Auch wenn Leipzig viele kluge Initiativen der Berliner Stadtentwicklung aufgreift, alles gehört nicht dazu, wie z. B. der „Abriss-Atlas Berlin“. Stadtrat Siegfried Schlegel, Sprecher für Stadtentwicklung der Linksfraktion, hält nichts von dem bereits vor Jahren ausdiskutierten Negativpreis für schlechte Architektur. Stattdessen entstand damals der Vorschlag für den inzwischen etablierten positiven Leipziger Architekturpreis.

Bereits seit 1992 gibt es Architekturwettbewerbe. Das städtische Gestaltungsforum, bestehend aus erfahrenen Architektinnen und Architekten, aus Vertretern der Bauämter, der Fraktionen und Leipziger Fachleuten, diskutiert seit 2009 auf Augenhöhe und auf Basis von Freiwilligkeit mit Investoren und ihren Architekten Bauvorhaben in der Innenstadt und an prägenden Standorten. Auch wenn gestalterische Qualität unter Beachtung der Umgebung im Mittelpunkt der Diskussion steht, werden Funktionalität und Bezahlbarkeit nicht außer Acht gelassen. Das gelang bisher bei rund 150 Bauvorhaben. Investoren werden ermuntert, ihre Projekte öffentlichkeitswirksam vorzustellen. Eine anspruchsvolle Architektur muss nicht automatisch teuer sein.

Bauwerke entstehen nicht nur als Ideen und durch Planungen von Architektur- und Bauingenieurfachleuten, sondern werden vor allem durch das Tun der Bauarbeiter Realität. Für einen gelernten Baufacharbeiter und Diplom-Ingenieur ist deshalb die Initiative für einen Atlas „Kann weg“ aus individuellem Nichtgefallen heraus nicht nachvollziehbar. Bauwerke, die mit ihren vielfältigen Funktionen eine Stadt ausmachen, werden für Jahrzehnte unter großen Mühen mit viel Kreativität  geschaffen, also sollte man auch mit weniger Gelungenem leben können.  Außerdem sind Geschmäcker glücklicherweise verschieden, und gibt es auch einen Zeitgeschmack. Vielfalt in der Architektur ist „leipzigtypisch“ und deshalb ein Alleinstellungsmerkmal. Die Herausforderung an die Stadtpolitik ist es deshalb, vielfältige Meinungen der breiten Stadtgesellschaft aufzugreifen.  Als stellvertretendes Mitglied des Fachausschusses Stadtentwicklung und Bau nimmt Frau Gabelmann öfter an Sitzungen teil. Ihr dürften deshalb diese Leipziger Instrumente neben den förmlichen Bebauungsplanverfahren bekannt sein.

Schon in der Antike verstand man unter Tradition das „Bewahren des Feuers, nicht das Anbeten der Asche“. Die Almbauern im Stubaital sind dankbar für das Werk der Ahnen. Aber für sie ist „Tradition nicht das Hüten des Landes, sondern das Bestellen der Felder“, weil diese sonst verschwinden würden. Deshalb muss ein Investor, der eine prominente Nachbarschaft sucht, mit seinem Bauwerk auch eine solche für seine Umgebung schaffen. Nur so entsteht eine attraktive lebenswerte Stadt. Dazu braucht es Geduld und Stehvermögen, nicht aber einen Pranger oder gar eine Architekturpolizei.

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