Am Mittwoch, 21. September, debattierte der Leipziger Stadtrat über die Beschäftigungspolitik für Asylbewerber. Der Plan der Stadt, 100 Asylbewerber mit 1-Euro-Jobs im Eigenbetrieb Engelsdorf quasi zu integrieren, kam bei den meisten Rednern gar nicht gut an. „Quatsch aus Berlin“, nannte es die Linke-Stadträtin Naomi-Pia Witte. Aber wie kann man Migranten tatsächlich integrieren in unsere Gesellschaft? Das ist eine Frage, mit der die Kommunen in Deutschland ziemlich alleingelassen werden.

Das wurde auch am Donnerstag wieder deutlich. Da stellten Ulrich Hörning, Bürgermeister und Beigeordneter für Allgemeine Verwaltung, Dr. Ruth Schmidt, Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen, und Stojan Gugutschkow, Leiter des Referates Migration und Integration, den neuen Bericht „Migrantinnen und Migranten in Leipzig“ vor. Ein Bericht, der sich fortwährend wandelt. Früher hieß er mal „Ausländer in Leipzig“, dann „Migranten in Leipzig“. Und schon in dieser Form war er etwas Seltenes in deutschen Städten. Andere Großstädte machen sich gar nicht erst die Mühe, so detailliert Zahlen zu ihren Bürgern mit Migrationshintergrund zu sammeln.

Was auch daran liegt: Statistische Ämter auf Landes- oder Bundesebene haben kaum entsprechendes Datenmaterial. Auch der Leipziger Bericht arbeitet vor allem mit Zahlen aus dem eigenen Melderegister, teilweise aus Schulwesen, Kita-Bereich, Uni und Arbeitsagentur.

Aber dann wird es schon dünn. Und zwar meistens genau an den Stellen, an denen es tatsächlich um Integration geht – den entscheidenden Schritt von Menschen aus anderen Ländern in echte Arbeitsverhältnisse, zur Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse, zum Erlernen der deutschen Sprache, zur Mitarbeit in Vereinen und in der Politik.

Im neuen Bericht versuchen es Leipzigs Statistiker etwas zu beleuchten. Sie haben den Bericht auch erstmals den Indikatoren des Leipziger Integrationskonzeptes angepasst, das derzeit gerade wieder überarbeitet wird. Und das macht es noch sichtbarer: Für wichtige Integrationsfelder fehlen schlicht die Zahlen – zur Gesundheitsversorgung etwa, zu Erscheinungen von Diskriminierung und Rassismus, aber auch zur interkulturellen Orientierung und eigentlich auch zur politischen Teilhabe. Die Stadt weiß zwar, wie viele Deutsche mit Migrationshintergrund das Wahlrecht haben – aber nicht, ob sie auch wählen gehen. Zahlen zu Migrationsanteilen an Verwaltung, Parteien, Stadtrat gibt es sowieso nicht.

Dabei geht es ohne eine echte Interessenvertretung nicht, betont Stojan Gugutschkow, der nun schon seit Jahren emsig das Gebiet Migration in Leipzig beackert und wohl am besten vernetzt ist in die 170 unterschiedlichen ja tatsächlich existierenden Vereine, Verbände und Interessenvertretungen. Aber Zahlen fehlen. Und nur, wer Zahlen hat, kann handeln.

Für Gugutschkow ein riesiges Arbeitsfeld sind die Landsmannschaften der unterschiedlichen Migrantengruppen. Einige arbeiten intensiv daran, den Neuankömmlingen das Ankommen und die Erstintegration zu erleichtern. „Aber wie ist das später“, fragt Gugutschkow, „wenn die Leute sich in ihrer Landsmannschaft eingelebt haben? Wird sie dann im Gegenteil zum Integrationshemmnis?“

Denn Integrationserfolg ist ja nicht, wenn jemand im abgeschlossenen Kosmos seiner Landsmannschaft verbleibt, sondern in der gastgebenden Gesellschaft Fuß fasst – also Arbeit findet, ein Unternehmen gründet, sich politisch engagiert, Sprachkenntnisse erwirbt, Bildungsabschlüsse nachholt und sich vielleicht sogar in Kultur und Sport engagiert.

Fast 70.000 Leipziger mit Migrationshintergrund

Dazu bieten die verfügbaren Zahlen nur ausschnittweise ein Bild. Man weiß zwar, dass mit dem Stichtag 31. Dezember 2015 insgesamt 69.988 Leipziger einen Migrationshintergrund hatten, davon ein Drittel mit deutschem Pass, 15.000 Ausländer aus EU-Staaten, rund 30.000 aus Nicht-EU-Staaten. Um über 10.000 ist 2015 die Zahl der Leipziger mit Migrationshintergrund gewachsen. „Aber nicht mal die Hälfte waren Flüchtlinge“, betont Gugutschkow. Leipzig als weltoffene Stadt ist auch außerhalb aller Flüchtlingsbewegungen attraktiv für Menschen aus aller Welt. Viele kommen zum Studium nach Leipzig. Da zählen Österreicher und Chinesen zu den größten Ausländergruppen.

