Das Programm des Verlags Andreas Reiffer aus Meine ist bunt. Slam Poetry erscheint neben Punk-Literatur, Satire, Pratajev und - hm - Eishockey. Das Leben von Männern kann bunt sein. Unfassbar wohl auch. Die Pratajev-Bibliothek ist ein Leipziger Projekt. "Herausgegeben von Makarios Oley und Frank Bröker", wie es so forsch in der Beschreibung heißt. Aber was hat Pratajev mit Eishockey zu tun?

Eine Menge. Denn die Texte des – nun ja, eingestandenermaßen fiktiven – russischen Dichters Sergeij Waschowitsch Pratalinko, genannt Pratajev, gehören seit Jahr und Tag zum Repertoire der 2003 in Leipzig gegründeten Band “The Russian Doctors”. Und “The Russian Doctors”, das sind Holger “Makarios” Oley, den die Leipziger auch als Sänger der Band “Die Art” kennen, und Gitarrist Frank Bröker, aus Münster stammend. Mittlerweile angesteckt vom Eishockey-Fieber des Dr. Makarios, der seinerseits in Leipzig aufwuchs. In eishockeylosen Zeiten. Denn 1974, als er 14 war, gab es in der DDR nur zwei Eishockeymannschaften, die jedes Jahr um die Meisterschaft duellierten – Dynamo Berlin und Dynamo Weißwasser.

Die legendären Zeiten, dass auch eine Leipziger Mannschaft auf deutschem Parkett mitspielte, waren lange vorbei. Dabei hatte Leipzig 1901 mit dem Leipziger Sportclub eine der ersten Mannschaften, die im Spielbetrieb den Puck jagte. Der Kaufmann Arthur H. Schomburgk hatte die Idee von einer Nordamerikareise mitgebracht.1974 bestand also gar keine Gefahr, in Leipzig vom Eishockeyfieber angesteckt zu werden. Der kleine Holger langweilte sich trotzdem und wurde kurzerhand zur Ferienerholung ins benachbarte Freundesland nach Usti nad Labem geschickt, wo er sich auch langweilte und aus lauter Langeweile ein Zweitligaspiel der tschechoslowakischen Eishockeyliga besuchte. Ab da war er, wie er in seinem Nachwort zu diesem Büchlein erzählt, vom Eishockeysport gefangen, musste aber trotzdem darben, bis 1998 die Leipziger Eislöwen aus der Taufe gehoben wurden und das neuere Kapitel der Leipziger Eishockeygeschichte begann, das ja bekanntlich hinter den Kulissen noch viel mehr Aufregung bot als auf dem Eis. Der Insolvenz der Eislöwen folgte die Gründung der Blue Lions, nach deren finanziellen Aus das der Icefighters.

Was natürlich nichts daran änderte, dass etliche hundert Leipziger sich dennoch für das rasante Spiel auf dem Eis begeisterten. Darunter natürlich Makarios, der nach eigenem Geständnis auch Bröker dazu brachte, sich die Eisfighterei mal anzuschauen – und dauerhaft zum Anhänger dieses Sports zu werden, den man als Laie nicht wirklich versteht.

Denn Eishockey ist, wenn man Brökers Büchlein so liest – und er hat es recht launig geschrieben – ein Spiel, das noch mehr Regeln hat als das andere Männerspiel, Fußball. Bröker geht sogar so weit, Fußball als Ehefrau des sportbegeisterten Mannes zu titulieren und Eishockey als dessen Geliebte. Und wer jetzt auf den ersten Blick dachte, er bekommt mit dem Büchlein eine flotte Sammlung munterer Geschichten über das Leben am Rande der Eishockeyfläche, wird sich wundern: Bröker erklärt dem Leser – zwar launig und gespickt mit echt unterkühltem Eishockey-Humor – aber dennoch recht ernsthaft, wie das Spiel über drei Spielzeiten funktioniert, warum die gut gepolsterten Burschen da unten alle Nase lang ausgetauscht werden oder gleich ganz auf die Bank müssen, warum mit dem Puck nicht getrödelt werden darf und wer da unten welche Rolle spielt.Er erzählt, warum der Torwart seinen Helm nicht absetzen darf, Rempeleien und Rippenbrüche im Spiel aber meist unter “normal” laufen und Spieler gut beraten sind, mit Mundschutz zu spielen. Er lässt auch die Schiedsrichter nicht außen vor, die – wenn man das Buch so liest – wohl den undankbarsten Job bei der ganzen Sache haben, denn sie müssen einen ganzen Wirrwarr an Regeln beherrschen und werden dabei augenscheinlich vom Publikum noch unbarmherziger behandelt als beim Fußball.

Selbst der schnelle und dichte Erklärungsstil von Bröker lässt ahnen, dass Zuschauer bei einem durchschnittlichen Eishockeyspiel ungefähr 130 Minuten Herzrasen und Schnappatmung haben und wahrscheinlich danach genauso durchgeschwitzt und fertig wie die Spieler aus der Arena torkeln. Was irgendwie wie ein Blitzlicht auf die Zeit wirkt, die so genannte moderne, die eine rasende ist und mittlerweile jedes Betätigungsfeld in so eine Art Eishockeyspiel verwandelt – “hart, schnell und eiskalt”. Wer nicht bereit ist, seine Knochen und Zähne zu riskieren und sich ohne Nachdenken in die Klopperei stürzt, hat keine Chance, bei dem Spiel auch nur an den Puck zu kommen, die kleine Hartgummischeibe, die im Idealfall mit 200 km/h übers Eis jagt. Was der Zuschauer zwar zu sehen versucht, aber im Grunde nie sieht, weil Langschüsse nicht erlaubt sind und auf den kurzen Distanzen zwischen den Linien und um die Tore alles so schnell geht, dass man die Jungs da unten nur bewundern kann für ihr Reaktionsvermögen.

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Eishockey
Frank Bröker, Reiffer Verlag 2012, 7,95 Euro

Es ist ein Büchlein für alle, die begreifen wollen, was da unten geschieht und denen es egal ist, wie sich die Clubs durch das schwere Fahrwasser der herrschenden Finanzknappheit kämpfen. Wer schon als Leser ein bisschen sensibel ist, sollte lieber ein schönes Buch über Sportgymnastik kaufen. Denn hier wird auch das Lied vom harten Kämpfer gesungen, von den Kerlen, die bereit sind, sich körperlich völlig dranzugeben, um am Ende mit einem Sieg vom Platz zu gehen. Oder zumindest die Chance aufs Penalty-Schießen zu bewahren. Womit man beim letzten Punkt wäre, der das Buch für manchen Freund des Eishockeysports interessant macht: Es erklärt die ganzen englischen Begriffe, die aus Nordamerika auch in das europäische Eishockeygeschehen herübergeschwappt sind und die so fachmännisch klingen, wenn man sie in den Mund nimmt: Slot, Forward, Scorer, Off Side, Icing …

Die Gelegenheit nutzen wir natürlich, ballern den Puck vom Feld und gehen mit dem Wissen nach Hause, dass zwei kreative Leipziger Musiker wohl unheilbar mit dem Eishockeyvirus infiziert sind.

Geschichte des Leipziger Eishockeys auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Blue_Lions_Leipzig

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