Am Dienstag, 21. September, gab es dann auch noch das große IHK-Wahlforum mit den Bundestagskandidat/-innen im Da Capo Leipzig –Eventhalle & Oldtimermuseum in der Karl-Heine-Straße in Plagwitz. Diesmal nicht nur mit den Direktkandidat/-innen aus den beiden Leipziger Wahlkreisen, sondern auch etlichen aus dem Landkreis Leipzig. Zwei Stunden mit Fragemöglichkeiten aus dem Publikum und am Ende fast einem kleinen Feuergefecht.

Da fiel dann auch schon mal das Wort „bullshit bingo“. Auch wenn es so wohl vom fragenden Unternehmer aus dem Landkreis nicht gemeint war. Immerhin ging es da nach zwei Stunden endlich mal um die Steuerkonzepte der einzelnen Parteien. Ein nicht ganz unwichtiges Thema auch aus Sicht der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig, die ja auch vor dieser Bundestagswahl wieder gemeinsam mit den anderen sächsischen IHKs ihre Kernforderungen veröffentlicht hat.

Zu finden sind sie hier.Und natürlich hätte man das Steuerthema ja ganz zuerst erwartet, denn in den Kernforderungen spielt es die absolute erste Geige: „Steuer- und Abgabenlast reduzieren – solide Finanzpolitik forcieren“, liest man da.

Zu Recht. Natürlich. Denn einige Lobbyvereinigungen haben im Wahlkampf ganz explizit Stimmung gegen Steuererhöhungen gemacht und damit suggeriert, dass damit gerade der so wichtige Mittelstand belastet wird. Aber längst liegt die Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vor, die die Steuerkonzepte der größeren Parteien durchgerechnet hat. Darüber berichtete z. B. die ARD.

Die Studie der ZEW zu den Steuerkonzepten der Parteien als PDF.

Darauf wies an diesem Abend auch Wiebke Binder, bekannt als Sprecherin bei MDR aktuell, hin. Eine Studie, die nicht nur zeigt, wer tatsächlich belastet wird und wer sogar am Ende mehr hat  auf dem Lohnzettel. Die aber auch berechnet hat, was die Steuerkonzepte der einzelnen Parteien eigentlich kosten.

Denn darauf wies auch IHK-Präsident Kristian Kirpal in seinem einleitenden Vortrag hin: Aufgrund der Corona-Pandemie stecken etliche Unternehmen in der Region nach wie vor in einer Krise. Gleichzeitig haben Bund, Land und Kommunen riesige Schuldenberge aufgebaut, um auch die Wirtschaft leidlich durch die Krise zu führen. Schulden, die einerseits wieder abgebaut werden müssen. Andererseits hat die Bundesrepublik einen riesigen Investitions- und Reformstau vor sich. Es müssen riesige Summen auch in den Umbau des Landes hin zur Klimaneutralität investiert werden. Aber woher soll das Geld kommen?

„Der Markt“ regelt nicht alles

AfD, CDU und FDP glauben zwar, dass man das ohne Steuererhöhungen hinbekommt und „der Markt“ es am Ende regelt. Aber so richtig glauben daran auch viele Unternehmer nicht mehr. Denn von allein passiert das nicht. Es ist eigentlich das Dilemma der zurückliegenden 16 Jahre, dass vier Regierungen hintereinander meinten, man bekäme die Klima- und Energiewende schon irgendwie hin mit ein bisschen Selbstverpflichtung und schönen Nachhaltigkeitserklärungen. Das hat lediglich dazu geführt, dass die alten, fossilen Unternehmen weiterhin den Markt dominieren …

So gehen Sätze nun mal aus, in denen noch die ganze Sprachlosigkeit nach zwei Stunden Diskussion steckt, eine Diskussion, die immer wieder zerfasert ist, in Pro und Kontra endete, aber ohne wirklich rote Linie blieb. Das Format hat nun einmal seine Grenzen. Und je mehr Kandidat/-innen man einlädt, umso weniger kommen zu Wort und umso mehr Argumente fallen einfach herunter, ohne dass klar wird, wohin das alles nun gehen soll.

