Es ist den meisten Zeitgenossen gar nicht bewusst, dass all ihre hübschen technischen Spielgeräte nur funktionieren, weil darin eine Menge winziger kleiner Rechenoperationen ablaufen. Ob das beim Abrufen von Websites aus dem Internet ist, beim Versenden von Mails und SMS oder selbst bei der Steuerung des mit Elektronik vollgestopften Autos. Aber es geht nicht nur um die Freude beim Bedienen der Geräte.

Den meisten Konsumenten ist gar nicht mehr bewusst, dass der Siegeszug der Elektronik auch verbunden war mit einer Revolution im ingenieurtechnischen Denken. Die keineswegs zufällig in den 1970er Jahren begann im Windschatten der Ölkrise und dem auch für große Technik-Konzerne spürbar gewordenen Auftrieb der Preise für Energie und Rohstoffe. Seitdem haben auch Begriffe wie Effizienz und Optimum Eingang in die Wirtschaftswissenschaften gefunden – wenn auch bislang vor allem in die Betriebswirtschaft. In der Volkswirtschaft fehlen die Ansätze noch, weil dort seit rund 40 Jahren der Glaube an die Allmächtigkeit eines Gottes namens Markt regiert. Und Götter kritisiert man ja nicht und versucht schon gar nicht, sie zu regulieren oder gar zu optimieren.

Das Ergebnis ist ein Chaos der Spezialinteressen und der blinde Glaube an eine maximale Liberalisierung der Märkte, auch wenn dabei die Ressourcen verbraucht werden auf Teufel komm raus, die Infrastrukturen verschleißen, die Staaten in die Schuldenkrise stürzen und die wilde Hatz auch noch die sozialen Grundlagen der Staaten untergräbt.

Was hat das mit optimaler Steuerung zu tun? – Natürlich nichts. Wie gesagt: Das Basiswissen um notwendige optimale Steuerungen hat auf dieser Metaebene noch nicht einmal Fuß gefasst. Die Meldungen selbst der kompetentesten Wirtschaftsinstitute ähneln eher einem Stochern im Nebel als einer Erfassung der Makroprozesse.

Im Kleinen sieht es schon lange anders aus. Sächsische Maschinenbauer können das genauso gut erzählen wie Logistiker oder Autobauer. In den Maschinen stecken überall ausgeklügelte Steuerelemente, die nach Algorithmen arbeiten, die die Arbeitsprozesse so weit wie möglich optimieren und dabei alles minimieren, was irgend Zeit oder zusätzliches Geld kostet. Dass sich die drei Autoren an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zusammen getan haben, um diese “EAGLE-Starthilfe” zu schreiben, ist kein Zufall. Denn das hier ist praktische Mathematik, wie sie in den Unternehmen Mitteldeutschlands auch angewendet wird, also: angewandte Mathematik. So einen Lehrstuhl gibt es auch an der HTWK Leipzig. Noch, muss man sagen. Glücklicherweise, darf man sagen. Den durch die Unfähigkeit zur optimalen Steuerung im zuständigen Sächsischen Wissenschaftsministerium war der Lehrstuhl schon einmal bedroht.
Was natürlich aufs nächste Feld verweist, wo man eigentlich nach 40 Jahren Praxis optimierte Steuerungsprozesse erwarten dürfte – in der Bundes- und Landespolitik. Mindestens. Es geht um einsetzbare Ressourcen, es geht um genau definierbare Zielkorridore, es geht um Input und Output – eigentlich das, was die regelmäßigen “Rankings” der Initiative für Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) versuchen zu messen und zu bewerten. Die sächsischen Minister jubeln dann jedes Mal – aber ihre Arbeitspraxis zeigt, dass sie noch nicht einmal begriffen haben, worum es dabei geht.

