Kurzballaden nennt Wolfgang Börner seine spitzzüngigen kurzen Gedichte, in denen er sich "tierisch über die vielen Ungereimtheiten in dieser Welt aufregt". Ein neue Genre? Oder doch nicht? - Wer ein bisschen blättert in der schönen deutschen Literatur wird bestechende Vorbilder finden: Gotthold Ephraim Lessing zum Beispiel, Wilhelm Busch und Christian Morgenstern.

Alles Spaßvögel vor dem Herrn, die wussten, wie man mit ein paar sauber gesetzten Worten die Menschen da ertappt, wo sie nicht gern ertappt werden wollen. Die Verwandtschaft zur Fabel ist unübersehbar. Und wer Krylow kennt, weiß, dass man auch den Weg über die metrisch durchkomponierte Fabel nehmen kann. Das Muster ist dasselbe, nur dass moderne Autoren seit Lessing nicht mehr davon ausgehen, dass die Leute, die gemeint sind, auch noch lesen und sich gar ertappt fühlen. Oder sich gar bessern, weil sie die Moral begriffen haben. Es gibt eine Menge Leute, für die ist Moral eine Auslegware. Und sie wenden das Stöffchen, bis es so aussieht als ob – bis Steuerbetrüger wie Wohltäter aussehen, Diebe wie Geschenkebringer, Lügner wie wie Ehrenmänner …

Und dass man sie nicht beim Namen nennen durfte, das wusste auch schon Francois Villon. Sie sind ein bisschen rachsüchtig und haben in der Regel die besseren Kontakte zur Polizei, zu einem Anwalt und zum Scharfrichter. Sind eben Ehrenmänner. Und weil das so ist, hat eine ganze große Literatur seit Aisopos die Fabel erfunden, in der die Gemeinten sich wiederfinden als Affen und Schweine, Schakale und Schlangen, Faultiere, Kamele und Esel.Wird’s auch bei Wolfgang Börner so scharf? – Nicht ganz. Dem einstigen Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter war es wichtiger zu zeigen, dass das Tier und das Tierische unser aller Eigen ist. Niemand ist frei davon. Und es macht Spaß, mit Börner einfach mal ein wenig aus unserer ernsthaften Haut zu treten und auf tierisch treffende Weise gezeigt zu bekommen, wie sehr wir doch selber irren, taumeln, fehltreten. Börner hat daraus wirklich kurze, spritzige und sauber gereimte Texte gemacht, an denen schon die Überschriften Freude bereiten. Die erinnern ein wenig an Brecht und seine Liebe zur Moritat. “Die Ballade von den vermarktbaren Talenten” heißt eine, in der Ente und Klapperschlange um ihre Jobs nicht fürchten müssen. “Die Ballade vom Rollentausch” bringt die Antilope in Entscheidungszwang.

So ein klein wenig politisch darf es schon sein. Nicht übertrieben. Börner holt seine Tiere im Alltag ab, dort, wo sich alles vermischt: die Sperlingssicht auf die Politik, die Lammsicht auf die Wölfe, die Ameisensicht auf’s Mitgenommenwerden. Womit Börner bei Ringelnatz ist, noch so einem Tierversteher unter den deutschen Philosophen. Aus tierischer Sicht sind die Dinge sichtlich einfacher. Es heißt Hü oder Hott. Da steht man zwar wie ein Ochs vorm neuen Tor. Aber wer sagt denn, dass das Volk klüger sein muss als seine Herren? – Na gut, Brecht hat so etwas angedeutet. Aber nur sehr vorsichtig, weil er sehr wohl wusste, dass die herrschende Klasse sehr unverständig reagieren kann, wenn man ihr sagt, dass sie doch eigentlich nur der Esel in der Mühle sei.

Und der hält ja bekanntlich besser das Maul – wie in “Die Ballade von der eingeschränkten Redefreiheit”.

Helmut Meyer, dereinst Pressezeichner für die”Freie Presse”, hat jede einzelne Ballade mit einem humorvollen Bild illustriert, in denen sich der Mensch aufs Innigste und Sinnigste wiederfindet. Als burnout-bedrohtes Faultier oder – als durchaus moralisches Wesen in tierischer Ehrlichkeit. Wie in “Die Ballade vom animalischen Ethos”. Es ist so simpel. “Das Schwein, obwohl es recht verrucht, / beging nie eine Steuerflucht”, beginnt die Ballade. Die diesmal etwas länger ist, weil auch noch Hasen, Hunde und Haie zeigen sollen, was für ein moralisches Kaliber sie sind – verglichen mit dem gewöhnlichen Menschen.

Oder wer erkennt sein eigenes Städtchen nicht wieder, wenn Wolfgang Börner in “Die Ballade von der ungesühnten Beleidigung” beginnt: “Der Pfau, als arrogant bekannt, / hat einst die Pute dumm genannt …”?

Da hat einer ganz sichtlich enorme Freude daran, die liebe Mitwelt so zu nehmen, wie sie ihm täglich begegnet – in der üblichen Nachbarschaft oder in den üblichen Kamellen aus Medien, Politik und dem, was einige Wirtschaft nennen. Auch die Lust am Spiel mit den Worten und Tiernamen lässt er durchblicken. Und weiter hinten im Buch, wo er sich richtig frech und frei geschrieben hat, da verwandeln sich einige seiner Kurzballaden auch schon mal in Anagramme und Limericks.

Auf Seite 184 gibt es dann auch aus immer aktuellem Anlass “Die Ballade von der zoologischen Demokratie”, in der man erfährt, warum Löwen und Krokodile sich nicht wundern sollten, wenn bei der Wahl ausgerechnet der Regenwurm gewinnt.

Der Blick auf’s liebe Vieh zeigt zumindest eines: Dass wir uns in all den Tieren, die Börner aufspazieren lässt, zu gutem Recht wiedererkennen dürfen. Wir sind nicht besser. Und irgendwo finden wir uns alle in diesem bunten Gewimmel vertreten – als blinder Maulwurf, als Schaf, Mops oder verwirrte Beutelratte, gesegnet mit aller Tage Plagen und Verwirrungen und Begegnungen der tierischsten Art, die einen durchaus auf die Idee kommen lassen: Werde ich jetzt zum reißenden Tiger oder schreibe ich lieber eine Kurzballade? Und noch eine und noch eine. Nunmehr ja wissend, dass der Torheiten unendlich viele sind. Und fast für jede gibt’s ein Tier, das wir dafür ärgern können. Ersatz- und ablenkungsweise. Denn Menschen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, das ist auch weiterhin gefährlich. Tierisch gefährlich.

“Gemischte Fauna”, Wolfgang Börner, Lychatz Verlag 2014, 19,95 Euro

http://lychatz.com

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