Essay hat er als Genre unter den Titel geschrieben. Einen Untertitel gibt es auch: "Aus dem Tagebuch des letzten Dandys". Was zum Coverbild passt, das Harald Nicolas Stazol leger an eine Mauer gelehnt zeigt, sonnengebräunt, Hände in den Hosentaschen. Stazol ist etwas, was man in Deutschland immer seltener findet: ein Original.

Es gibt zwar einen Haufen Leute, die mittlerweile “was mit Medien machen” und so tun, als seien sie ganz außergewöhnlich original. Doch in der Regel sind darunter eine Menge Grafen Potjemkin, Leute mit eigener Meinung und eigenem Stil sind sowieso immer seltener. Die werden ausgesiebt. Auch in den bislang noch fundiert arbeitenden Blättern – vom Zirkus-Rummel im TV braucht man da wirklich nicht mehr zu reden. Dem deutschen Journalismus geht es nicht gut. Doch die, die es wirklich betrifft, reden in der Regel nicht darüber. Sie strampeln, leiden und schweigen. Stazol ist nur einer von ihnen.

Vielleicht auch nicht der typische Journalist. Nach erfolgreichem Abschluss der Henri-Nannen-Schule hat er in den Bereichen Kultur, Mode und Lifestyle jahrelang für bekannte Magazine und Zeitungen geschrieben, hat Gerichts- und Reisereportagen verfasst. Manches davon richtige Exotenfächer. Was nicht bedeutet, dass die Exoten damit in ein sicheres Fahrwasser kommen. Den Zwei-Klassen-Journalismus der Festangestellten und der Freien gab es auch schon vor der um sich greifenden Zeitungskrise. Seitdem hat er sich nur noch verschärft. Das spüren auch die Autoren, die für die Hochglanzmagazine schreiben.Stazols Tagebuch entführt den Leser ins Jahr 2011. Lang ist das her. So schnell werden die Affären der Republik zu Fußnoten im Fluss der Zeit. Stazol erwähnt sie nur beiläufig. Eigentlich versucht er sein eigenes Leben zu fassen, das, was ihm selbst passiert in diesem Jahr. Mit den so wichtigen Gänsefüßchen: Es ist auch eine Fiktion. Wenn einer mit gekonntem Stil so einen Tagebuch-Essay schreibt, wird er auch überhöhen, übertreiben, mehr Farbe zugeben. Wie weit der Tagebuch-Stazol mit dem Autor identisch ist, wird er nur selbst wissen. Das Gefühl beim Lesen: Die beiden sind ein Herz und eine Seele.

Und wenn sie tatsächlich im selben maßgeschneiderten Anzug steckten, denn haben sie Himmel und Hölle hinter sich, den höchsten Rausch und den tiefsten Absturz. In diesem Fall den einer manisch-bipolaren Depression. Eine Erkrankung, die tatsächlich die fluktuierende Bandbreite zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt kennt, zwischen dem euphorischen Gefühl, alles ist möglich, und dem Absturz in Selbstmordgedanken. Das eine so gefährlich wie das andere. Denn die Euphorie – durch keine regulierenden Medikamente gebremst – stürzt den Helden dieses Tagebuches in die teuerste Woche seine Journalistenlebens und sorgt dafür, dass er fortan unter einem Berg von Schulden ächzt. Die er nicht abtragen kann. Denn nicht nur werden viele seiner Texte, die er anbietet, abgelehnt, weil sich die Redaktionen die Budgets nicht mehr leisten können (Einer seiner Auftraggeber, die “Financial Times Deutschland”, ist ja kurz nach Erscheinen des Buches eingestellt worden.), es gibt auch immer mehr Hochglanzmagazine auf dem Markt, die von vornherein planen, die Autoren gar nicht erst zu bezahlen.

Es gibt zwar nur ein Kapitel im Buch, das sich dezidiert mit den Betrügereien in der Medienwelt beschäftigt. Aber das Thema kommt immer wieder auf. Denn für einen freien Journalisten ist es eine Katastrophe, wenn Arbeiten im Wert von einigen tausend Euro nicht bezahlt werden.

Es ist ein Blick genau hinter die Kulissen jener Welt, die jungen Leuten immer noch als vielverheißendes Metier angepriesen wird. Natürlich werden Journalisten aus der Lifestyle-Branche eingeladen zu Empfängen, Buffets, Galas, Dinners, Präsentationen, bekommen ihre Interviews (manchmal auch bloß ein paar kurze Foto-Shootings) mit all den berühmten Nasen, die man so Prominente nennt. Sie lernen Hinz und Kunz kennen. Und das sieht in den entsprechenden Magazinen geradezu spektakulär aus.

