Von dieser jungen Dame hat man lange nichts gehört. Dabei feierte sie 1998 zusammen mit Prinzen-Sänger Tobias Künzel einen der schönsten Erfolge auf Leipziger Bühnen: Sie schrieb das Erfolgs-Musical "Elixier", in dem quasi das bunte Bitterfeld zum Schauplatz einer modernen Love-Story irgendwo zwischen "East Side Story" und "Sieben Sommersprossen" wurde. Ganz weg war sie nie. Aber mit diesem Buch ist sie wieder da: frisch, lebendig, himmelblau. Kati Naumann.

Auch wenn sich der erste Eindruck am Ende bestätigt: das Himmelblau täuscht. Wie so oft. Auch wenn all jene Leserinnen, die mittlerweile auf die quietschigen Farben des heutigen Super-Frauen- und Liebe-Tohuwabohu-Romans geeicht sind, hier auch wiederfinden werden, was sie suchen – den Spaß an einer völlig überdrehten Story, am Slapstick und der romantischen Übertreibung.

Geschichten nehmen zuweilen seltsame Wege. Und Autorinnen haben die Wahl. Autoren auch. Klar. Aber die haben selten so viel Humor. Erste Warnung: Eine Packung Taschentücher braucht es. Einige Szenen in diesem Buch sind so realistisch, dass es die Leser zu Tränen treibt vor Freude. Das liegt daran: Die Geschichte ist ernst gemeint. Und von einer irdischen Ehrlichkeit, wie man sie auch in den Nominiertenlisten für die diversen Buchpreise im Land selten bis nie findet. Man findet sie viel eher bei Autorinnen wie Allende, Erdrich usw. Da drüben in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man sich auch noch Bücher zu schreiben traut, die nicht nach Selbstdarstellung riechen.

Dies hier ist eins. Im Kern sogar eine Geschichte, die zu einem richtig mitreißenden Roman hätte werden können. Über ein Thema, das allen irgendwann begegnet, wenn sie die Seifenblasen der Jugend hinter sich haben, einen Hausstand gegründet haben und dann das sind, was in deutschen Literaturen immer so lausig schlecht wegkommt: Eltern. Eltern, die nicht nur bangen und zagen und für ihren Nachwuchs das Allerbeste wollen, diese karrierebesessenen Eltern, die ein gewisser Holger Witzel so unerträglich findet.Sondern richtige Eltern, irdische Frauen und Männer aus Fleisch und Blut, mit ihren eigenen Selbstzweifeln, Erwartungen, Vorfreuden und Besessenheiten. Denn richtige Eltern sind irgendwann besessen von diesen kleinen Biestern, die da heranwachsen und nicht nur Teil ihres Lebens sind, sondern Teil ihrer selbst. Bis zur Verschmelzung. Wie weh das tun kann, das wissen alle, die erleben, wenn die Kinder sich abnabeln. Die Mädchen früher und heftiger, die Jungen später und unbeholfener.

Was natürlich heißt: Es wird richtig schlimm, wenn gleich alle drei Töchter gehen. Greta, Marlene und Lotta heißen sie. Die Heldin heißt Nina und ist ganz gewiss ein alter ego der Autorin, deren Töchter natürlich ganz anders heißen. Aber wer so schreibt, hat das alles erlebt. Bis zu dem entsetzlichen Tag, an dem die erste sich abnabelte, den ersten Freund anschleppte und die allwaltende Herrin des Haushalts ihr Herz öffnete und den ersten Kandidaten auf das Herz ihrer Tochter selbst ins Herz schloss. Tun alle Mütter. Tun auch alle Väter. Bis auf jene, die immer noch glauben, Status sei eine Handelsware.

Man merkt: Diese Nina kommt aus dem irdischeren Teil Deutschlands. In Merseburg aufgewachsen mit einer Mutter, die ihre eigene Sehnsucht nach Liebe in Forderungen an ihre Töchter ummünzt. Auch ein bisschen lügt und manipuliert. Es stecken eine Menge Geschichten in diesem Buch. Auch die von Ninas Mutter wäre eine, die einen richtig deftigen Roman abgäbe. Denn auch das ist keine dieser üblichen Mama-spielt-verrückt-Geschichten. Es ist eine so oft erlebte. Denn warum soll es den Eltern der Eltern anders ergangen sein? Wie geht man um mit seiner Sehnsucht nach Akzeptiertwerden, wenn alle Beziehungen gescheitert sind? – Manche kletten sich dann an ihre Kinder. Natürlich geht das schief.

