Wer gelesen werden will, schreibt heutzutage Krimis. Da bekommt man dann zwar vielleicht einen der begehrten Krimi-Preise, hat aber keine Chance, für einen der großen Buchpreise im Land nominiert zu werden. Wer große Preise haben will, macht es wie Clemens Meyer aus Leipzig und schreibt einfach "Roman" drauf, auch wenn es ein Krimi ist. Und wer gelesen werden will, macht es wie Stefan B. Meyer aus Leipzig. Und schreibt Dresden-Krimi drauf.

Die Karrieren der beiden Leipziger sind recht ähnlich wild. Der 1963 in Erfurt geborene Stefan B. Meyer beschreibt seine Lebenskarriere mit “Baumonteur bzw. Gerüstbauer am Aufbau des Sozialismus. Später folgten verschiedene sowohl sozialversicherungspflichtige als auch freiberufliche Tätigkeiten.” Wer in der DDR schon unangepasst lebte, den wundert die frühkapitalistische Gegenwart im vereinträchtigten Deutschland überhaupt nicht. Der einzige Unterschied ist eher, dass solche Bücher wie “Desperados im Land des Lächelns” im Land der zugeknöpften Funktionäre nie hätten erscheinen können. Aus zwei Gründen: Einmal wäre derart saftige Kritik an den Regierenden schlicht verboten gewesen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es in einigen Behörden und Funktionärskreisen genauso kriminell zuging. Aber – und das ist der zweite Grund: Diese spezielle Melange musste 1990 erst einmal zusammengerührt werden. Manche bezeichnen sie auch als Sachsensumpf.

Wobei es eher müßig ist, nun ausgerechnet die beiden Minister, die in diesem Roman ihre Hauptrollen spielen, in der frühen Neu-Sachsen-Geschichte zu suchen. Den Typus aber findet man wohl. Und mit dem Wende-Wort Wendehals wird man ihm politisch sogar gerecht. Nur dass der arme Vogel Wendehals bei aller Anstrengung nie fertig bekommt, sich wie ein wendiger Mensch zu verhalten, der auch in politischen Umbrüchen skrupellos seine Chancen wittert und nutzt und rücksichtslos Karriere macht.
Dabei taucht Meyer sehr klug und facettenreich ein in diese Zeit der kurzen Anarchie, in der zwischen Herbst 1989 und Herbst 1990 kurzzeitig fast alles möglich schien – das Abtauchen eines flüchtigen Sowjetsoldaten (samt MPi) genauso wie die Karriere eines beruflich in die Sackgasse geratenen Professors als Bürgerrechtler und Ministeramtsanwärter, die Karriere eines aussortierten Polizisten zum Chef einer Security-Firma (mit etlichen Offizieren aus der “Firma” als gefragte Sicherheitsexperten im Team) bis hin zum rasanten Aufstieg junger Juristen aus dem Schwabenland zu leitenden Staatsanwälten und Richtern.

Der ermittelnde Polizist ist ein alter Haudegen namens Wallner, vormals leitender Kriminaler, aber mit 60 Jahren eigentlich der Meinung, dass er sich mit den neuen Gegebenheiten nicht herumschlagen muss. Statt sich von den neuen Herren überprüfen und dann rausschmeißen zu lassen, geht er lieber in Vorruhestand. Und den hätte er wohl auch genießen dürfen, wenn die neuen Zeiten den noch unfertigen Freistaat nicht mit einer bis dahin ungekannten Welle an Kriminalität und Gewalttaten überschwemmt hätten. Bis hin zu den Umtrieben der Neonazis, die nun auf einmal glaubten, sie könnten auch die Dresdner Innenstadt terrorisieren.

Dass dann auch noch mehrere Leichen auftauchen, verschafft nicht nur Wallners Nachfolger eine Menge Arbeit, sondern auch dem jungen Staatsanwalt Mars, der die Gelegenheit nutzte, seinem leidigen Schwabenländle zu entkommen, wo er seine Arbeit etwas zu ernst genommen hatte und dabei einigen Politikern zu nah gekommen war. (Gibt es eigentlich auch einen Schwabensumpf? Oder nennt man das dort nur anders?) In Dresden sollte das ja nicht wieder passieren. Passiert aber doch. Das merkt Mars schnell, als ihm zwei Akten auf dem Tisch kommen, in denen die Toten augenscheinlich zusammengehören. Der erste Tote war ein Stasioffizier, der auf dem Balkon seiner Wohnung augenscheinlich von einer MPi-Salve niedergemäht wurde. Die zweite Tote war seine Ehefrau, die etwas später ebenfalls von Kugeln durchsiebt aufgefunden wurde.

Schon das Stoff genug, die wilden Umbruchzeiten in aller ihrer Fülle noch einmal auferstehen zu lassen. Aber von Anfang an lässt Meyer keinen Zweifel daran, dass er mit dem Buch mehr will, dass es ihm eigentlich um einen kleinen farbenfrohen Besuch in der Welt der sächsischen Politik geht mit all ihren “Selfmademan”, wie der Amerikaner sagt, die die Gunst der Stunde nutzten und sich vom großen Kuchen abbissen, was immer abzubeißen war. Der Herr Professor scheint auch schon vor der sektbegossenen Geburt des neuen Freistaats ein eifriger Geschäftemacher geworden zu sein. Immerhin gibt es auch im demolierten Dresden schon wieder goldene Nasen zu verdienen – die künftige Landeshauptstadt wird zum Tummelplatz der Immobilienkäufer und anderer suspekter Gestalten, die hier den großen Reibach wittern.

