Manchmal brauchen Entscheidungen in Leipzig lange. Sehr lange. Dass es bei der geplanten Markthalle am Wilhelm-Leuschner-Platz (eigentlich "an der Markthallenstraße") so lange dauert, hat auch mit dem vergeigten Projekt "Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal" zu tun. Aber jetzt erinnern die Grünen daran, dass die Wiederbelebung der riesigen Brache eigentlich seit 2008 auf der Tagesordnung steht.

Auf Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte der Stadtrat am 17. Dezember 2008 beschlossen, Baurecht für die Errichtung einer Markthalle auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz zu schaffen. In einem weiteren Schritt hat der Stadtrat am 18. Mai 2011 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 392 “Wilhelm-Leuschner-Platz Ost” für das betreffende Plangebiet beschlossen.

Im Vorfeld dazu fand im Frühjahr 2010 eine Städtebauwerkstatt statt, an der sechs Architektenbüros teilnahmen. Auf Grundlage der Ergebnisse eines Bürgerforums wurde ein neues städtebauliches Leitbild für das brachliegende Areal entwickelt. Dieses wurde Ende 2010 in einem weiteren Bürgerforum der Öffentlichkeit vorgestellt. Dann war erst mal Ruhe im Karton, denn auf einmal war vier Jahre lang für Leipzig nichts wichtiger als die Planung eines Freiheits- und Einheits-Denkmals, das möglichst die Hälfte der ganzen Brachfläche verschlang. Nur wurde nicht zu einem einzigen Zeitpunkt des immer diffuseren Wettbewerbs klar, dass Leipzig so ein Denkmal (als Platz, Wiese oder Wald) überhaupt brauchte. Keine Stadt hat so viele innerstädtische Denkmale an die Friedliche Revolution wie Leipzig.

Wenn der Leuschnerplatz an ein Ereignis erinnern sollte, dann wäre es ein ganz besonderes: die Beat-Demo von 1965, die genau hier stattfand – oder besser: nicht stattfand, weil die Polizei mit allen Mitteln gegen die Jugendlichen, die sich um den Leuschnerplatz versammelten, vorging.

Nachdem der Stadtrat 2014 entschieden hat, das Verfahren zum Freiheits- und Einheitsdenkmal zu beenden, haben Verbände insbesondere der Leipziger Architektenschaft neuerlich Kritik am 2010 entwickelten städtebaulichen Leitbild für den Wilhelm-Leuschner-Platz geübt und eigene Entwürfe entwickelt, die dem Stadtrat im Januar 2015 vorgestellt wurden. Das hat die Grünen nicht ganz ungerührt gelassen. Denn ganz so öffentlichkeitswirksam war der Beteiligungsprozess 2010 eben nicht. Die Experten blieben mehr oder weniger unter sich. Und eine auch nur irgendwie geartete Variantenabwägung auf demokratisch legitimierter Basis gab es auch nicht. Der Beteiligungsprozess zum Wilhelm-Leuschner-Platz gehört eindeutig unter die Überschrift: Wie man es nicht machen sollte. Oder: Warum Expertengremien keine gute Legitimation sind.

Und Tim Elschner, Stadtrat und stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, gibt den Architekten auch mehr oder weniger Recht, wenn er sagt: “Die Entwürfe, Anregungen und Hinweise haben auch meine Fraktion dazu bewogen, nochmals intensiv über das Areal ‘Wilhelm-Leuschner-Platz’ in seiner Gesamtheit  nachzudenken. Wir haben die unterschiedlichen konzeptionellen Ansätze verglichen, die vorgebrachten Argumente sorgfältig abgewogen und kommen zu dem Ergebnis, dass das von Prof. Wolf und Prof. Pelcak entwickelte und überarbeitete städtebauliche Leitbild auch weiterhin Grundlage für das fortzuführende Bebauungsplanverfahren sein soll.”

Wobei er gerade die Kritik des Stadtforums Leipzig ausblendet, das auch eine klare Raumkante zum einstigen Königsplatz, der eigentlich heute der Wilhelm-Leuschner-Platz ist, gefordert hat. Die Entwürfe zum Freiheits- und Einheitsdenkmal waren ja auch deshalb so diffus, weil der Pelcak-Vorschlag keine klare stadträumliche Gliederung im Westen des Areals erzielt hat. Einfach bloß “Platz-Füllen” ist ja nun wirklich keine kluge Stadtplanung.

“Meiner Fraktion ist die Markthalle am ursprünglichen Standort eine Herzensangelegenheit. Wir übernehmen gerne den Vorschlag, die Markthalle nicht mehr als ‘Flachbau’, sondern in der für die City typischen Höhe zu errichten”, sagt Elschner. Und auch hinsichtlich weiterer künftiger Nutzungen habe die grüne Stadtratsfraktion eine klare Vorstellung.

“Neben einem kleinteiligen Handel, Gastronomie und Dienstleistungen halten wir den Wilhelm-Leuschner-Platz auch als Standort für Wissenschaft und Hochschule bestens geeignet – Grundlage für die Entfaltung von vielfältigem städtischen Leben, aber auch von Urbanität”, umreißt Elscher die Möglichkeiten, die sich hier im Herzen der Stadt auftun, wenn man nicht wieder in falschen Kategorien denkt. “Besonders wichtig sind uns aber auch Wohnungen, am besten deutlich mehr als 20 Prozent. Die Stadt als Eigentümerin der Flächen hat es in der Hand, Sorge dafür zu tragen, dass nicht nur einseitig das hochwertige Segment bedient wird, sondern auch bezahlbarer Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppe geschaffen wird. Auch sind besondere Wohnformen sicherlich denkbar.”

Vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt, unter Beachtung gesamtstädtischer Ziele und in Erwartung einer weiteren Nachverdichtung,  besonderes in vielen Bereichen der erweiterten Innenstadt, will die grüne Stadtratsfraktion freilich auch an der Idee eines großzügigen öffentlichen Freiraumes westlich der Markthallenstraße festhalten. Das ist das Gelände, das mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal überplant werden sollte. Der Platz wird ja jetzt – ebenfalls auf Vorschlag der Grünen – vorläufig als “Markt der Möglichkeiten” genutzt. Aber um eine dauerhafte und stadtraumprägende Gestaltung der Fläche kommt Leipzig ja nicht umhin. Irgendwann in den nächsten Jahren steht das Thema wieder auf der Tagesordnung.

“Unserer Auffassung nach soll zu gegebener Zeit ein Gestaltungswettbewerb mit Bürgerbeteiligung durchgeführt werden. Die Erfahrungen der gerade erst vom Stadtrat beschlossenen Zwischennutzung in Form des ‘Marktes der Möglichkeiten’, die ab 2016 erfolgen soll, wären dabei sicherlich eine wertvolle Grundlage für die weitere Diskussion, auch hinsichtlich der schlussendlich festzulegenden Größe des Platzes”, meint Elschner. “Wir begrüßen, dass mit Ausnahme der Markthallen-Fläche eine kleinteilige Parzellierung Grundlage des weiteren Bebauungsplanverfahrens sein soll. Nach mehr als zwanzigjähriger Diskussion sollte der Stadtrat nun den Mut aufbringen und die Kraft haben, das Bebauungsplanverfahren fortzuführen.“

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