Ihren Katalog dürfen die LVZ-Kunstpreisträger selbst gestalten. So wird auch dieser auf seine Weise jedes Mal ein Unikat. Ein spielerischer Versuch, Text, Bild und Vita neu zu kombinieren. Das fertige Buch verrät auch ein wenig über den Preisträger und seine Sicht auf die Welt. In diesem Fall: einen philosophischen Künstler.

Und das wieder verrät so einiges über die Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) und ihre Lehrer. Die auch dann, wenn sie nicht mehr in der Tradition der “Leipziger Schule” stehen, wie Sebastian Nebes Meisterlehrerin Astrid Klein, zumindest eines schaffen: Ihre Schüler zu ermutigen, nicht dem Epigonentum zu verfallen. Was nicht leicht ist. Es ist so verlockend in einer Zeit, wo “der Markt” bestimmt, was verkäuflich ist, sich einfach an das Gängige und Gefragte anzuhängen, zu liefern, was eventuell schwerreiche Sammler in Bayern oder Übersee gerade bevorzugen, quasi auf Bestellung zu arbeiten. Auch diese jungen Künstler gibt es, die sich dann einfach ins Fahrwasser eines gefragten Stilmusters hängen – und sich selbst verlieren.

Wenn sie sich denn schon gefunden haben. Denn neben dem ganzen technischen Handwerkszeug, das an Kunsthochschulen vermittelt wird, ist das eigentlich zu Lernende etwas ganz anderes, worüber auch die üblichen Kunstkritiker und -wissenschaftler selten bis nie reden: die unverwechselbar eigene Sprache. Nicht zu verwechseln mit “Stil”. Der ist nur noch Folge. Aber nicht ohne Grund stehen sich in Leipzig Literaturinstitut und Kunsthochschule vis-à-vis gegenüber. In beiden Häusern geht es um diese zumeist nicht einfache Suche, die eine Art Selbstständig-Werden ist, ein Selber-Laufen-Lernen. Ohne Lehrer. Selbst gegen die verbiesterten Interpretationsmuster der Kritik. Das muss man aushalten. Die meisten halten es nicht aus. Das kann jeder, der auch die Ausstellungen der HGB besucht, immer wieder sehen. Es dominieren zwar nicht die Epigonen. Das traut sich kaum einer mehr, sich derart nackt in die Tradition einer Schule oder eines Meisters zu stellen. Dafür dominieren die Spaßmacher, die Effekt-Künstler, die den Zuspruch des Publikums auf jeden Fall bekommen. Man sieht ja sofort, was da einer will, dass einer aus dem Rahmen fällt. Frappierend. Und selten nachhaltig.Diese Gratwanderung zwischen Meisterschaft und dem wirklich unverwechselbar Eigenen, die schaffen nur wenige. Aber es gibt sie. Und es sieht auch ganz danach aus, dass der 1982 in Blankenburg am Harz geborene Sebastian Nebe dazu gehört. Und dass er zumindest so ein Gespür dafür hat, was ihn da antreibt und weiter treibt. Auch in Bildwelten, die den Betrachter verstören, wie seine 2013 gemalten fünf großformatigen Papierbilder “Stille”, die wie detailgenau abgemalte Flächen von Waschbeton aussehen, diese Anmutung auch haben sollen, auch wenn es Nebe dabei um eine fast kontemplative Auseinandersetzung mit dem Thema Großstadt und dem Erlebnis der gebauten Umwelt geht.

Dabei ist der Kontrast zumindest im Katalog sichtbar. Im Gespräch mit Jürgen Kleindienst thematisiert es Nebe. Dieses Gespräch hat er deshalb auch groß mit in den Katalog gesetzt. “Der Wald als Bühne” heißt es und geht auf Nebes Herkunft aus einer Landschaft direkt am Harz ein, auf sein Bild von Wald, die Spannung zwischen Romantik, Meditation und Bedrohung. Denn letzteres wird Wald in seinen Bildern oft. Er benennt bewusst diese tagelang an ihren romantischen Landschaftsbildern malenden Künstler der Romantik, die nicht nur Vorläufer und Antipoden seiner eigenen Waldbilder sind. Sie haben ja auch ein Thema aufgetan, das die moderne Gesellschaft seither begleitet – von Sigmund Freud in seiner Schrift “Das Unbehagen in der Kultur” 1930 thematisiert.

