Im modernen Buchmarkt ist (fast) alles möglich. Ein Online-Gigant kann Verlagen die Bedingungen diktieren, Autoren können alles im Selbstverlag herausgeben, Bücher können ganz und gar digital erscheinen. Und Autoren müssen nicht einmal von großen Auflagen träumen, wenn sie ihr Feierabendwerk gedruckt sehen wollen. Da Ergebnis ist dann manchmal sogar ein forsches Spiel mit Stereotypen oder gar gleich einem wilden Genre wie der Pulp Fiction.

Bestimmt hat Paul Hofmans vorher im Wörterbuch nachgeschaut, was das wirklich heißt. Aber es sieht ganz so aus, dass er es weiß. Paul Hofmans ist Niederländer, lebt in Rotterdam, schreibt er in seinem kleinen Vorwort, und er betont, das er Deutschland liebt, die klassische Musik und Science Fiction. Geht eigentlich nicht zusammen. Aber wer bei Science Fiction das Science weglässt und durch Pulp ersetzt, muss sich um Regeln oder Geschmäcker keine Sorgen mehr machen. Das Genre lebt vom wilden Draufloserzählen, von den unzumutbarsten Plots und unlogischen Sprüngen. Hauptsache, es gibt Action, es gibt schreckliche böse Aliens, fesche Mädchen, wackere Helden und am Ende eine Lösung wie aus den Comics der Superman-Ära. Es muss knallen, scheppern, ächzen. Im Grunde müssen solche Geschichten so geschrieben sein, dass man sie mit dicken bunten Sprechblasen, Explosionswolken, zischenden Raketen und Worten wie Ploff, Boing, Peng illustrieren könnte. So gesehen, ist das Cover recht brav. Die Heldin – eine Musiklehrerin aus Frankfurt – ist es auch. Wäre sie nicht an einem dieser schrecklichen Unwettertage, an denen es gießt und blitzt, unbedingt zur Schule geradelt, wäre sie auch nicht vom Blitz getroffen worden. Oder von einer Rakete von etwas überforderten Aliens, die eigentlich nur ein bisschen mit einem Zeittorpedo experimentieren und dabei vielleicht auch die Erde wegputzen, aber irgendwie kam der Blitz dazwischen. Und nun klemmt Jennifer irgendwie zwischen den Zeiten, hüpft zwischen drei Realitäten hin und her. In einer davon haben die Belgier ganz Europa erobert. Aber in jeder hat die junge Dame Schwierigkeiten, ihr plötzliches Auftauchen zu erklären.

Was dann erstaunlich schnell diverse Polizisten und Armeeeinheiten auf den Plan ruft. In der Pulp Fiction gehört das zum Inventar – es wird geballert, bis alles platt ist. Da kannten auch die Autoren dieses Genres kein Pardon, als ihre Schnell-Schreib-Romane noch auf schlechtem Papier in die Welt geschleudert wurden.

Aber im Jahr 2014 fängt man natürlich an, nachzudenken, denn da erlebt man ja in politischer Inszenierung quasi live mit, wie schnell schwer bewaffnete Polizeieinheiten und Armeeverbände heute wieder auf den Straßen sind, wenn durchgeknallte Präsidenten und Ministerpräsidenten der Meinung sind, sie müssten es den Leuten da unten beweisen. Oder der Welt. Oder dem Weltall.

Tatsächlich waren ja all die grünen, blauen, gehörnten, behaarten oder schleimigen Alien-Monster nie etwas anderes als Verkörperungen der menschlichen Erfahrung, dass die Gefahr längst unter uns ist und sich machtgeile Männer durchaus vor laufender Kamera in menschenverschlingende Monster verwandeln könnten. Gerade dann, wenn ihre Sprüche am Mikrophon ganz nüchtern und pragmatisch klingen. Das hat ja weiland Douglas Adams sehr schön durchexerziert: Da stört ein Planet beim Bau einer kosmischen Schnellstraße? – Weg damit. So ungefähr ticken die Außerirdischen auch bei Hofmans, außer dass sie noch so ein gewisses Mitgefühl empfinden, als sie Jennifer dann kennenlernen. Am Ende muss Paul Hofmans schon einige künstlerische Zickzack-Kurven nehmen, um die Geschichte irgendwie noch so hinzubiegen, dass Jennifer wieder nach Hause kommt und in Ordnung.
Zwischendurch spielt Jennifer fleißig Mozart und Beethoven, ansonsten tut sie, was Frauen in solchen Stories eher selten tun: Sie bleibt cool und lässt sich auch von den durchgeknallten Offizieren und närrischen Aliens nicht beeindrucken. Entstanden ist so eine Art Geschichte, die herauskommt, wenn ein bunter Haufen leicht angesäuselter Freunde in einer wilden Nacht drauflosspinnen und sich gemeinsam eine Geschichte ausdenken, in der jeder bemüht ist, dem nächsten Erzähler eine möglichst unmögliche Erzählsituation zu hinterlassen. Was ja kein Problem ist, wenn man sich nicht mehr an physikalische Gesetze halten muss.

Paul Hofmans erklärt zwar seine Motivation etwas anders. Das Ergebnis ist aber ganz ähnlich und natürlich eher nicht der erwartete Lobgesang auf Deutschland, dafür auf die Verrücktheiten der Pulp Fiction. Die es auch in Teilen jener Literatur gibt, die man gern Science Fiction nennt, weil Raketen und Zeitmaschinen drin vorkommen. Eine Zeitmaschine zaubert auch Hofmans aus der Tasche, mit der die Heldin und ihre Begleiter am Ende gerade noch in der richtigen Zeitschleife landen, um heil aus dem Experiment herauszukommen. Zwischendrin stolpert man über ganze Serien von Musikstücken, die Hofmans seine Heldin spielen lässt. Seine Befürchtung, den Leser ein wenig zuzuschütten mit diesen Informationen, ist berechtigt.

An den etwas sprunghaften Erzählstil gewöhnt man sich. Am Ende bleibt das übliche “Und nun?” Nein, geändert hat sich nichts. Pulp Fiction bleibt Pulp Fiction. Wer eine emotionale Vorstellung von diesem Genre bekommen möchte, muss einfach mal an einem langen Regensonntagvormittag den Kindern im Wohnzimmer zuhören, wenn sie einen der üblichen Kinderkanäle im TV konsumieren. Ein Gekreisch, Geheule, Rumsen, Krachen, Explodieren, ein Quietschen und Drohen. Gewalt und Zerstörung sind die Norm und nicht die Ausnahme. Die derart übergossenen Kinder verwanden sich hinterher meist in übelgelaunte und aggressive Aliens und ihre Eltern wundern sich zu Recht, dass sie mit den Biestern nicht reden können am Mittagstisch.

In gewisser Weise zeigt die Pulp Fiction in bunter Sinnlosigkeit, wie durchgeknallt die Menschheit eigentlich ist. Wer das Werk von Paul Hofmans liest, bekommt also so eine Art Kinder-TV-Sonntag-Vormittag zum Lesen. Dazu essen kann man Gummitiere, Brausebonbons und eine Tüte lappige Chips von gestern. Wer freilich schon Kopfschmerzen hat, sollte besser das Genre Pulp Fiction meiden.

Paul Hofmans “Deutschlandsonate”, Einbuch Buch- und Literaturverlag, Leipzig 2014, 12 Euro

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