Nicht nur die "Thomana" nutzt in diesem Jahr die Gunst der Stunde und feiert aufgrund der Bestätigungsurkunde von Kaiser Otto IV. aus dem Jahr 1212 das 800jährige für Thomaskirche, Thomanerchor und Thomasschule. Auch das Krankenhaus St. Georg feiert. Denn es kommt ja in der Urkunde auch vor.

Die Augustiner Chorherren, deren Kloster dann tatsächlich von Markgraf Dietrich 1213 gestiftet wurde, durften und sollten auch ein Hospital betreiben. Dergleichen Hospitalgründungen in der Betreuung von Klöstern waren damals das Übliche. Und wenn Rolf Haupt, Annegret Gahr und Wolfgang Hartig im Schnelldurchlauf die 800jährige Geschichte des heutigen städtischen Krankenhauses St. Georg erzählen, dann sind das auch 800 Jahre Zeitreise durch die verschiedenen Entstehungsetappen der modernen Krankenhausmedizin.

Vor 800 Jahren war es keineswegs üblich, Kranke in ein Krankenhaus zu geben. Und die Aufgabe des “Spittal sente Jorgen”, das vor dem Ranstädter Tor im Bereich der heutigen Rosentalgasse entstand, war auch noch eine etwas andere – hier sollten zuallererst jene unterkommen, die so leicht kein Obdach in der Stadt fanden: arme Kranke, Obdachlose und durchreisende Pilger. Noch heute berührt an dieser Stelle der traditionelle Jakobsweg die Stadt.Doch mit der Zeit wuchs die Rolle des Hospitals als soziale Einrichtungen der Stadt und schon 1439 erwarb die Stadt selbst das Hospital, es wurde durch Stiftungen der Bürger gestärkt und erweitert. Und seine Aufgaben wuchsen mit der Zeit. Was das Hospital in den Kriegen des 16. und 17. Jahrhunderts nicht davor bewahrte, bis auf den Grund niedergebrannt zu werden, um den angreifenden Truppen keine Deckung zu lassen. So auch 1631, als die Tillyschen Truppen auf Leipzig vorrückten. Was das Hospital dann fast 40 Jahre von der Leipziger Landkarte verschwinden ließ, bevor es als “Zucht- und Waisenhaus St. Georg” neben dem Johannishospital an der Johanniskirche wiederauferstand – bald schon zu klein und zu unsicher. Die dort verwahrten Gefangenen nutzten die Lage am Rand der Stadt wohl gern zu Flucht.

Was dann auf Betreiben von Georg Bose 1701 dazu führte, dass das nunmehrige Armen-, Zucht- und Waisenhaus in die Stadt hineinverlegt wurde und am Ende des Brühls an der östlichen Stadtmauer eine neue Heimstatt fand. Wo es über die Jahrzehnte wieder wuchs, eine attraktive eigene Kirche bekam und sich bald um fast alle kümmerte, die in Leipzig Obdach und Hilfe brauchten – Arme, Alte, Sieche, Waisenkinder, Irre und Gefangene. Das St. Georg war durchaus typisch für diese umfassende Unterbringung und Verwahrung von Sozialfällen. Erst im 19. Jahrhundert kristallisierten sich die modernen Formen der für uns heute so verschiedenen Versorgungsansätze heraus. Zwangsläufig. Auch in Leipzig zwangen die gesellschaftlichen Entwicklungen und die steigenden Einwohnerzahlen zum Neu-Denken.

Schon in Folge der Völkerschlacht verlor das St. Georg am Brühl seine Rolle als Gefängnis, 1869 beschloss der Stadtrat, auch die Geisteskranken hier nicht mehr unterzubringen. 1871 wurde das einst prächtige Barockensemble am Ausgang des Brühl abgerissen – die Stadt hatte das Grundstück teuer an die ADCA-Versicherung verkauft. Für 20 Jahre gab es noch einmal ein Hospital-Interim am Rosental, bevor der Stadtrat 1908 den Bau eines neuen, modernen Krankenhauses in Reudnitz beschloss. Das sogar noch größer werden sollte als das Ensemble, das 1913 eröffnet wurde. Deswegen ist der eigentlich runde Geburtstag für das Städtische Krankenhaus St. Georg erst 2013.

Wie wertvoll und aufwändig damals gebaut wurde, ist heute noch in vielen Architekturdetails des Krankenhauskomplexes zu sehen, der durch die Sanierungen und Umbauten der letzten 20 Jahre zu einem hochmodernen Krankenhaus geworden ist.Schon im vergangenen Jahr war durchaus die Frage: Wie packt man das alles in ein Buch? Lässt man sich von Historikern so einen gewichtigen Band zusammenstellen, wie sie die große Universitätsgeschichte zum 600jährigen Jubiläum ausmachen? Dafür stand weder Zeit noch Budget zur Verfügung. Schon der oben erwähnte knapp 50 Seiten umfassende Teil zur Historie lässt ahnen, welche Vielzahl an Facetten da hätte untersucht werden können. Man lernt auch so eine Menge – etwa über die Tatsache, dass das Hospital erst ab 1520 einen von der Stadt fest bestallten Arzt besaß. Auch dass die moderne Spezialisierung der Ärzte eine Frucht des 19. Jahrhunderts ist, ebenso wie die Ausbildung der modernen Pflegeberufe.

Die Herausgeber des 570-Seiten-Buches haben den Band nicht ohne Grund “Lesebuch” genannt. Ein Kapitel widmet sich explizit dem Bau des neuen Krankenhauses am Nordrand der Stadt, wobei der Architekt und Stadtbaudirektor Otto Wilhelm Scharenberg besonders gewürdigt wird. Ein Kapitel beleuchtet die Rolle des St. Georg in den Weltkriegen, eines versammelt lauter Schriften zu den Jubiläen, die im 20. Jahrhundert gefeiert wurden, und eines würdigt die herausragenden Persönlichkeiten, die in diesem Jahrhundert am St. Georg wirkten. Und weil es kein reines Geschichtsbuch werden sollte, gibt es auch ganze Kapitel zu den heutigen Filialen und Kliniken im St. Georg-Unternehmensverbund, zu Forschung, Bibliotheken und jüngsten Investitionen. Das Buch ist auch gespickt mit Lebenserinnerungen ehemaliger “Georgianer” und einigen Anekdoten, die das Krankenhaus auch mal in die Medien brachten.

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800 Jahre St. Georg
in Leipzig

Rolf Haupt; Karsten Güldner; Wolfgang Hartig, Leipziger Universitätsverlag 2011, 24,90 Euro

Und weil gerade die historischen Teile auch noch reich mit farbigen Illustrationen versehen sind, ist das Buch tatsächlich zu einem Lesebuch geworden. Auf einer beigelegten CD findet man dann auch noch die Bibliographie zu diesen durchaus lehrreichen 800 Jahren, dazu das Literaturverzeichnis zu den historischen Kapiteln und den Geschäftsbericht für das Jahr 2010, der einen Einblick gibt in den modernen – und von Sparzwängen diktierten – Betrieb des Krankenhauses.

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