Flüchtlinge als besondere Herausforderung

Andere kommen der Arbeit wegen oder als Spätaussiedler oder als EU-Bürger, die sowieso das Recht der völligen Niederlassungsfreiheit haben in der EU. Was unter anderem die Polen zu einer wachsenden Gruppe macht, aber auch Ungarn, Italiener, Bulgaren, Franzosen. Der Bericht zeigt wieder einmal, wie vielfältig Zuwanderung nach Leipzig ist. Auch wenn die Zugewanderten aus dem russischen Raum, vor allem Spätaussiedler, deutlich die größte Gruppe stellen. Nur das Flüchtlingsjahr 2015 hat jetzt die Syrer zur zweitgrößten Gruppe gemacht – und die Stadt natürlich vor ganz große Herausforderungen gestellt.

Denn die eigentlichen Barrieren haben nicht die deutschen Einwohner der Stadt, sondern die Flüchtlinge, die ihren Weg ins Exil nie planen konnten, die Hals über Kopf vor Bomben, Granaten und Killerbanden fliehen mussten. Natürlich haben sie nicht gleich die Fähigkeiten, die sie brauchen, um in Leipzig sofort loslegen zu können. Auch wenn die ersten mittlerweile in der Arbeitsvermittlung des Jobcenters aufgetaucht sind.

Die meisten haben logischerweise Sprachbarrieren, viele haben keine gültige Berufsqualifikation, auch Analphabeten sind unter den Schutzsuchenden. Aber genau das stellt natürlich die Frage: Wie gut ausgebaut ist eigentlich das Leipziger Integrationssystem? Oder muss der Stadtrat nächstes Jahr einen deutlichen Ausbau beschließen?

Nur jedes zehnte Kind mit Migrationshintergrund schafft das Abitur

Und – auch das macht der Bericht wieder deutlich – nicht alles kann die Kommune leisten. Für Bildung ist nun einmal der Freistaat zuständig, der aber an dieser Stelle seit Jahren spart. Mit fatalem Ergebnis, denn in der Schule zeigt sich, ob ein Kind die aufgebauten Barrieren meistern kann, oder nicht. Und gerade Kinder mit Migrationshintergrund scheitern besonders häufig im deutschen Bildungssystem, landen auf Förderschulen, bleiben ohne Abschluss. Ihr Anteil bei den Jugendlichen, die das Abitur schaffen, steigt zwar – liegt aber trotzdem um ein Vielfaches unter den Kindern mit deutschen Wurzeln.

Einzige wirkliche Stellschraube, die die Stadt hat: Die Kinder aus Migrantenfamilien frühzeitig in die Kitas holen. Denn dort lernen die Kinder nun einmal frühzeitig und vor allem spielend die deutsche Sprache, die wichtigsten Regeln und Normen und die ersten Lernbausteine, die ihnen einen Start in der Grundschule erleichtern. Immerhin stieg der Anteil der Kinder aus Migrationsfamilien, die die Krippe besuchen, von 12 auf 16 Prozent. „Aber das muss unbedingt mehr werden“, sagt Hörning. Der Anteil der Kinder aus deutschen Familien liegt mehr als doppelt so hoch.

Das klingt jetzt alles brandgefährlich. Und Fakt ist natürlich, dass die Stadt richtige Probleme bekommt, wenn sie an so einer Stelle nicht eine frühe und verbesserte Integration hinbekommt. „Die Stadt kann ja keinen Antrag an die Staatsregierung schreiben“, benennt Hörning das Dilemma.

Vielleicht kann sie das nicht.

Aber die Oberbürgermeister in Sachsen sind sowieso viel zu leise, wenn es um all diese Probleme geht, mit denen die Städte alleingelassen werden. Und dass die sächsische Bildungspolitik fatal ist für den jungen Nachwuchs, ist so neu nicht. Manchmal muss man deutlich sagen, was für eine Schlamperei die sächsische Bildungspolitik ist.

Arbeit als Integrationssystem

Denn an den Menschen mit Migrationshintergrund liegt es nicht. Im Eigentlichen ticken sie genauso wie die Deutschen: Sie wollen ein tätiges und vor allem selbstbestimmtes Leben leben. Und das schafft man nun einmal nur mit Arbeit. 42,1 Prozent der in Leipzig registrierten Ausländer stehen im Erwerbsleben. Bei den Deutschen im Alter von 15 bis 65 Jahren liegt die Erwerbsquote mit 49,1 Prozent etwas höher.

Zwar liegt der Anteil der erwerbstätigen Ausländer bei allen sv-pflichtig Beschäftigten noch bei mageren 3,8 Prozent. Aber ihre Zahl wächst seit Jahren, lag 2013 bei 6.181, ein Jahr später bei 7.437. Gerade mit der Betrachtung über mehrere Jahre kann Leipzig zumindest an einigen Indikatoren nachvollziehen, ob Integration Erfolg hat. Mit dem neuen Bericht hat Leipzig zumindest wieder einen Bericht über alles, was die vorhandene Statistik über Migrantinnen und Migranten in Leipzig verrät. Und das ist mehr, als zum Beispiel der Freistaat Sachsen von sich behaupten kann.

Er macht aber auch sichtbar, wo es an belastbaren Zahlen fehlt, wo also auch Kommunalpolitik eher nur im Nebel stochern und Vermutungen anstellen kann.

Und als Schnellübersicht gibt es zum 80-seitigen Bericht auch ein Faltblatt „Migrantinnen und Migranten in Leipzig“ mit den wichtigsten Fakten zu einer Stadt, die sich im Lauf der Zeit spürbar internationalisiert. „Darauf müssen wir reagieren“, sagt Hörning. „Das ist unsere Aufgabe.“

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