Klar: In diesem Buch geht es auch nicht darum. Es wird noch dauern, bis mathematische Ansätze zur Lösung von Optimierungsproblemen in andere Wissenschaftsbereiche etwa aus dem Feld der Politik- und Verwaltungswissenschaften übergreifen. Wahrscheinlich erst dann, wenn junge Verwaltungswissenschaftler begreifen, wie “cool” Mathematik sein kann und wie “smart” und wirksam mathematische Optimierungsmodelle. Vielleicht sollten die angehenden Absolventen aus den Politikwissenschaften einfach mal den Weg hinüber suchen in den Forschungs- und Lehrbereich für angewandte Mathematik, wahlweise die Vorlesungen von Prof. Dr. Walter Alt mit seinen Forschungsschwerpunkten Nichtlineare Optimierung und Optimale Steuerung.

Vielleicht treffen sie da auch Christopher Schneider, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität, und Martin Seydenschwanz, Promotionsstudent am gleichen Ort. In der von ihnen zusammengestellten “Starthilfe” findet man ein paar exemplarische Beispiele, wo man welche Rechenverfahren zur Herstellung einer optimalen Steuerung anwenden kann – und auch heute schon anwendet. Das reicht von der Steuerung eines Magnetkrans in einer Gießerei über die spritsparende Steuerung eines Raketenautos bis hin zur Optimierung und Minimierung von Lagerbeständen.

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Die drei erläutern die dazu verfügbaren numerischen Verfahren, die möglichen Lösungsansätze und die dabei auftretenden Lösungsprobleme. Denn nicht jede Lösung eignet sich für jeden Zweck, zusätzliche Rahmenbedingungen können dafür sorgen, dass sich der Zielkorridor verengt oder sogar verschiebt. Natürlich geht es in der “Starthilfe” vor allem darum, dass angehende Ingenieure lernen, mit den Rechenverfahren umzugehen und auch in Spezialfällen ein geeignetes Lösungsverfahren zu finden, das ihnen hilft, die Zielparameter zu bestimmen und daraus folgend die Formeln, wie ein Prozess mit diesen Zielvorgaben programmiert werden kann. Kann, nicht muss. Denn zuweilen stellt sich dann in der Lösungsdiskussion erst heraus, dass noch wichtige Rahmendaten eingetragen werden müssen und es eine einzige eindeutige Lösung nicht gibt.

Immerhin müssen die Prozessoren ja dann in der Maschine praktisch von selbst jederzeit so steuern, dass die Zielvorgaben eingehalten werden. Etwa beim Magnetkran, der auf Schienen hin und her fährt – aber um Zeit und Energie zu sparen, darf weder das Pendeln des Magneten noch das abrupte Anfahren und Stoppen die Kurven ausschlagen lassen. Selbst Lösungen, die man in den vergangenen Jahrzehnten gern angewendet hat, etwa die Bang-Bang-Steuerungen, erlauben in der Regel kein wirkliches Optimum. Bang-Bang-Steuerung heißt schlicht: Der Apparat hat zwei einprogrammierte “Schranken”, zwischen denen die Steuerung hin und her schaltet, bis das gewünschte Ergebnis erreicht wird.

Irgendwie scheinen sächsische Politiker so zu denken – nach dem schuldenintensiven Aufholprozess in den 1990er Jahren hat man jetzt aufs Null-Schulden-Prinzip umgeschaltet und wird den Staatsapparat so lange auf Kürzung fahren, bis irgendwo eine Sirene laut genug heult und man wieder umschaltet. Das ist dann ein Apparat, der immer zwischen den Extremen hin und her fuhrwerkt (Bang-Bang) und nie sein Optimum erreicht.

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EAGLE Starthilfe. Optimale Steuerung
Walter Alt, Christopher Schneider, Martin Seydenschwanz, Edition am Gutenbergplatz 2013, 14,50 Euro

Natürlich kann man diese “Starthilfe” keinem Politiker in die Hand drücken. Die wären von den vielen Formeln, Lösungswegen und Problemdiskussionen in mathematischen Formeln schlicht überfordert. Aber das Denken, das dahinter steckt, gehört endlich auch in die Staatswissenschaft. Moderne Staaten, die mit einer zunehmenden Knappheit an Ressourcen zu tun haben, brauchen auch Verwaltungen, die in der Lage sind, ihre Steuerungsprozesse zu optimieren.

Das ist der Punkt, an dem sich Ingenieurwissenschaft und Nachhaltigkeit begegnen könnten. Wenn denn der politische Mut zum mathematischen Denken geweckt werden könnte.

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