Was ja auch Unternehmer nur zu gern erfahren würden, denn sie wünschen sich eigentlich klare (Ausbau-)Ziele und klare Regeln (und natürlich weniger Bürokratie). Wenn die Richtung klar ist und alle wissen, wie teuer klimaschädliche Produktion wird und welche Zukunftstechnologien der Staat fördert, wissen auch alle, wo Investitionen wirklich Sinn ergeben.

Raus aus der Kohle schon vor 2030

Und dass Deutschland und Sachsen klimafreundlich umgebaut werden müssen, das stritt an diesem Abend wirklich nur noch die Rechtsaußenpartei ab, die lieber den menschgemachten Klimawandel leugnet oder auch gern mal so tut, als könnte das ach so kleine Deutschland gar nichts machen.

Was natürlich Unfug ist. Mit einem angemessenen CO2-Preis, der ja schon längst über die Börse gebildet wird, werden klimaschädliche Unternehmen ziemlich bald vom Markt verschwinden. Selbst Jens Lehmann (CDU) sieht es mittlerweile so, dass Deutschland nicht erst 2038 aus der Braunkohle aussteigt, sondern rein aus Rentabilitätsgründen schon vor 2030.

Es ist durchaus ein Novum, dass bei einem IHK-Forum eine Stunde lang so intensiv über das Klima und den Klimaschutz diskutiert wurde. In den Kernforderungen kam das Thema gar nicht vor, obwohl alle Unternehmen wissen, dass sie sich umstellen müssen, dass Deutschland verbindliche Klimaziele definiert hat, die bis 2030 zwingend erreicht werden müssen.

Ob sich das – wie Kirpal das als gesetzt sieht – mit einem weiteren Ausbau des Frachtflughafens und einer „Autostadt Leipzig“ verträgt, ist wohl eher fraglich. Auch die komplette Logistik und die Mobilität müssen sich ändern. Und zwar sehr bald.

Oder um Paula Piechotta (Grüne) zu zitieren: „In den nächsten vier Jahren“. Die wichtigsten 16 Jahre wurden eben leider vertrödelt. Das rechnerisch noch verfügbare CO2-Budget, das Deutschland noch in die Luft blasen „darf“, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, ist zusammengeschmolzen und wird – wenn es nicht zu einem wirklich radikalen Umbau kommt – in den nächsten fünf Jahren aufgebraucht.

Und der Ausbau von Wind- und Solarkraft wurde sogar ausgebremst von Wirtschaftsministern, die lieber weiter fossile Branchen subventionieren, als den Unternehmen wirklich ein klares Ziel Zero-CO2 zu setzen. Wenn in diesem Land das Lied von den Erfindern und Ingenieuren gesungen wird, dann gehört es genau hierher.

Und es ist ja nicht so, dass es die Technologien für ein klimaneutrales Deutschland noch nicht gibt. Die Lebenslüge der Leute, die sich so gern als „die Wirtschaft“ verkaufen, ist doch, dass sie von ihren fossilen Geschäftsmodellen nicht ablassen wollen und die neuen Unternehmen und Technologien mit ihrem Einfluss auf die Politik mit aller Macht be- und verhindern.

Die Klimawende braucht jede Menge (neue) Arbeitskräfte

Und auch die Aussage von den verschwindenden Arbeitsplätzen ist ein Märchen, auch wenn es, möglicherweise mit allen Zulieferern und Abnehmern, die an diesem Abend genannten 6.000 Arbeitsplätze sind, welche am Kohlebergbau im Landkreis Leipzig hängen. Aber diese Fachkräfte werden längst in anderen – auch Umweltbranchen – gebraucht. Als würde es für eine verschwindende alte Branche keine neuen Branchen geben, die sie ersetzen und genauso Fachkräfte benötigen.

