Noch vier Tage, dann wird gefeiert. Dann bekommt die Thomaskirchgemeinde ihren neuen alten Altar wieder. Seit 2014 wird daran gearbeitet, das Kunstwerk aus dem 19. Jahrhundert zu restaurieren. Seit 2014 fehlt ja auch sichtlich was im Altarraum der Thomaskirche: Damals ging der lange Zeit dort stehende Pauliner-Altar wieder zurück an die Uni Leipzig. Die hatte ihn ja nur ausgeliehen.

Und ohne Friedliche Revolution wäre an der Uni auch niemand auf die Idee gekommen, den Altar der 1968 gesprengten Paulinerkirche wiederhaben zu wollen. Seit 1984 stand der Pauliner-Alter in der Thomaskirche und nur Eingeweihten fiel auf, dass er gar nicht zum Bildensemble der Glasfenster passte – weder thematisch noch von der Größe her. Und auch an der Thomaskirche hätte sich niemand mit der Frage beschäftigt, wenn die Universität nicht den Leihvertrag gekündigt hätte.

„Das war ihr gutes Recht“, betont Thomaspfarrerin Britta Taddiken. Aber der leichte Unmut von 2014 schwingt noch mit. Denn die Uni hat sich da augenscheinlich sehr bürokratisch benommen. Auch wenn jeder versteht, dass man sich das kostbare Kleinod aus der ehemaligen Paulinerkirche (das von 1968 bis 1984 ziemlich vergessen in den Tiefen des alten Reichsgerichts eingelagert war) wieder als Hingucker im neu gestalteten Paulinum wünschte. Da steht der Paulineralter heute auch wieder. Und wenn man endlich irgendwann mit dem Paulinumbau fertig ist, werden auch die Leipziger das Schmuckstück dort wieder bewundern können.

Die Thomaskirche stand 2014 jedenfalls vor der Frage: Was tun? Man hatte eigentlich vier Alternativen. Aber über die vierte wollte man eigentlich nicht nachdenken. Die hatte man schon in den Jahren 1964 bis 1984: Da stand auf dem ansonsten nackten Altar nur das Löbeltsche Kruzifix, das früher mal Teil des Bornschen Altars gewesen war. Das war die nüchterne Variante. Wie nüchtern sie war, sah man dann erst 1984 so richtig, als der prächtige Paulineraltar aufgebaut wurde.

Das Löbeltsche Kruzifix hängt heute übrigens im Kirchenschiff. So schnell mit dem Abbauen und Wegschmeißen wie noch 1964 ist man in der Thomaskirche nicht mehr.

Damals wurde die Thomaskirche von (fast) allem entrümpelt, was man der Neogotik zuordnete. Neogotik war ein beliebter Baustil im späten 19. Jahrhundert in einer Architekturphase, die man als Historismus zusammenfasst, weil die Architekten mit wahrer Freude auf die Baustile längst vergangener Epochen zurückgriffen: Gotik, Renaissance, Barock. Manchmal wild durcheinander. Neogotik war natürlich bei Kirchen besonders beliebt. Dass man damals, im Jahr 1889, die komplette barocke Innenausgestaltung der Kirche entsorgte, gehört zu dieser langen Geschichte der Vergangenheitsentsorgung.

1964 wollte man (und das war kein auf die DDR beschränktes Phänomen) mit dem ganzen Historismus nichts mehr zu tun haben und zurück zu den ursprünglichen, „reinen“ Baustilen. Der neogotische Altar von 1889 wurde abgebaut und in der Sakristei eingelagert, wo er bis vor Kurzem auch in seiner vergoldeten Schönheit besichtigt werden konnte. Nur der Unterbau verschwand und war auch 2014 nicht mehr aufzufinden, als sich die Thomasgemeinde entschloss, den 1964 demontierten Altar wieder an seinen alten Platz zu stellen.

