Manchmal erfährt man beim Lesen diverser Bücher so ein Glücksgefühl, dass man nicht in Schaumburg-Lippe, Bielefeld oder Werther/Westfalen leben muss. So wie Jürgen Buchmann, Philosoph und Schriftsteller, der seinen Ruhestand dazu nutzt, auch seine selbstgewählte Heimat ein wenig auf die literarische Schippe zu nehmen. Und den Leser gleich mit. Denn das Spiel mit literarischen Stilen macht ihm Spaß.

Er kennt seine Pappenheimer und seine schreibenden Professorenkollegen. Er kennt die idealtypischen deutschen Preisträgerbücher und deren Konstruktionsmechanismen. Die zum Beispiel so lauten: Man nehme einen etwas überreifen Junggesellen, der noch in einem Alter die Vollversorgung bei Mama zu Hause genießt, in dem andere Leute schon ihre Enkel bekommen.

Man nehme eine bärbeißige unnahbare Dame jüngeren Datums, die durch Detmold spaziert, als wäre sie die Prinzessin von Theben. Man könnte ja eine Obsession entwickeln. Und auf sehr verklemmte Art tut es Dr. Helmut Timmermanns, Leiter des Museums für das Fürstentum Detmold, in diesem Buch auch. Es könnte also eine dieser grausamen Geschichten einer Obsession werden, die den Leser in die Abgründe des Unaussprechlichen führen.

Aber Buchmann warnt sein Publikum schon einmal: Derlei Geschichten, in denen sich Held und Heldin am Ende bekommen, gibt es zuhauf. Es ist an der Zeit, mal wieder eine Geschichte zu schreiben über eine Begegnung, die nicht passiert. Auch mal zur Entspannung für all die Verzweifelten, die tatsächlich glauben, die Eroberung der kapriziösen Schönen müsse einfach klappen. Als wäre das ein Naturgesetz. Ist es aber nicht. Auch wenn die Gene und Hormone und die falschen literarischen Vorbilder etwas anderes sagen. Egal, ob die Kapriziösen nun Helena, Julia oder Claudia Desmoulins heißen.

Das könnte trotzdem ein abenteuerlicher Erzählstrang werden. Er ist überfällig. Viel zu viel wurde schon geschwärmt und angehimmelt, wenn es um die Eroberung diverser Annas und Esmeraldas ging, in denen vernarrte Herren jeglichen Alters die Erfüllung ihrer Träume sahen. Die deutsche Literatur ist immer noch voll davon, obwohl es die aufgeklärteren jüngeren Generationen eigentlich besser wissen müssten. Aber es ist beim begehrten Weibe wie mit der angehimmelten Landschaft: Man kriegt sich nicht wieder ein.In diesem von Buchmann geschilderten Detmold spukt auch noch eine andere romantische Schwärmerei der Deutschen: die um den berühmten Arminius alias Herrmann, den Cherusker, dessen Denkmal, 26,57 Meter hoch, seit 1875 auf der Grotenburg steht, einem Hügel im Südosten des Teutoburger Waldes. Wahrscheinlich völlig an der falschen Stelle. Was ja 2009 wieder einmal ein weltbewegendes Thema war, als der 2.000 Jahrestag der Varusschlacht begangen wurde und in Detmold und Umgebung Cherusker-Eis die Touristen begeistern sollte.

Nur dass in Buchmanns Geschichte dieser große Herrmann, den Ernst von Bandel vor 160 Jahren aus Eisenrohr und Kupferplatten zusammen bastelte, verschwunden ist. Sehr zum Schrecken der örtlichen Honoratioren: Wie kann man das Jubiläum feiern ohne den Herrmann? – Ein gut Teil der Geschichte beschäftigt sich also auch mit der etwas unorganisierten Suche nach Herrmann und einigen recht innigen Einblicken in die Fahndungsarbeit der Polizei, die gern mal schon diverse Verdächtige kürt – darunter auch die allgegenwärtigen Taliban. Oder war es Al Quaida? – Ist auch egal. Es ist ein Sittenbild, das so beklemmend wie vertraut ist, ein kleiner, freundlicher Besuch in der deutschen Provinz. Da kann auch ganz arglos ein Engel mit blauen Augen vorüberschweben.

Ein Phantasie-Element, wie man es in neuen deutschen Professorenroman auch gern findet. Wenn das Nest selbst keine Aufregung bietet, findet sich irgendwo immer ein altes Gewisper, irgendeine Schatzsage oder eben das Angeheimeltsein von ganz vergangener Geschichte, die man sich dann irgendwie zu einer Identität zusammenbastelt. Und wenn dann der Herbst herannaht, zieht man wie zu Bardels Zeiten festlich gekleidet hinaus auf den Hügel, um die große schöne Geschichte anzusingen.

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Die peinliche Affäre auf der Grotenburg
Jürgen Buchmann, Reinecke & Voß 2014, 8,00 Euro

Aber im Gegensatz zu den schwermütigen Romanen aus der deutschen Provinz, in denen das Unausgegorene schwer über der Landschaft wabert, geht’s bei Buchmann kurzweilig und launig geschrieben zur Sache. Am Ende ist auch Herrmann wieder da, die Schüler haben umsonst ihre falsche Rechtschreibung bemüht. Und Dr. Timmermanns darf erfahren, wovon Fräulein Desmoulins träumt. Wenn sie überhaupt träumt und nicht nur selbst wieder eine dieser Rollen spielt, die sie in einem dieser Schmöker oder deren Verfilmungen im Öffentlich-Rechtlichen gefunden hat. Es ist schon erstaunlich, wie sehr Menschen ihr Leben zum Rollenspiel machen und dann glauben, die Rollen würden genauso funktionieren wie im romantischen Drama.

Ach, Herrmann!

Ach, Claudia!

Die zweite Schöne in diesem Buch ist übrigens keineswegs kapriziös, nur gut erzogen. Aber die wird einen anderen heiraten, nicht den verklemmten Herrn Dr. Timmermanns.

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