Alle halbe Jahre erscheint im Poetenladen ein Magazin, das eigentlich ein Buch ist, eine kleine philosophische Auseinandersetzung und eine Spurensuche: Was geschieht gerade auf dem jungen deutschen Literaturmarkt? Wer macht auf sich aufmerksam? Wer arbeitet an welchem Projekt? - Und obwohl lauter bildhübsche junge Menschen im Foto erscheinen, käme hier nie einer auf die Idee, "Jungstars" zu küren oder "Fräuleinwunder".

Es ist – anders als das sich selbst so ernst nehmende deutsche Feuilleton von heute – tatsächlich ein ernsthaftes Projekt. So wie der Poetenladen sowieso, der sich die Auseinandersetzung und intensive Beschäftigung mit jungen Texten von Anfang an zur Aufgabe gemacht hat. Hier sprechen Profis mit Profis und auch Profis über Profis. Sie nehmen den Stoff, mit dem sie arbeiten, ernst. Dazu gehört auch eine ordentliche Analyse. Denn wer nicht weiß, was in Texten alles steckt, lernt niemals Schreiben. Schreiben groß geschrieben. Dass bei dieser Beschäftigung mit den Texten anderer meist auch wieder lesbare Texte entstehen, hat mit der Aufmerksamkeit zu tun, mit der junge Schreibende sich ihrem Stoff widmen.

So betrachtet, ist der “Poet” auch ein kleines Resümee der eigenen Arbeit. Manches, was schon online zu lesen war, erscheint halbjährlich in dieser 230-Seiten-Broschur noch einmal Schwarz auf Weiß. Mancher zeigt hier das Neueste aus seiner Werkstatt. Oder darf es zeigen, denn die Mannschaft um Herausgeber Andreas Heidtmann hat ihre Ansprüche.Die dann in jedem neuen “Poet” auch neu flankiert werden durch ein Thema, mit dem man Literatur aus neuer Perspektive zu diskutieren versucht. In diesem Heft, sinnfällig in Türkis eingebunden und wieder mit einer leicht hingezeichneten Grafik von Miriam Zedelius versehen , geht es um die Peripherie, die Randlage. So nebenbei auch um die Frage, ob Literatur erst dann wirklich knackig wird, wenn sie tatsächlich aus der Peripherie heraus entsteht. Ein uraltes literarisches Thema. Da könnte man ganze Bände mit füllen. Ist es nicht tatsächlich immer wieder die Provinz, die das Zentrum mit neuen Anregungen bereichert?

Und ist dann die vergessene oder gar beargwöhnte Provinz nicht andererseits wieder der vernachlässigte Raum? So wie die Lausitz und das Volk der Sorben, das in diesem Band thematisiert wird – mit Gedichten sorbischer Dichter genauso wie mit einer sehr engagierten Buchrezension von Elke Erb, in der sie den über 1.000 Jahre währenden rücksichtslosen Umgang mit den Sorben beleuchtet. Davor findet man sechs ausführliche Interviews mit Autoren, die selbst in einer Art Peripherie leben – sei es als deutscher Schriftsteller andalusischer Herkunft im Schwarzwald, als Autor aus dem Ruhrpott, der seine Randerfahrungen im deutschen Literaturgetriebe unter einem rumänischen Pseudonym auslebt und ausdiskutiert, sei es als Autorenduo, das in Aachen versucht, die Provinz aus ihrer literarischen Erstarrung zu befreien.

Davor gibt es von acht jungen deutschsprachigen Autoren Prosa zu lesen. Zum größten Teil Ausschnitte aus Büchern, die sie derzeit in Arbeit haben. Darunter dann auch erstaunlich Kurzes wie die “Polaroids” von Franziska Gerstenberg oder die “Geschichten vom Weggehen” von Sibylle Luithlen. Ein Blick also direkt in die Werkstatt. Vielleicht auch da und dort ein Gefühl dafür: Wird das ein Autor, eine Autorin, die das Herz bewegen? Denn darum geht es ja. Geschichten müssen das schaffen, sonst bleibt es nur geschriebener Text. Man lernt verschiedene Schreibarten und Welthaltungen kennen. Auch das gehört dazu.Auch die Abteilung davor ist Werkstatt: Hier fallen wirklich die Späne, denn Michael Braun und Michael Buselmeier nehmen zwölf Gedichte nach allen Regeln der Kunst auseinander. Nicht nur von jungen Autoren, sondern auch von solchen, die schon Sturmwinde durchgestanden haben – Christoph Meckel, Oskar Loerke und Günter Grass zu nennen. Wobei das ausgewählte Gedicht von Grass “Die Vorzüge der Windhühner” ein spätes und zwiespältiges Lob erfährt. Hier zeige Grass noch “die Leichtigkeit der frühen Jahre”, stellt Braun fest. Auch das kann schmerzen: Als Autor an sich selbst gemessen zu werden.

Die zwölf Dichter davor sind nicht kommentiert. Sie dürfen einfach zeigen, was sie haben. Vielleicht auch, was ihnen jetzt wichtig ist.

So kann man das Magazin natürlich auch von hinten nach vorn durchlesen. Mit Prosa anfangen und mit der Lyrik aufhören. Oder auch lesen, wie es einen gerade reizt. So wie ja auch Autoren schreiben, wie es ihnen gerade zukommt – über Indien oder die Schweiz. Von einigen der hier versammelten Autorinnen und Autoren wird man immer wieder hören, einige haben auch schon ein paar Lorbeerblätter abbekommen vom deutschen Lorbeerbaum, andere hadern mit dem Literaturbetrieb so wie er ist. Andere scheinen sich auch an der literarischen Peripherie ganz wohl zu fühlen und daraus sogar einen gewissen Stolz zu destillieren.

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Poet Nr. 15
Andreas Heidtmann; Kito Lorenc …, Poetenladen 2013, 9,80 Euro

Es ist ein recht authentischer Blick in die junge deutsche Literaturwerkstatt. Der nächste im Frühjahr wird wieder ein wenig anders sein. Das Magazin ist ein feiner Seismometer für das, was vor sich geht, ganz unten, da, wo noch an Texten gearbeitet wird, wo Manche und Mancher noch sucht nach dem richtigen Faden, der vielleicht mal ein Werk ergibt. Aber das weiß man ja am Anfang meistens nie. Trostreich für Einige die Feststellung von Artur Becker: Jeder Ort eignet sich für Dichtung. Wo die Mitte der Welt ist und wo die Peripherie, das bestimmt am Ende jeder selbst. Ob er nun mit dem ICE durch die Lande reist wie Becker. Oder in der Lausitz bleibt, weil das das Zentrum all dessen ist, was wichtig ist zu beschreiben.

www.poetenladen.de

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