Denn mit der zunehmenden Urbanisierung und Technisierung der menschlichen Welt, verändert sich auch das menschliche Verhältnis zur Wildnis, zur verbliebenen Natur, die längst keine “unberührte” mehr ist. Oft ist sie Ersatzraum, Fluchtraum, Gegenbild zur versteinten Stadt. Aber die romantische Einsamkeit endet in der Regel ziemlich schnell, wenn der Ausflügler oder Stadtflüchter im scheinbar Unberührten auf Spuren und Artefakte anderer Waldbesucher stößt. Dadurch, so Nebe, verliert auch der heimelige Wald seine Ungestörtheit. Auf einmal ist ein störendes, wenn nicht gar bedrohliches Element da.Das gestaltet Nebe seit Jahren Bild um Bild, auch wenn die Artefakte wechseln. Er hat dem Katalog einen Index beigegeben, in dem seine Arbeiten seit 2005 in chronologischer Reihenfolge abgebildet sind. Anfangs noch fast vorsichtig tastend – Bungalow, Liegestuhl, Sitzkissen und Wasserflasche und die auf ein Rascheln lauschende Freundin erzählen noch von der eigenen Begegnung mit diesem Rand der Zivilisation, halb Urlaub, halb Expedition, Begegnung mit dem scheinbar Wilden. Jahr um Jahr fächern sich die Bildmomente auf, sieht man, wie Nebe sein eigenes Bild von Wald entwickelt, aus dem er die menschlichen Artefakte auch herausnimmt, nur die zum Teil verletzten, gestressten Wälder zeigt, abgestuft in farbliche Tiefen, die er dadurch erzeugt, dass er seine Bilder in Öl auf Papier malt, vom hellsten Ton langsam aufschichtend bis zum Schwarz, das den Vordergrund dominiert und den Bildern erst ihre bedrückende Dichte gibt.

Man sieht Nebe mit den Bauten experimentieren, die Menschen in diesen Wald hineingesetzt haben – alte Ferienlager, Bungalows, Berghütten. Einiges davon schon sichtlich Verfall und Zerstörung preisgegeben, weil die Urlauberströme ausgeblieben sind. Die Schichten der Zerstörung scheinen sich wieder zu überlappen. Fenster und Türen scheinen wieder Ziel von Menschen gewesen zu sein, die mit Gewalt eingedrungen sind. Doch ihnen folgen schon wieder Blätter und Äste. Holt sich der Wald seinen Platz zurück? Aufgerissene Tore im roten Morgenlicht wechseln mit rot glühenden Einblicken in steinige Waldlandschaften ab. Man merkt, wie sehr dieser Wald für den Maler aufgeladen ist mit Symbolik, die eben nicht in süßliche Romantik abgleitet. Der Wald erscheint oft im Zustand des Übergangs, nackt im kargen Winterlicht, da und dort noch Fetzen Schnee. Und da und dort tauchen unter dem Schnee die störenden Spuren der Menschen auf – ganz frappierend von Nebe nun im großen Vierteiler “Der neue Morgen” gestaltet mit einer blauen Autokarosse mitten im Wald.

Die jüngeren Arbeiten sind im Mittelteil des Katalogs alle noch etwas größer dargestellt. Einige davon – wie “Der neue Morgen” – auch zum Aufklappen, so dass der Betrachter einen kleinen Eindruck bekommen kann von der Wucht des Bildes. Die ganze Wucht ist ja in der Personalausstellung im Museum der bildenden Künste derzeit zu sehen. Für jeden, der die Heimeligkeit der romantischen Waldperspektive liebt, natürlich nicht auszuhalten. Das hier ist eine andere Sicht auf Wald und Welt. Der wilde Ort erzählt auch vom eigenen Fremdsein in einer Welt, die nicht wirklich Raum lässt für Geborgensein.

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Die Verstörung bringen wir selber mit, wenn wir unsere Utensilien “ins Grüne” schleppen. In der Ausstellung markiert durch das schwarze Gerüst eines Liegestuhls, der gleich im ersten Raum aufgestellt ist unter den Bildern mit den lädierten Außen- und Innensichten eines Bungalows. Wer hat denn hier gehaust, möchte man fragen. Und weiß es eigentlich. Auch wenn es immer “die anderen” sind, die keinen Ort verschonen oder gar “in Frieden” lassen können. Der Unfriede steckt in uns. Jedes Bild, das Nebe in seiner konzentrierten, detailgenauen Art malt, ist ein Spiegel für den von Unrast und Unbehagen getriebenen Bürger der Neuzeit, für den auch der Wald nichts anderes ist als ein Ort des Ungeborgenseins.

Das ist nicht gemütlich zu betrachten. Aber vielleicht sieht auch nur einer diese (Ver-)Störung so genau, der genau an dieser Grenze aufgewachsen ist, am Rand von Wald und Nutzwelt, von sauber gefegten Straßen und vermüllter Natur. Einer, der noch etwas anfangen kann mit einem Wort wie “Stille”, die es in der Großstadt längst nicht mehr gibt. Und der “Stille” dann ausgerechnet mit Waschbeton-Strukturen assoziiert. Die blau getönte Fläche als beruhigender Blickpunkt in einer Welt, in der auch die Farben und Signale schreien. Eine Welt völlig im Widerspruch mit sich selbst. Und jeder neue Morgen ein neues Verblüfftsein darüber, dass niemand die verstörenden Zeichen weggeräumt hat.

Sebastian Nebe “Der neue Morgen”, Zweitausendeins, Leipzig 2013, 19,50 Euro

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