Die Predella steht schon, die Altarteile liegen als Puzzle bereit. Foto: Ralf Julke
Die Predella steht schon, die Altarteile liegen als Puzzle bereit. Foto: Ralf Julke

Auch Variante 2 und 3 hatte man verworfen: Man wollte nicht erst eine aufwendige Suche nach einem spätgotischen Ersatzaltar starten, der dem Paulineralter das Wasser hätte reichen können. Und man wollte auch keinen völlig neuen Altar in Auftrag geben. Das wäre zwar ein spannendes Projekt geworden, das ganz bestimmt viele Künstler zum Mitmachen animiert hätte. „Aber das hätte uns viel Zeit gekostet“, sagt Britta Tadddiken.

Deswegen war der Wiederaufbau des Jesus-Alters von 1889 eigentlich die naheliegende Lösung. Rund 60.000 Euro kostet der Wiederaufbau, der größte Teil des Geldes wurde aus dem Förderverein gestiftet: 55.000 Euro. 5.000 Euro vom Denkmalschutz kamen dazu.

Richtig Arbeit machte natürlich die Säuberung des Altaraufbaus selbst. Der Restaurator Oliver Tietze hat ihn in 100 Teile auseinandergenommen und war selbst überrascht, mit welcher Finesse und wie passgenau dieser Altaraufsatz damals für den Lipsiusschen Kirchenumbau erstellt worden ist. Und da Tietze größtenteils nur mit Wasser und schlichtem Alkohol arbeitete, dauerte das Ganze natürlich bei all den filigranen Details entsprechend lange. Richtige Handarbeit, sagt er.

Parallel suchte die Kirche nach einer Lösung für den fehlenden Unterbau, die Predella. Einfach nach alten Fotos wollte man sie nicht nachbauen. Das hätte nicht gepasst, denn seit dem Einbau der Heizungsanlage vor 60 Jahren unter dem Altarraum liegt der Boden dort zwischen 20 und 25 Zentimeter höher.

Gabriele Weis vom Architekturbüro Weis & Volkmann entwarf also – ehrenamtlich – einen neuen Unterbau, der die alte Formensprache aufnimmt mit stählernen Säulen, die die 2,5 Tonnen schwere Sandsteinplatte für den Altar auch tragen können. Das Material passt sich dem heutigen Stil der Thomaskirche an. Der Sandstein kommt aus dem Nachbarland, aus Polen: es ist Warthauer Sandstein.

Am Dienstag, 23. August, war die Predella schon aufgebaut. Für Oliver Tietze kommen jetzt noch vier Tage, in denen er den Jesus-Altar wieder aufbauen kann. Und am Sonntag, 28. August, um 9:30 Uhr im Gottesdienst wird der Altar dann wieder feierlich übergeben und die Besucher der Veranstaltung können sehen, wie er sich in die Bildersprache der Kirchenfenster einpasst: Das Kreuz des Altars wird dann wieder bildlich in die Landschaft mit dem Berg Golgatha im Hintergrund hineinragen. Jesus als „Herr der Welt“ wird über dem leidenden Jesus schweben. Und der Altar wird wieder zum Mittelpunkt der Lebensgeschichte Jesu.

Es kehrt also auch noch etwas anderes aus dem 19. Jahrhundert in die Thomaskirche zurück, betont Britta Taddiken. Denn dass damals ausgerechnet das Leben Jesu so zentral im Altar erzählt wurde, hat mit der großen Begeisterung der Theologen und Religionswissenschaftler damals für die konkrete Gestalt von Jesus Christus zu tun. Einen besonderen Anstoß dafür gab 1863 der Roman „Das Leben Jesu“ von Ernest Renan. Auch Schriftsteller strengten all ihre Phantasie und Forschungsfreude an, um herauszubekommen, was an der Geschichte im Neuen Testament nun tatsächlich reale historische Erzählung um Jesus war und was theologische Botschaft.

Dass das im Bildkanon im Chor der Thomaskirche so zentral gestaltet wurde, ist schon etwas Besonderes. Und vollständig ist die Geschichte ab Sonntag auch wieder.

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