Es wird viele Frauen geben, die sich über dieses Buch richtig freuen werden: Es ist nicht nur Ratgeber, sondern auch Mutmacher - und keineswegs nur nebenbei auch ein Aufrüttler. Es hätte auch als Titel drüber stehen können: "Lasst euch nicht mehr fremdbestimmen!" Es ist eine kompetente und tiefgreifende Kritik am heutigen Gesundheitswesen und der Übermacht der Pharmakonzerne.

Denn gesund ist unser Gesundheitssystem schon lange nicht mehr. Es wird zwar immer wieder über die steigenden Kosten des Gesundheitswesens diskutiert – aber selten bis nie wird über die Ursachen gesprochen. Mit der zunehmenden Überalterung unserer Gesellschaft haben sie nur bedingt zu tun. Aber mit dem, was man seit den 1970er Jahren so allgemein Gesundheitsreform genannt hat. Das Wichtigste, was man dabei abgeschafft hat, ist der selbstständige, selbstverantwortliche Arzt.

Durch die budgetierte Leistungsabrechnung wurde aus dem Menschen, der sich mit dem ganzen Patienten/der ganzen Patientin beschäftigen sollte, ein vom Leistungsdruck getriebener Punktesammler. Was die Leistungskataloge nicht definieren, kann nicht abgerechnet werden. Und die wirklich praxisnahen Fachleute kritisieren seit über 30 Jahren unermüdlich, dass das Allerwichtigste in der Arbeit von Ärztinnen und Ärzten (insbesondere Hausärzten) kaum berücksichtigt und praktisch nicht honoriert wird: das ausführliche Gespräch mit den Patienten und die eingehende Beratung.

Im Gegenteil, Ärztinnen und Ärzte, die damit “Zeit verplempern”, werden dafür auch noch bestraft – von ihren eigenen kassenärztlichen Vereinigungen. Ein Blick hinter die Kulissen macht schnell sichtbar, dass all die “Gesundheitsreformen” nicht nur die Position der Patienten geschwächt haben, sondern auch die der Ärzte.Sie stehen unter permanenter Kontrolle, können sich “humane Ausrutscher” eigentlich nicht leisten und verschreiben deshalb auch fast automatisch mehr Medikamente, als eigentlich sinnvoll sind. Es gibt ja für jedes Wehwehchen eins. Und wenn die Symptome unklar sind, gibt es eben noch ein Medikament obendrauf.

Was hat das mit diesem Buch zu tun? – Die Ausschaltung des Arztes/der Ärztin als Zuhörer und Berater öffnet den Herstellern von Wundermitteln aller Art Tür und Tor. Und das sind mittlerweile die großen Pharmariesen, die nicht nur ihre Vertreter regelmäßig auf Praxistour schicken, Kongresse veranstalten und Ärzte mit Geschenken beglücken. Sie nutzen die Freiräume auch, um immer neue Medikamente auf den Markt zu werfen, die menschliche Lebenszyklen, die nichts Krankhaftes an sich haben, zu Krankheiten hochstilisieren. Und wo eine Krankheit ist, braucht’s ein Medikament. Meist ist das Medikament schon da – es muss nur noch das öffentliche Gefühl erzeugt werden dafür, dass es auch ein Leiden gibt, das damit behandelt werden muss.

Das trifft ganz speziell auf die Hormontherapie zu. Das Thema wird in diesem Buch recht ausgiebig behandelt, weil Dr. phil. Sabine Hamm und Dr. Med. Ursula Meiners darüber regelrecht gestolpert sind. Die eine ist Soziologin, die andere Gynäkologin. Und wie es allen Frauen geht, kamen beide natürlich auch in die Lebensphase, die man landläufig Wechseljahre nennt, Klimakterium und Menopause. Das ist die Zeit, in der sich der weibliche Körper umstellt – von der gebärfähigen Zeit auf die Zeit, in der das Kinderkriegen keine Rolle mehr spielt. Da verändert sich der Hormonhaushalt im weiblichen Organismus. Das passiert nicht ohne Folgeerscheinungen – Schlafstörungen, Hitzewallungen, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen …

Ein völlig natürlicher Prozess. Der aber stört. Wie eigentlich alle natürlichen Prozesse des menschlichen Körpers in einer Gesellschaft stören, die auf permanente Einsatzbereitschaft und höchste Effizienz getrimmt ist. Andererseits werden Frauen nach wie vor deutlich älter als Männer und viele der Krankheiten, an denen Männer recht früh sterben, bekommen sie erst zehn oder mehr Jahre später. Mitte des letzten Jahrhunderts kam dafür die These auf, das könnte am Östrogen liegen. So lange der Östrogenspiegel der Frauen hoch sei, seien sie gegen all diese negativen Verschleißerscheinungen besser geschützt. Man brauche Frauen also nur eine entsprechende Hormontherapie angedeihen zu lassen, schon würde man Wunder bewirken – der weibliche Körper wäre auch im höheren Alter geschützt, behielte gar seine Weiblichkeit länger, die Frauen blieben länger hübsch für die Männer.Aus einem natürlichen Umstellungsprozess wurde auf einmal ein Manko. Deswegen hieß die Hormongabe anfangs auch Hormonersatztherapie. Und bis in die 1990er Jahre stieg der Anteil der Frauen, denen die Hormongaben verpasst wurden, rapide an. Bis erstmals vier groß angelegte Studien veröffentlicht wurden, die sich alle vier direkt oder indirekt mit den versprochenen positiven Folgen der Hormongaben beschäftigten. Alle vier Studien werden im Buch näher behandelt.

Diejenige, über die Hamm und Meiners stolperten und dabei regelrecht erschraken, war die “Woman’s Health Initiative” (WHI) von 2003, eine Studie, an der über 160.000 Frauen teilgenommen haben und deren beide Studienarme 2002 bzw. 2004 abgebrochen wurden, weil genau das passierte, was schon die beiden Vorgänger-Studien NHS und HERS gezeigt hatten: Statt die Risiken für Herzinfarkte, Thrombose und Schlaganfälle zu senken, wie die Werbung für die Hormontherapie eigentlich 40 Jahre lang behauptete, war die Auftretenswahrscheinlichkeit dieser Probleme bei Frauen mit Hormontherapie höher als bei Frauen in der Placebogruppe. Dasselbe gilt für Brustkrebserkrankungen und Lungenembolien.

Die Studie fand damals ein weit reichendes Echo. In Ländern wie Kanada ging die Zahl der Frauen, die eine Hormontherapie bekamen, um ein Drittel zurück. Das deutsche Gesundheitsministerium gab eine entsprechende Mitteilung heraus, doch so deutlich wie in Kanada sanken die Zahlen nicht. Wie so oft, fanden sich auch hier Vertreter der Gesundheitszunft, die die Ergebnisse der vier großen Studien negierten oder kleinredeten.

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Wechseljahre: Abschied und Neubeginn
Sabine Hamm; Ulrike Meiners, Buchverlag für die Frau 2013, 14,90 Euro

Als sich Hamm und Meiners vor fünf Jahren daran setzten, ein Buch über ihre Erfahrungen und ihren Umgang mit den Wechseljahren zu schreiben, stellten sie entsetzt fest, dass die Pharmakonzerne neue Strategien entwickelten, um die Hormontherapie nun für andere “Krankheitsbilder” und Lebensabschnitte als Wundermittel anzupreisen. Und viele Gynäkologen machten (wieder) mit. Das belegten dann entsprechende Umfragen von Krankenkassen.

Das Thema, mit dem sich die beiden Autorinnen beschäftigten, bekam also immer neue Facetten. Und mündete natürlich in die Frage: Wenn schon Ärzte und Ärztinnen dieses Spiel mitspielen, obwohl sie eigentlich über die negativen Folgen der Hormonspritzen Bescheid wissen müssten, warum lassen es dann Millionen Frauen mit sich machen? Warum sagen sie nicht einfach “Nein, mit mir nicht!”

Womit das Ganze auch zu einem gesellschaftlichen Thema wird und der Sicht von moderner Medizin auf die Frau als zu therapierendes Wesen.

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