher genutzt und die Fernwärmekunden merken gar nicht, dass regelnd eingegriffen wurde.

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Und das Speicherthema wird beim Umbau der Energiewirtschaft sowieso das eigentliche Megathema. Zu Recht haben auch andere Akteure auf dem Energiemarkt in den letzten Jahren verstärkt kritisiert, dass das Thema Energiespeicher immer wieder nur vertagt wurde. Immer wieder haben sich die Tagesinteressen einiger weniger Konzerne in den Mittelpunkt geschoben. Dabei ging die Planungssicherheit für notwendige Strukturprojekte verloren.

Dass da etwas gründlich schief gelaufen ist in der deutschen Energiepolitik, das hat nun auch die “Süddeutsche” bemerkt – im Auftrag ihrer Leser. Die haben eins der 360-Grad-Projekte der “Süddeutschen” genutzt, die dortigen Reporter zu beauftragen herauszufinden, warum ausgerechnet die klimaschädliche Braunkohle so einen Aufwind erlebt:

www.sueddeutsche.de/thema/360%C2%B0_Braunkohle

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