Was dem fhl Verlag für seine Krimis eigentlich nur noch fehlt, ist eine gute Reihengestaltung. Die Cover sind brav, meist zu zurückhaltend. Und sie zeigen nicht, dass im kleinen Leipziger Verlag mittlerweile mancher Kriminalroman erschienen ist, der reif ist für den Deutschen Krimi-Preis. Dieser Krimi hier zum Beispiel, in dem einmal nicht Leipzig der Tatort ist, sondern Dresden.

Der Dresdner Andreas M. Sturm, geboren 1962, lange Zeit in der Informatik tätig, ist ein Späteinsteiger. Als er sein Manuskript beim fhl Verlag einreichte, glaubte er noch nicht so recht daran, dass sein Erstling dort genommen wird. Im Nachspann bedankt er sich überschwänglich bei Anne Geißler, die dort das Lektorat betreut. Möglich, dass sie wirklich fleißig war, seinen Text veröffentlichungsreif zu machen. Erfahrung hat sie längst genug, denn der fhl Verlag gehört zu jenen emsigen Leipziger Verlagen, die sich intensiv um neue Autoren und ihre Etablierung im deutschen Wahrnehmungsmarkt bemühen. Dass sich der Krimi als ein Schwerpunkt im Programm herauskristallisierte, hängt mit der frühen Zusammenarbeit mit Leipzigs Krimi-Star Henner Kotte zusammen.Aber was Sturm erzählt, ist auf seinem Mist gewachsen. Oder besser: auf seiner Festplatte. Es ist eine flott und spannend geschriebene Geschichte für eines der Ur-Dramen der Gegenwart: Der scheinbar zufällige Mord an einem Mann an der Waschanlage einer Tankstelle entpuppt sich als späte Rache für eine Vergewaltigung, die Jahre zurückliegt. Das Opfer der Vergewaltigung ist tot, hat sich umgebracht, nachdem das Verfahren gegen die mutmaßlichen Täter aus obskuren Gründen im Sande verlief.

Warum es im Sande verlief, beginnen die beiden Kriminalistinnen Karin Wolf und Sandra König mit ihrer kleinen Soko dann zu ermitteln, nachdem sie feststellen mussten, dass der Ermordete zwar einigen Dreck am Stecken hat und wohl auch den größten Gangster der Stadt ausgetrickst hat – nur hat dieser Gangster, der im Buch noch eine gewichtige Rolle spielen wird, mit dem Mord an der Tankstelle ausnahmsweise einmal nichts zu tun.

Weil aber die Akten der Ermittlungen zum Jahre zurückliegenden Vergewaltigungsfall gründlich bereinigt wurden, tappen Karin, Sandra & Co. lange im Dunkeln. Ein echtes Plus: Anders als ganze Krimi-Serien aus Deutschland, die den Derrick-Effekt des Grübelns und Betrübtseins auswalzen, bis auch der Leser eingeschlafen ist, hat Sturm sich bei den Verweisen auf die Nöte und die punktuelle Mutlosigkeit seiner Ermittlerinnen auf das Notwendigste beschränkt. Seine Kriminalpolizistinnen sind auch keine Kinder von Traurigkeit, auch wenn die eine eine desolate Partnerschaft hinter sich hat und die andere noch in einer drin steckt. Sie naschen gern, turteln gern und finden über ihre eigene Beziehung auch irgendwann den Schlüssel zu der alten Geschichte und den Motiven der Mörderin, die nun auf Feldzug ist gegen die drei Vergewaltiger, von denen einer ausgerechnet auch noch ein hohes Tier bei den Ermittlungsbehörden ist.Da aber auch die Mitarbeiter der Soko vom frisch verliebten Jan bis hin zum nur scheinbar aalglatten Gerichtsmediziner Bretschneider eigene Charaktere, Geschichten und sogar eigenmächtige Ermittlungsstränge bekommen, kommt es in diesem Fall gar nicht erst zu Stockungen, Fehlstellen und den quälenden Zwischenkapiteln, in denen alles auf Moll gestimmt ist.

Im Gegenteil. Dieses Ermittlerteam ist gewitzt, geht jedem winzigen Hinweis nach, sucht immer neue Ansätze, um im Dunkel doch noch die richtige Spur zu finden. Was natürlich richtig spannend wird, als sich herausstellt, dass einer der Gesuchten auch noch direkten Zugang zu den aktuellen Ermittlungsergebnissen hat. Was nicht die einzige Komplikation ist. Dazu kommt ein gar nicht so beiläufiges Plädoyer für das Recht auf Liebe. Und zwar die frei gewählte Liebe. Denn die Ermittlerinnen bekommen es – weil der Fall so angelegt ist – auch mit einem nicht unbeträchtlichen Teil der bürgerlichen Borniertheit zu tun, die sich manchmal in der Schikane eines homosexuellen Lehrers, mal in der elterlichen Abweisung einer lesbischen Tochter auslebt.

Diese alten Ressentiments, die im Fall des Falles auch scheinbar toleranten Mitmenschen auf einmal die schöne Maske vom Gesicht reißen, sind alle noch da, leben – meist unausgesprochen und verdrängt – ihr Eigenleben in unserer ach so anständigen Gesellschaft.

Am Schluss begleitet noch ein heftiges Gewitter den Showdown, bei dem man nicht nur mit den beiden cleveren Polizistinnen mitfiebert, sondern auch mit der geheimnisvollen Täterin, der sie auf der Spur sind. Donnerschläge übertönen, was in einem alten sanierungsreifen Haus geschieht. Und nicht nur für einen emsigen Polizisten auf Extra-Tour geht’s beinahe richtig schief.

Vollstreckung, Andreas M. Sturm, fhl Verlag 2011, 12,00 Euro

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