Es gibt einige berühmte Liebespaare in der deutschen Geschichte. Luther und seine Käthe gehören dazu. Auch wenn es anfangs gar nicht danach aussah, dass dieser wortgewaltige Mönch und Theologieprofessor aus Wittenberg die kleine, selbstbewusste Nonne zur Frau nehmen würde. Da musste frau schon selbst aktiv werden und der Geschichte einen gehörigen Schubs geben.

Oder besser: Diesem zaudernden, zögernden Herrn Doktor. Ursprünglich war (und ist) das mal ein Einpersonenstück, ein herrliches Kammerdrama mit einer begnadeten Schauspielerin. Um sich seine Katharina von Bora vorzustellen, braucht Fabian Vogt gar keine große Phantasie. Da muss er nur Miriam Küllmer-Vogt in der Rolle der Katharina sehen: selbstbewusst, leidenschaftlich, irdisch. Mit dem Stück ist sie nun schon länger unterwegs. Und viele Zuschauer scheinen nach dem Applaus vergeblich nachgefragt zu haben, wo man denn nun das Buch zum Stück bekäme, die Ursprungsgeschichte. Die muss es ja irgendwo geben.

Die gab es erstaunlicherweise noch nicht. Obwohl das Stück sehr konsistent diese Liebesgeschichte erzählt, die eigentlich keine ist. Jedenfalls keine nach dem Verständnis all der dickleibigen Schmonzetten, die im Buchladen als solche verkauft und im deutschen Fernsehen in Serie gezeigt werden. Wenn die Deutschen völlig ratlos werden, was diesen Klumpatsch von Sex, Partnerschaft, Treue, Liebe und Für-immer-und-ewig betrifft, dann liegt das an diesem bunten, verlogenen Schaum.

Wer sich ein bisschen mit der Martin-und-Katharina-Geschichte auskennt, der weiß, dass Liebe tatsächlich etwas anderes ist. Meistens kommt sie nämlich immer erst danach. Nach diesem ganzen Flattertanz der Hormone und diesem „Ach-Tarzan-ach-Jane“-Schmus.

Und das Schöne an diesem Kleinroman, den Fabian Vogt aus dem Kleindrama gemacht hat, ist, dass er seine Katharina genau darüber nachsinnen lässt. In der Rückschau. Denn der unsinnige Tod ihres Martin in Eisleben, wo er trotz widriger Wetterbedingungen noch einmal versucht hat, die Probleme anderer Leute (in diesem Fall der Grafen von Mansfeld) zu lösen, ließ sie allein zurück. Frierend, konfrontiert mit einem Leben, das auf einmal wieder ohne diesen Mann stattfinden sollte, der mit seiner Ironie und Ernsthaftigkeit zum Zentrum ihres Lebens geworden war. Dass er seine „Herrn Käthe“ liebte, hat er so nie direkt gesagt. Da war er wohl wie die meisten Männer, die sich nicht trauen, ihre wirklichen Gefühle in Worte zu fassen. Und Vogt kommt diesem Martin Luther wohl sehr nahe, wenn er ihn mit den fordernden Blicken der jungen Frau betrachtet, die nach der Flucht aus dem Kloster vor allem eines ernst nimmt: Luthers Forderung nach der Freiheit des Christenmenschen.

Und mit seiner Geschichte macht Vogt etwas, was die meisten Lutherbiografen lieber weglassen: Er stellt die Frage in den Mittelpunkt, wer Luther eigentlich letztendlich aus seinen inneren Klostermauern und dem Gefängnis seines Mönchseins befreit hat.

Denn die geistige Befreiung, die er für alle Welt und vor aller Welt vollzogen hatte, die war für ihn als Mensch der leichtere Teil der Übung. Sogar sein Buch über das Recht der Mönche und Nonnen, das Kloster aus freien Stücken zu verlassen, schrieb er für andere – selbst immer noch im Mönchshabit herumlaufend und im Schwarzen Kloster so lebend wie ein Mönch. Dass erst Katharina kommen musste, damit seine alte Strohmatratze weggeschmissen wurde und das kalte Kloster zu einem richtigen Zuhause werden konnte, das ist bekannt. Dass Luther zwar mit der schönen Ex-Nonne Ava von Schönfeld liebäugelte, sich aber trotzdem nicht traute, auch das ist bekannt.

Logisch, dass es herrliche Szenen in Stück und Buch gibt, in denen Katharina diesen zaudernden, hochklugen Doktor damit konfrontiert, dass er zwar die ganze Welt erretten will – nur für sich selbst nicht den Mut hat. Es wird wohl in der Wirklichkeit tatsächlich so ungefähr abgelaufen sein, wie es Fabian Vogt seine Hauptdarstellerin berichten lässt. Die ihren Luther nicht deshalb bekam, weil sie zufällig übrig blieb bei all seinen Heiratsvermittlungen. Sondern weil sie ihn an einem Punkt ernst nahm, den dieser 40 Jahre alte Doktor der Theologie immer wieder ignorierte: Dass der Mensch sich auch im realen Leben nicht einfach den Gegebenheiten fügen darf. Einer Heirat zum Beispiel mit einem ungewollten Mann, vor der es der klugen und lebenslustigen Ex-Nonne zu Recht graust.

