Das Cover ziert zwar ein Bild der Schlacht bei Hanau, die am 30. und 31. Oktober stattfand und für Napoleons Truppen genauso verlorenging wie die Schlacht bei Leipzig. Aber die in Cottbus lebende und schreibende Franziska Steinhauer hat sich Leipzig als Hintergrund ihrer Geschichte um eine blutige Mordserie ausgewählt. Quasi eine Mordserie inmitten des sich anbahnenden Völkerschlachtens.

Seit Noah Gordon seinen Medicus auf Abenteuer schickte, drängen sich im Buchregal allerlei Medicüsse und ihre Ableger. Aber so mittelalterlich geht es bei Franziska Steinhauer nicht zu. Ihr Medicus Peter Prätorius ist tatsächlich praktizierender Arzt, sogar mit Doktortitel. Nur hält er sich nicht so ganz an die üblichen Methoden seiner Berufskollegen, die in seiner Zeit durchaus noch recht lebensgefährlich waren. Er gehört eher zur Spezies der forschenden Mediziner, die die Medizin im Lauf des 19. Jahrhunderts tatsächlich zu einer modernen Wissenschaft machten.

Das Jahr 1813 liegt da in einer gewissen Zwischenzone. Die Leipziger konnten ja gerade wieder in der Sonderausstellung zur Völkerschlacht (“Helden nach Maß”) sehen, wie rudimentär damals in der Heeresversorgung Vieles noch war. Manches war für seine Zeit modern – etwa das Lazarettwesen der Franzosen. Aber einer Schlacht mit über 500.000 Beteiligten und über 100.000 Verletzten war es auch nicht gewachsen.
Franziska Steinhauer lässt ihren historischen Kriminalroman direkt im Vorfeld der Schlacht spielen, ändert da und dort ein paar Details, um ihren Roman nicht ganz so abhängig zu machen von den historischen Ereignissen und da und dort auch noch eine gewisse zusätzliche Dramatik zu schaffen. Etwa wenn sie ihren Helden zum Retter eines lebensgefährlich verletzten Kaisers der Franzosen macht, der gerade vor der entscheidenden Schlacht auszufallen droht. Dabei lernt Prätorius auch einen rücksichtslosen Burschen namens de Carant kennen, der durchaus das Zeug hat, jene Bestie zu sein, die seit Tagen im Leipziger Umfeld ihr Unwesen treibt und hübsche junge Mädchen zerfleischt.

In der Stadt kochen die Gerüchte. Auch wenn es nicht ganz das Leipzig zu sein scheint, wie man es aus den historischen Berichten kennt. Eher eine Art Dorf-Leipzig, in dem ein paar wilde Beschuldigungen reichen, um die aufgeregten Bürger zur wilden Schar zu machen, die den nächstbesten Beschuldigten an den Galgen bringen will. Die Untaten sind schlimm genug und so grausam, dass die Leute durchaus Grund zum Spekulieren haben. Ist es ein wildes Tier, das da an der Parthe lauert? Oder ist es ein kranker Mitmensch, der sich an den jungen Frauen vergreift? Und wie gefährdet ist dann gar Eleonore, die junge Frau, um deren Hand Prätorius anhält?

Alles Dinge, die den Leser durchaus beschäftigen dürfen, erst recht, als sich die Geschehnisse zu drängen beginnen: Der Kaiser wird für die Schlacht gebraucht, da muss er wieder auf zwei Beinen stehen. In der Stadt und in den Feldlagern grassieren die ersten Epidemien. Die notdürftig eingerichteten Lazarette Leipzigs sind schon überfüllt, das Sterben hat schon begonnen, bevor Murat überhaupt sein großes Reitergefecht im Süden Leipzigs gestartet hat. Die Wege und Felder sind nach wochenlangem Dauerregen eine einzige Schlammwüste. Umso erstaunlicher, dass die wilde Bestie keine Spuren hinterlässt, dafür elegante Briefe schreibt. Und nicht nur Prätorius’ Medizinerwerkstatt lernt man kennen, auch die etwas seltsamen Haushalte einiger reicher Leipziger Familien, in denen durchaus skurrile Gestalten herumlaufen. Welche Rolle spielen die nun in dieser Geschichte, die die braven Leipziger in Atem hält, während doch die größte Schlacht der Neuzeit sich vor den Stadtmauern zusammenbraut?

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Die Stunde des MedicusFranziska Steinhauer, Gmeiner Verlag 2014, 12,99 Euro

Der Roman changiert auf diese Weise zwischen historischem Arztroman, Krimi und auch ein wenig Mantel-und-Degen-Genre. Aus Letzterem stammen dann die von Dramatik bestimmten Rettungsszenen am Ende, die ganz beiläufig auch noch zur Entlarvung der Bestie führen. Für all die Liebhaber solcher romanhaften Romane also schon mal die Beruhigungspille: Es geht natürlich gut aus.

Außer für Napoleon, wie ja alle wissen. Und außer dass jetzt wohl in die Geschichtsbücher auch noch die Nachricht gehört, dass erst Peter Prätorius Blücher auf den Gedanken brachte, ohne viel Federlesens auf die französischen Truppen im Norden Leipzigs einzuhauen. Es kommen auch drei betrübte Sachsen drin vor, die zum falschen Zeitpunkt in der falschen Armee gelandet sind und in schönstem Lamento beschreiben, wie sie demnächst in der vordersten Front zusammengeschossen werden, während ihr König in der Welt herumgeistert und doch keinen Seitenwechsel mehr hinbekommt.

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