Noch ein Kochbuch über Sachsen? Noch ein Rumtata auf eine der reichhaltigsten Küchen in der Republik? Wer soll das alles kochen, braten, backen und gar essen? Mal abgesehen von der freundlichen Blondine im Kohlkostüm. Doch was Thomas Schaufuß, Gastronom in Berlin mit Leipziger Wurzeln, hier vorgelegt hat, ist mehr als ein Buch mit opulenten Rezepten aus Leipzig und Dresden.

Mit dem Untertitel geht es los. Ein erfahrener Küchenchef weiß, dass es mehrere verschiedene sächsische Küchen gibt. Drei eher ländliche und zwei großstädtische. Und wer über die Rezepte der Großstädte schreibt, kommt nicht umhin, sich mit ihrer Geschichte und der ganz speziellen Lebensart vor Ort zu beschäftigen. Denn das, was hier wie dort auf die Tische kommt, unterscheidet sich so sehr wie die Atmosphäre und das Lebensgefühl der Städte.

Einigen kann man sich nur auf eines: Die Mädchen in Sachsen sind hübsch. Auch wenn die meisten eher nicht auf Bäumen wachsen und sich so leicht bekleidet der Fotografin stellen wie die drei Rankengewächse auf dem Titel.

Den Autor selbst findet man ganz persönlich auf Seite 7 – mit der „Sächsischen Zeitung“ malerisch abgelichtet vor der Albrechtsburg in Meißen. Im Vorwort erläutert der gelernte Koch, geprüfte Weinberater, Eisspezialist und Hobbyfotograf, was er in seinem Buch mehr erzählen möchte als andere Autoren von Küchen-Reise-Büchern. Denn er weiß, wie eng Geschichte, Mode und Speisekultur zusammenhängen.

Und er hat sich eingehender mit dem beschäftigt, was die Historiker in ihren dicken Schinken meisten weglassen: Wovon ernährten sich eigentlich die Leute? Wie sahen die Speisen aus? Was wurde in welcher Form aufgetragen? Wann kamen Löffel und Gabeln ins Spiel? Und womit aß Luther, wenn er doch die Gabel verteufelte? Was tranken die Leute? Und wo holten sie sich die Zutaten und die Anregungen?

Und so folgt dem Inhaltsverzeichnis erst einmal eine kleine Geschichte des Kurfürstentums Sachsen mit kurzen Abstechern zu Cranach (der die Fürsten malte) und Luther (der das Essen seiner Katharina genoss) geradezu an die Tafel der sächsischen Fürsten. Denn da begann alles. Hier wurden die Maßstäbe gesetzt. Üppig gedeckte Tafeln waren ein Zeichen von Reichtum.

Und jahrhundertelang protzten Sachsens Fürsten mit Quantität, dass sich die Tische bogen, hielten sich ganze Heere von Küchenmeistern und brauchten doch ein ganzes Weilchen, die kulinarische Protzerei auch mit Esskultur zu verbinden. Das Vorbild war der bekannte Sonnenkönig in Frankreich, dem Land, das das Essen tatsächlich erst zur Kunst erhob.

Es war der Fürstenhof in Dresden, an dem sächsische Tischkultur sich verfeinerte, bevor auch andere begannen, dem nachzueifern. Die Adelshöfe natürlich und die betuchten Bürger vor allem in Leipzig. Und mit der wirtschaftlichen Blütezeit beginnt auch die Blütezeit der bürgerlichen Küche in Sachsen, die ihren Gipfel mit den prunkvollen Cafés, Hotels und Restaurants des 19. Jahrhunderts erreichte, die eben auch höfischer Prunkentfaltung nacheiferten. Man wollte, wenn man es sich leisten konnte, auch tafeln wie die Herrschaften.

Und es blieb ja nicht nur auf öffentliche Lokale beschränkt, die auch zum Ort der gesellschaftlichen Kultur wurden – wie die berühmten Leipziger Kaffeehäuser. Mit dem zunehmenden Reichtum der bürgerlichen Haushalte entwickelte sich auch die Vielfalt der bürgerlichen Küche in Sachsen.

Ein paar Abstecher gönnt sich Schaufuß, um den Leser im fernen Lande auch zu zeigen, dass von alledem vieles immer noch oder wieder zu finden ist, wenn man nach Sachsen fährt – im Weinbaugebiet an der Elbe, im historischen Zentrum Leipzigs, in der wiederaufgebauten Residenzstadt Dresden.

Und es ist nicht nur ein Loblied auf die sächsische Küche, die eine von vielen Einflüssen geprägte ist. Schaufuß betont auch die sichtbaren Ansätze zu einer gesunden Küche, die auf regionale Produkte bewusst zurückgreift. Zumindest tun es die guten Gastronomen im Land.

Die zweite Hälfte des Buches ist dann eine ganz persönliche Auswahl von Gerichten, die Thomas Schaufuß ausgewählt hat – gepickt mit Fotos von Mädchen und Landschaften. Besonders auffällig: die eindrucksvollen Fotos von Michael Rang aus Naumburg, der selbst Kaffeekannen fliegen lassen kann. Naumburg ist zwar Sachsen-Anhalt. Aber wer kümmert sich wirklich noch um die politischen Grenzen, wenn sächsische Tischkultur eigentlich die ganze Region betrifft?

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Sächsische Tischkultur
und Lebensart

Thomas Schaufuß, Edition Limosa 2013, 24,90 Euro

Die Rezepte, die Schaufuß ausgewählt hat, sind selbst eine ganze Landschaft von leicht und gesund bis hin zu Omas Lieblingsgerichten, deftigem Dresdner Kesselgulasch und experimentierfreudigen Weltstadt-Kreationen.

Prasselkuchen und Reformationsbrötchen dürfen nicht fehlen. So schwer wie August der Starke muss also niemand mehr speisen. Die neue sächsische Leichtigkeit ist spürbar. So geraten auch mal ein paar schlanke Damen in den Baum, wo man sie sich herunterpflücken darf. Wenn man eine Leiter hat. Oder eine ernst gemeinte Einladung zu Himbeerkuchen oder Leipziger Mundbrötchen à la Bonheur.

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