Doch mit welchen Typen man es da zu tun bekommt, hat das medienberauschte Deutschland ja 2011 miterleben können. Eine Affäre jagte die andere. Da war der Sturz des Dr. von und zu Guttenberg (dem der Dr. aberkannt wurde), da war die zähe und mit immer neuen Enthüllungen gespickte Affäre um den Bundespräsidenten Wulff, da war die Affäre um den Grimme-Preisträger, der die berühmte Modelleisenbahn, über die er schrieb, nicht mal gesehen hatte, da war die Affäre um Dominique Strauss-Kahn, der als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat in Frankreich ausgerechnet durch eine Zimmermädchen-Affäre abgeschossen wurde.Und das regt einen wie Stazol auch dazu an, immer wieder mit stilistischer Schärfe die Veränderungen in der Republik zu benennen, die aus der medialen Berichterstattung immer mehr ein Dauerrauschen der Affären gemacht hat. Deswegen ist das Wort Affäre – konsequent nutzt Stazol lieber noch die ans Französische angelehnte Schreibform Affaire – im Titel auch doppelt gemeint. Der Affairencharakter hat sich übers Land gelegt und macht die ganze Berichterstattung über all die besoffen Auto fahrenden Politiker, die strippenziehenden Mischmeyers, die unfähigen Titelträger immer mehr zu einem ungenießbaren Brei. Was – und das ist das Besondere , was dieses Tagebuch zeigt – logischerweise auch auf den Beruf der Medienmacher zurückwirkt. Wo Skandalberichterstattung gewollt ist, hat fundierter Journalismus keine Spielräume mehr. Und das Bild, das Stazol von den Chefetagen einiger deutscher Redaktionen zeichnet, wird so wohl stimmen. Wo Kompetenz und Charakter nicht mehr gefragt sind, sondern Stromlinienförmigkeit und Fassade, da tauchen auch dort die Typen mit ihren gekauften oder zusammengeschummelten Titeln auf, die Blender und Darsteller.

Die dann logischerweise die Blätter auch nicht mehr mit den Reportagen füllen, die ihre Leser vielleicht zum Nachdenken animieren würden, sondern mit Hofberichterstattung und leichter Unterhaltung. Was dann selbst einst anspruchsvolle und kritische Medien zu etwas macht, das man eigentlich nur noch abbestellen kann. Was dann aber auch Leuten wie Stazol die Arbeitsgrundlage entzieht. Nicht nur bei den diversen Magazinen, die nur noch Glamour darstellen, aber keine Informationen mehr über dessen Sinn und Unsinn geben – was den schönheitssuchenden Tagebuchautor natürlich frustriert. Selbst im so genannten linken Milieu Hamburgs stimmt sein Dresscode auf einmal nicht mehr. Die Szene fühlt sich augenscheinlich seit seinem Essay-Band “Ich bin gerne Deutscher” bis in die Springerstiefel hinein beleidigt.

Dass man ihm gar noch seine Art, sich als Dandy zu geben, vorwirft, zeigt nur, wie piefig es im Lande wieder zugeht. Vielleicht immer zuging. Mit Typen, wie einst Oscar Wilde einer war, kann man hierzulande nicht wirklich umgehen. Die Lässigkeit Englands, Originale als etwas Selbstverständliches zu sehen, hat Deutschland bis heute nicht entwickelt. Dafür eine grimmige Art, alles, was nicht passt, wegzurationalisieren.

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Affairencharakter
Harald Nicolas Stazol, Plöttner Verlag 2012, 16,90 Euro

Klammer des Tagebuchs ist eine stille, zehrende Liebesgeschichte zu einem durch die Welt tourenden Model, “meiner Muse”, wie Stazol schreibt. Gleich zu Beginn lässt er sein alter ego, den Grafen Darlington, die ungetreue Muse aus der Welt schaffen.

Die folgenden Tagebuchblätter – aufgeteilt in allerlei Affären in diversen Farben – führen den Leser dann durch das Jahr mit all seinen Tiefschlägen und Hoffnungen, dem Verlust der Wohnung, dem Antrag auf Hartz IV, den Begegnungen mit Psychologin und neuen Freunden. Bis zum Finale, der Planung jenes perfekten Mordes, der zu Beginn geschildert wird.

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