Die Staatsmacht ist über Monate ganz mit sich selbst beschäftigt. In Justiz und Polizei ist der große Kehraus im Gange. Und die mysteriösen Todesfälle könnten durchaus den Weg des Vergessens gehen, wäre da nicht der Verdacht, dass nicht nur der verschwundene Sowjetsoldat und seine MPI eine Rolle spielen könnten, sondern auch der frisch gekürte Innenminister, der seine Karriere einmal als Rechtsanwalt für evangelische Ausreisewillige begonnen hatte. Auf dem Dienstweg, das ahnt der junge Staatsanwalt aus Schwaben, kommt er dem Mann nicht bei, das braucht andere Mittel. Zum Beispiel einen erfahrenen Kriminaler im Ruhestand namens Wallner. Was Meyer natürlich Gelegenheit gibt zu einigen fast lustvoll hingeschmissenen Dialogen, in denen die beiden sich misstrauisch abtasten, jeder vollgepackt mit den Vorurteilen aus seiner Welt. Am Ende verstehen sich die beiden besser, als Mars sich mit seiner daheim gelassenen Verlobten je verstanden hat. Denn was ihren Beruf angeht, sind sie sich einig. Auch wenn das Hüten der Gesetze für den alten Kripo-Mann aus Dresden nach 1990 eine ganze Ecke komplizierter wurde. Aber das hindert ihn nicht daran, auch zu eher unüblichen, eher aus amerikanischen Serien bekannten Mitteln zu greifen, um den beiden in höchste Ämter aufgestiegenen Herren auf die Pelle zu rücken.

Da er dabei zumindest die politischen Parkette auch kurzzeitig betritt, wird ein schöner Teil der damaligen politischen Kulisse sichtbar. Und damit auch einige der Mechanismen, die dafür gesorgt haben, dass Sachsen heute so ist, wie es ist. Denn Seilschaften und Verbrüderungen entstehen ja nicht, weil die Leute sich mögen. Manchmal ist die Parteifarbe, die einen zu Markte trägt, nur das Ergebnis einer klugen Berechnung. Der Bursche im schwarzen Pelz hätte durchaus auch bei den Autonomen in der Neustadt landen können (und der so eiskalt agierende Innenminister hat genau da seine Wurzeln), und der Sozi, der schwadroniert wie ein liberaler Marktbereiniger, ist dem frisch gewählten MP (Ministerpräsidenten) nur deshalb suspekt, weil er drauflos schwadroniert, wo man in solchen Kreisen und bei solchen Themen lieber ein wissendes Schweigen verbreitet.

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Desperados im Land des Lächelns
Stefan B. Meyer, fhl Verlag 2014, 13,00 Euro

Stefan B. Meyers Buch hätte also ohne Bauchschmerzen auch neben Clemens Meyers “Im Stein” stehen können. Oder neben Gatzemeiers “Morgen, morgen wird alles zum guten Ende kommen!”, dem endlich auch mal eine große Taschenbuchauflage gewünscht werden muss. Es vereint die Tugenden eines guten Krimis mit denen eines hochpolitischen (und kritischen) Romans. Wer mag, kann die beiden Negativ-Helden der Geschichte als die im Titel genannten Desperados identifizieren. Es kommen auch zwei echte Desperados drin vor, die wie Nat King Cole und Stubby Kaye in “Cat Ballou” die Handlung kommentieren. Nicht so hübsch in Balladenform wie in Silversteins Westernkomödie – eher aus der Perspektive der ewigen Revolutionäre im Himmel, die mit einem Begriff wie “Friedliche Revolution” gar nichts anfangen können und auch nicht mit dem, was da nun im vom Glücksrausch besoffenen Sachsen vor sich geht, wo die Leute aus dem Lächeln gar nicht mehr herauskommen, weil sie sich jetzt alle (Konsum-)Wünsche erfüllen konnten, die sie sich vorher verkneifen mussten. Nur in den heruntergekommenen Häusern der Neustadt scheint es noch Kindsköpfe zu geben, die von Autonomie und Freiheit träumen.

Manche Stelle des Buches liest sich dann auch wie eine freundlich-ironische Kritik an den Dresden-Romanen Uwe Tellkamps, den die Juroren des großen deutschen Feuilletons immer so bierernst analysieren, als wäre Tellkamp ein “Großautor” und nicht einer von diesen gemütvollen sächsischen Autoren, die selbst dann, wenn sie die hier heimischen Milieus beschreiben, nie den warmen, liebevollen Ton verlieren, der alles so schön gemütlich macht. Auch wenn es triefendste Ironie ist. Und hier ist dann auch das Lächeln zu verorten, das Stefan B. Meyer in diesem Sachsen anno 1990 ausmacht.

Ist nur die Frage: Sollen die “Schlussworte”, die Meyer seinem Buch anfügte, schon wieder das Ende der Geschichte sein? Oder gibt’s noch mehr davon? Dem Leser wäre es zu wünschen.

www.fhl-verlag.de

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