Der rote Faden fehlte

Und manchmal durfte man in der zuweilen entgleitenden Diskussion an diesem Abend durchaus Kopfschmerzen bekommen. Auch weil sie zeigte, wie unkoordiniert auch die meisten politischen Debatten in Deutschland laufen. Da bemühen sich die einen, jeden einzelnen Punkt in ihrem Wahlprogramm durchzurechnen und sehr genaue Vorschläge zu machen, mit welchen Instrumenten man arbeiten möchte. Und die anderen stopfen die Programme mit schönen Phrasen voll und tragen die dann in so einer Debatte mit stolzgeschwellter Brust vor, als würde man einfach nur mit wohlfeilen Worten die Welt retten können.

Spätestens an so einer Stelle hätte man sich eine wirklich ernsthafte Moderation gewünscht, die die Debatte auf eine faktische Basis zurückgeführt hätte. Was natürlich schwierig ist mit so vielen Kandidat/-innen, die alle mal zu Wort kommen wollten. Aber es hätte auch dem Publikum gutgetan, immer wieder ein klares Bild davon zu bekommen, worum es eigentlich geht.

Wird die Energiewende tatsächlich teurer für die kleinen Unternehmer und Arbeitnehmer? Wie soll das Energiegeld funktionieren, wie der soziale Ausgleich, wenn jetzt wirklich massiv in neue Energie investiert werden soll (und es muss massiv investiert werden). Und wie kann auch „der kleine Mann“ dabei profitieren oder partizipieren?

Das alles konnte natürlich nur angerissen werden. Aber deutlich wurde auch an diesem Abend: Aus den multiplen Reformstaus kommt Deutschland nur heraus, wenn am 26. September wirklich eine richtige Klimaregierung gewählt wird und Deutschland wieder Vorreiter wird beim klimafreundlichen Umbau Europas. Und das geht mit der einen oder anderen Partei nun einmal nicht. Das wurde mehr als deutlich.

Eine Wette nur auf Wachstum wäre geradezu fahrlässig

Das wird Geld kosten. Das wird unbequem. Das braucht klare Zielvorgaben und zielgenaue Förderprogramme. Und das wird ohne eine gerechtere Steuerpolitik nicht gehen. Wer den Wähler/-innen etwas anderes einredet, wird die Misere nur verschärfen. Denn dann muss der Umbau genau so finanziert werden, wie es einige der Parteien partout nicht wollen: über noch mehr Schulden.

Denn dass es auch in den nächsten Jahren noch ein größeres Wirtschaftswachstum gibt, wie es die Bundesrepublik zehn Jahre lang hatte, steht völlig in den Sternen. Das hängt nämlich nicht nur von Deutschland ab, sondern auch und gerade von den großen Außenhandelspartnern, die – wie alle sehen können – allesamt seit einigen Jahren eine irre Politik des „America first“, „China first“ oder „England first!“ fahren. Keine guten Aussichten für einen von anderen befeuerten Weltmarkt. Und damit auch keine solide Grundlage für eine deutsche Wirtschafts- und Energiepolitik.

Solidität zeigt sich eben auch darin, dass Steuerkonzepte ordentlich durchgerechnet sind und nicht immer so getan wird, als könnte man die fälligen Wunder eben mal so aus einer Hoffnung auf weiter fröhlich wachsende BIPs generieren. Gerade Corona hat gezeigt, wie schnell die nächste Krise kommen kann. Meist aus einer völlig unerwarteten Ecke.

Es wäre ganz bestimmt keine schlechte Idee gewesen, sich an diesem Abend auf ein großes Thema zu beschränken – Klimawende oder Steuerpolitik. Aber eine Stunde ging schon in einem letztlich ergebnislosen Getänzel um das Thema Digitalisierung und Breitbandausbau vorbei, bei dem ja das Corona-Jahr auch gezeigt hat, dass es um deutlich mehr als nur weiße und graue Löcher im Breitbandnetz geht. Das Fazit ist eigentlich: Weniger wäre mehr gewesen. Und hätte auch die Anwesenden im Da Capo am Ende nicht so im Ungefähren zurückgelassen.

Das Wahlforum der IHK Leipzig am 21. September 2021

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