Es ist ein engagiertes Projekt, das Küchenmeister Harald Saul da gestartet hat, als er begann, Geschichten und Rezepte aus verschiedenen Regionen Deutschlands zu sammeln. Er ist so eine Art Grimm-Bruder der lokalen Küche geworden. Offenen Ohres besucht er die Menschen, die ihm ihre Geschichten und Familienrezepte verraten wollen.

Verlagstechnisch ist das ganz gewiss ein Spagat, denn je kleiner der regionale Bezug eines solchen Buches ist, umso schwieriger ist es natürlich, das Buch dann in tragender Auflage zu bringen. Etwa wenn es um das thüringische Weida mit seinen knapp 7.300 Einwohnen geht. Schon bei der Lokalisierung wird es beschaulich: Das Städtchen liegt am Zusammenfluss von Auma und Weida im Landkreis Greiz, 12 Kilometer von Gera. Das wäre so, als würde Taucha ein eigenes Kochbuch herausbringen.
Aber Harald Saul hat sich Weida als Heimat ausgesucht. Er kennt die Leute und ihren Stolz auf ihr Fleckchen Erde. Das ist überall so. Aber was macht Weida berühmt? Vielleicht die Osterburg, einst Stammsitz der Vögte von Weida? Der Bergfried ist der älteste Teil der Burg und einer der höchsten erhaltenen Bergfriede in Deutschland. Mit Ostern hat die Burg eher wenig zu tun. Die Bezeichnung geht wie so oft auf die Himmelsrichtung die Lage des Gebietes zurück, das sie überwachte.

Aber wie bekommt so ein kleines Städtchen ein eigenes Gesicht? Die Weidaer haben sich aufs Kuchenbacken geworfen. Seit 20 Jahren organisieren sie einen Kuchenmarkt und wählen jedes Jahr eine neue Weidsche Kuchenfrau. Doch während andere Branchen eher hübsche Prinzessinnen suchen, die für Wein, Äpfel, Zwiebeln oder ähnliche Naturprodukte ein Jahr Werbung machen, ist in Weida jede Frau berechtigt, mit ihrer Backkunst um den Titel zu kämpfen. Auch jedes Jahr aufs Neue.

Trotzdem ist es kein reines Kuchenbuch geworden, denn Harald Saul geht den unterschiedlichsten Familiengeschichten nach – den Geschichten alter Bäckerdynastien, von Hotel- und Gaststätteninhabern, Heimatchronisten und Burgherren.

Burgherren mit Gänsefüßchen, denn adlige Herren hat Weida schon lange nicht mehr. Die Burg gehört heute der Stadt, oben freilich gibt es eine ordentliche Burg-Wirtschaft. Auch der Inhaber der Burg-Gastronomie verrät ein paar seiner Rezepte – Gebratene Ente zum Beispiel oder Fleischspieße. Es kommt eine fast komplette Thüringer Küche zusammen, wenn die Gesprächspartner von Harald Saul in ihre Familienkochbücher gucken lasen. Auch echte Kloßspezialisten gibt es, wie Walter Tröger, der für seine Gaststätte drei Mal den “Kloßvogt” erringen konnte.

Aber von Kochtradition erzählt auch das Leben von Elise und Margarethe Häßner, mit denen Saul über 100 Jahre zurückgeht, in eine Zeit, in der sich junge Frauen noch als Mägde und Köchinnen verdingten, bevor sie heirateten. Und das waren keine “Gelegenheitsjobs”, sondern hochqualifizierte Tätigkeiten, die in Weida in einer eigenen Kochschule ausgebildet wurden. Da lernten die jungen Frauen noch, wie man die Gaben der Natur haltbar macht. Fertigprodukte gab es ja nicht, Supermärkte schon gar nicht. Und so haben auch traditionelle Verfahren zur Herstellung von Pflaumenmus, Sauerkraut, Butter, Nudeln und Brot ins Buch gefunden. Die Küchenerkundung erweist sich einmal mehr als eine besondere Geschichtsschreibung, die Wirtschaftsmethoden und Lebenswelten vergangener Epochen sichtbar macht.

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Osterburg-Kochbuch
Harald Saul, Buchverlag für die Frau 2013, 12,90 Euro

Und wer in einem Buch mit “Historischem und Kulinarischem aus Weida und Umgebung” auch eine neue Fundgrube für besondere Rezepte aus Thüringen erwartet, der wird natürlich belohnt. Das Rezeptverzeichnis reicht von Alexandertorte bis Weidaer Zwiebelfleisch. Hasenbraten, Grüne Klöße und Lammsuppe mit Grünen Bohnen fehlen genauso wenig wie Rostbrätel und Soljanka. Die meisten Porträtierten haben dennoch Kuchen- und Tortenrezepte preisgegeben. Man ist ja nunmal in Thüringen, mitten im Kuchenland, mitten in Kuchenweide.

www.weida.de

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