So ganz beiläufig denkt man da an die völlig verdrehte Fabel aus „König Drosselbart“. Warum wird diese wählerische Prinzessin im Märchen eigentlich so schlecht gemacht? Selbst die damaligen Zeitgenossen wussten doch, dass keine einzige Prinzessin ihren künftigen Gemahl wählen durfte – er wurde ihr nach fürstlichen Verhandlungen sozusagen zugeteilt. Und das war nicht nur bei Fürsten so, das war auch in bürgerlichen Haushalten so. Als der erzürnte Nürnberger Kaufmann Baumgartner es sich per Brief verbat, dass diese ehemalige Nonne seinen tollen Sohn zum Mann bekommt, da argumentierte der Mann mit Geld, Stand und Ruf.

Das machen heute noch einige Leute. Das war immer die andere Seite des Heiratens, wo es um wirtschaftliche Sicherheit, Vermögen und Absicherung ging – und die Liebe auf der Strecke blieb. Oder eben nicht. Weil Verliebtsein eben noch keine Liebe ist. Und Fabian Vogt scheint das zu wissen. Was auch 500  Jahre nach Luther und Lutherin eben nicht selbstverständlich ist. Man stolpert aber zwingend darüber, wenn man diese Partnerschaft rekonstruiert und merkt, wie viel Anteil Katharina daran hat, nicht nur für Luther einen richtigen Hausstand auf die Beine zu stellen und ihm bis zuletzt „zu dienen wie eine Magd“, sondern den Mann auch in seinen Gefühlen zu erlösen. Raus aus dem Kopf und all dem Für und Wider und was die Welt wohl über einen heiratenden Luther denken könnte, rein in eine Partnerschaft, in der diese Katharina eben auch deutlich machte, dass sie es unter einem Luther nie tun würde.

Das ist Frauenemanzipation, die bis heute selbst von vielen Frauen nicht verstanden wird. Dass es eben nicht nur um Geld und Status geht, sondern darum, einen Mann zu bekommen, der – bei all seinen offenkundigen Mängeln – doch voller Eigenschaften steckt, die ihn deutlich selbst von seinen langweiligen Reformatoren-Kollegen abhoben. Und dass der Mann mindestens in Worten leidenschaftlich sein konnte, das war da schon für die ganze Welt lesbar. Und dass ihn sein Zaudern und sein sehr emotionales Nachdenken über das Mensch-Sein ebenfalls von den meisten männlichen Zeitgenossen unterschied, das kann man aus seinen Briefen und Tischreden herauslesen. Deswegen fällt es Fabian Vogt auch leicht, deftige Original-Zitate zu dieser Partnerschaft mit einzubauen, die anfangs scheinbar völlig ohne Liebe, ganz pragmatisch begann.

Aber die Liebe kommt eben erst später. Wer sich wirklich drauf einlässt, der weiß es. Sie wächst genau dann, wenn man den Anderen nicht mehr wegdenken kann aus seinem Leben. Und so muss es Luther schon ziemlich bald gegangen sein, obwohl er die Wucht der Gefühle, die er für seine Käthe hatte, immer hinter Humor, manchmal auch Sarkasmus und flotten Sprüchen versteckte. In seiner Zeit gaben Männer nicht zu, dass jemand anders im Haus das Regime führte – obwohl es fast immer der Fall war. Bis heute erleben ja Männer ihre seelischen Katastrophen, wenn sie merken, dass sie Macht und Kontrolle abgeben müssen, wenn sie wirklich die Frau an ihrer Seite ganz akzeptieren und respektieren wollen. Die meisten Tragödien entstehen daraus, dass sie es nicht können.

Und wo es ihnen passiert, geben sie es nicht zu, weil sie sich schämen. Vor anderen Kerlen, die genauso großkotzig tun, als hätten sie ihr Heimchen am Herd im Griff. Und dummerweise lassen sich das noch immer viel zu viele Frauen gefallen.

Wer diesen Luther mit all seinen oft dissonanten Eigenheiten genauer betrachtet, der sieht sehr wohl, dass in all seinem Tun auch ein früher Same der Emanzipation steckt. Und zwar nicht der der Frauen – diesen Part hat Katharina sehr souverän übernommen. Sondern der der Männer, die auch für heutige Zeiten oft noch aussteht, weil viel zu viele Männer ihre Unfertigkeit hinter Machtgehabe, Großmäuligkeit und Eitelkeit verstecken. Man kann diesen Luther, der sich auch über die kleine Fremdbefreiung durch die selbstbewusste Katharina freuen kann, in seinen privateren Texten finden. Und Fabian Vogt gelingt es tatsächlich, mit seiner Katharina eine Frau zu zeichnen, die sehr modern wirkt in ihren Ansprüchen an den großen Doktor. Vielleicht hätte sie es im Sprachgebrauch ihrer Zeit so klar und deutlich auch nie ausgesprochen. Aber gelebt hat sie das. Das erzählt allein schon diese Geschichte vom Anfang von allem, in der der berühmte Mönch für alle Welt alles Mögliche zu regeln versucht, sich selbst aber völlig herausnimmt, weil er glaubt, dass ihm die Fülle des Lebens nicht gebührt.

Das bringt ihm Katharina dann aber ganz anders bei.

Fabian Vogt Wenn Engel lachen, Edition Crismon, Leipzig 2016, 13 Euro.

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