Prof. Dr. Karin Reich ist Mathematikhistorikerin an der Universität Hamburg. Auf dem Umschlag des Buches versteckt sie sich bescheiden hinter dem Kürzel Hrsg., Herausgeberin. Als hätte sie nur die 10. oder 12. Neuausgabe der Gauß-Biografie von Wolfgang Sartorius "Gauß zum Gedächtnis" besorgt. Aber wer ist Sartorius? Oder noch etwas eitler: Sartorius von Waltershausen?

Ein Jahr nach dem Tod des Mathematikers, Physikers, Astronomen, Geodäten Carl Friedrich Gauß veröffentlichte Sartorius die Denkschrift, in der er nicht nur das Leben des Göttinger Professors beschreibt und seine bahnbrechenden Forschungen. Es ist auch eine Gedenkschrift. Das, was man früher wirklich mal einen Nachruf nannte, weil es mit dem Ruf zu tun hatte, den einer auch dann noch genoss, wenn er tot war. Und manchmal weiß man ja auch schon zu Lebzeiten, dass der Ruhm eines Menschen auf lange Zeit nicht verfliegen wird, weil er auf seinem Gebiet Bleibendes schuf. Bei Gauß war das früh schon klar.

Und zu den Menschen, die er tief beeindruckte, gehörte der Geologe und Ätna-Erforscher Sartorius. Den Titel eines Freiherrn von Waltershausen hatte sein Vater erhalten vom bayerischen König. Das kleine Schloss Waltershausen hatte er gekauft – Wolfgangs Bruder würde es später wieder verkaufen. Aber der Titel bleibt. Und nervt. Vielleicht haben wir in der deutschen Politik in letzter Zeit zu viele Barone und Freifrauen gesehen, die teilweise nichts anderes zu bieten hatten als ihren angejahrten Titel.Karin Reich geht auf dieses Kapitel der Familiengeschichte natürlich auch ein. Im ersten Teil des Bandes bringt sie die Gedächtnisschrift von Sartorius, die heute als eine der Primärquellen zum Leben des Carl Friedrich Gauß gilt, weil sie Vieles enthält, was Sartorius als jüngerer Freund und Kollege des Berühmten von ihm selbst erfuhr. Auf seinen Reisen korrespondierte Sartorius mit Gauß. Und ein paar Stellen deuten darauf hin, dass ihm das Schreiben der Gedächtnisschrift so zusetzte, dass er selbst körperlich darunter litt.

Karin Reich hat zur 1856 bei Hirzel in Leipzig erschienenen Gedächtnisschrift einen Essay geschrieben, in dem sie das Leben von Sartorius und seine Beziehungen zu Gauß anhand der Quellen aufarbeitet, die verfügbar sind. Als Ätna-Forscher hat sich Sartorius einen Namen gemacht – auch wenn sein großes Werk “Der Aetna” von Arnold von Lasaulx erst nach seinem Tod 1876 im Jahr 1880 in Leipzig vervollständigt und herausgegeben wurde.

Sartorius war ein Reisender, nahm nicht nur an Kongressen teil, sondern war auch bei einer Island-Erkundung mit Robert Bunsen dabei, bei der er seine Erkenntnisse aus der Bereisung Italiens ergänzte. Eins seiner frühen Forschungsgebiete zur Vermessung des Erdmagnetismus in Italien war eine Fortsetzung der gaußschen Forschungen zum Erdmagnetismus.

Als Sartorius die Gedenkschrift für Gauß schrieb, konnte er sich auch noch auf die Erinnerungen von Zeitgenossen stützen. So dass auch viel Persönliches und Anekdotisches in die Schrift fand, all das, was für gewöhnlich in Akten und selbst in Briefen nicht erwähnt wird.

Mit ihrem Essay würdigt Karin Reich nun also einen, der als Wissenschaftler selbst Verdienste hat, aber mit der Gauß-Biografie auch etwas schuf, was ihn in der Gauß-Gemeinde bis heute präsent hält. Was wüsste man eigentlich über die Weltveränderer ohne jene Freunde und Helfer, denen die Erinnerung an sie als Mensch wichtig ist? Die sich einfach – wenn in den Zeitungen alle Nachrufe erschienen sind – hinsetzen und aufschreiben, was ihnen am Leben des Verstorbenen wichtig erscheint?Da sprechen selbst die Auslassungen. Hans Wussig in seiner neueren Gauß-Biographie geht deutlich stärker auf die Rolle von Gauß in der Zeit der “Göttinger Sieben” ein, zu denen auch sein Freund Wilhelm Weber, Physikprofessor und Forschungspartner, gehörte. Für den streng konservativen Gauß eine Tragödie, als auch Weber die Uni verlassen musste. Sartorius ist es, der in seiner kleinen Schrift zu fassen versucht, warum Gauß so konservativ war und vor Revolutionen augenscheinlich eine tiefe Furcht hatte.

Anders als Sartorius selbst, der in der Zeit des “Jungen Deutschland” erwachsen wurde und sich 1848 auch für die Hoffnungen der Revolution begeisterte. Sein “Trostbüchlein in unseren trüben Tagen”, das 1850 erschien, belegt es mit teilweise sehr hymnischen Gedichten. Was ihn freilich nicht aufmüpfig machte. Die deutschen Revolutionäre sind in der Regel sehr brav und geben sich nach den gescheiterten Revolutionen meist recht bürgerlich, staats- und gesetzestreu. Das Revolutionieren bleibt entweder Jugendsünde oder ein schönes Gedichtthema in einem anonym veröffentlichten Gedichtbändchen.

Dass Gauß selbst mit seinen Forschungen und Erfindungen die Welt revolutionierte, wusste er wohl selbst. Vom Aufkommen des Eisenbahnwesens war der geniale Mathematiker fasziniert. Und noch 1856 freut sich Sartorius darüber, dass durch Göttingen von Prof. Gauß die erste – acht Kilometer lange – Telegrafenleitung gelegt wurde, von der noch ein kleines Stück zu sehen war. Mit Gauß begann ja bekanntlich die immer schnellere Jagd von Informationen um den Erdball, die Aktualität von Nachrichten definierte sich fortan nicht mehr in Wochen und Tagen, sondern in Stunden und Minuten.

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Wolfgang Sartorius von Waltershausen,
Gauß zum Gedächtnis

Karin Reich, Edition am Gutenbergplatz Leipzig, 26,50 Euro

Die Hatz hält bis heute an. Auch das ein möglicher Grund, warum einer wie Gauß sich vor gesellschaftlichen Umwälzungen (wie zu seiner Zeit in Frankreich) fürchtete, denn auf seinem eigenen Gebiet sah er ja, wie viel sich auch so schon durch den immer schnelleren technischen Fortschritt veränderte.

Ein paar Fotos von Dokumenten, Briefen und Grabsteinen ergänzen das Buch, mit dem jetzt auch der Biograf des großen Göttinger Gelehrten gewürdigt wird.

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