Aber die Grundfrage ist die gleiche: Wie finden wir in dieser Welt das Gefühl, angenommen zu sein, so, wie wir sind? – Anfangs ist das einfach. Da überschüttet man seine Kinder mit Liebe und merkt gar nicht, wie dicht sich das verwebt. Da ist alles gut. Man leidet, lebt und liebt mit ihnen, liebt all ihre Besonderheiten, öffnet das Herz. Und für Nina heißt das: Sie nimmt auch die Freunde ihrer Töchter in ihr Herz und ihr Haus mit auf. Alles ist gut. Und es gelingt Kati Naumann, das alles mit einem so trockenen, so flapsig liebevollen Ton zu erzählen, wie man ihn eigentlich nur bei Tucholsky findet. Nur dass die Rollen vertauscht sind. Man darf mit ihr in die Haut von Nina schlüpfen, darf sich in trügerischer Fülle wiegen und ganz naiv verwundert sein, als die erste Tochter verkündet, dass sie ihre Beziehung beendet hat. Es ist wie ein Mikado – dem ersten Abschied folgt der zweite und der dritte.

Natürlich tut das weh. Man macht sich ja auch Illusionen, vertraut auf das Beziehungsgeflecht, das da entstanden ist, malt sich schon die Zukunft aus. Und dann rutscht ein Kartenhaus zusammen.

Das ist der Punkt, an dem sich Kati Naumann für die andere Variante der Geschichte entschieden hat. Sie hat noch eins drauf gesetzt und lässt das Drama kulminieren. Nicht nur die Liebhaber ihrer Töchter verschwinden – auch ihre Töchter ziehen aus. Alle drei. So abrupt, wie das vielen Müttern und Vätern passiert. Töchter können unbarmherzig sein. Und eine Antwort gibt es nicht auf die Frage: Warum?

Nina will das so nicht auf sich beruhen lassen, und wenn schon ihre Töchter sie allein lassen mit ihrem Peter, dann will sie wenigstens die Ex-Liebhaber der Töchter nicht einfach verschütt gehen lassen. Denn die sind alle drei irgendwie Findelkinder. Männer haben ja ein Talent dafür, bei Frauen das Mütterliche anzusprechen: Schau, wie hilflos ich bin.Mit einem geht das meistens noch. Aber Nina hat mit solchen Männern gar keine Erfahrung. Ihr Peter ist einer von der anderen Sorte. Und wer wissen will, wie genau Kati Naumann ihre Personage beschreiben kann, hier so ein Satz zu Peter: “Der Einzige, der sich so verhält wie immer, ist Peter, aber das habe ich auch nicht anders erwartet. Wenn irgendwann die Welt untergeht, wird Peter aus dem Fenster sehen und sagen: ‘Aha.'”

Sie braucht eine Weile, bis sie ahnt, warum ihre Töchter alle drei so rigide ihre Beziehungen aufgekündigt haben. Was ihr nicht hilft. Denn Nina ist eine Frau, wie Männer sie sich wünschen: verständnisvoll, sorgend, hilfsbereit, tröstend. Frauen, die sagen “Ich bin immer für dich da.” oder “Mein Haus steht dir immer offen.” Und das auch so meinen.

Das ist eine Einladung für Männer, die sich mit Händen und Füßen sträuben, erwachsen werden zu sollen.

Man ahnt: Das muss kulminieren. Das kulminiert auch. Nimmt zeitweise die Dramatik eines gut gemachten Fernsehfilms an. Da geht die Post ab. Natürlich. Aber man merkt auch: Man ist in einen anderen Strang der Geschichte geraten. Eigentlich eine dritte Geschichte, die nämlich von den Dreien, die einzogen, um wieder bemuttert zu werden, den drei Ersatz-Söhnen Konrad, Till und Noah. Auch das eine Geschichte, die einem vertraut vorkommt. Wie viele Frauen lassen sich so von Männern ausnutzen? Sind sie doch die Starke und Sorgende für diese Spezies, die sich scheut, draußen die Unbilden des Lebens auf sich zu nehmen?

Das spricht auch den Kampfgeist von Frauen an. Sie wollen sich dann gern beweisen, dass sie das deichseln können, dass sie stark und souverän sind und die Sache unter Kontrolle haben. Es gibt sie. Und sie leiden lieber als zuzugeben, das sie an diesen Märchenprinzen verzweifeln. Es gibt so ein paar Stellen, an denen Kati Naumann andeutet, dass es egal ist, ob diese Herren Königssöhne nun selber Söhne sind oder Lebenspartner. Sie nutzen die Gefühle aus, die ihnen entgegen gebracht werden. Und finden das normal.

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Die Liebhaber meiner Töchter
Kati Naumann, Verlag Droemer Knaur 2013, 9,99 Euro

Man bekommt also mindestens drei Geschichten in einer. Und eigentlich ist es auch eine Anti-Superweib-Geschichte. Und eine Geschichte vom Abnabeln sowieso. Eine sehr intensive. Wer’s erlebt hat, weiß, was da passiert. “Ich empfinde meine Töchter als eine Außenstelle meines Körpers.” Das steht noch ganz vorn im Buch, am Beginn von Ninas Geschichte. Bevor der erste Mikado-Stab gezogen wird …

Die Buchpremiere findet am Mittwoch, 6. März, um 20.15 Uhr in der Buchhandlung Lehmanns (Grimmaische Straße 10) statt. Die Moderation übernimmt Katrin Huß.

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